Das Leben in Städten wird gemeinhin mit Vorstellungen von Freiheit und einer nahezu unbegrenzten Zahl von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten verbunden. Zugleich bringt das enge Zusammenleben vieler Menschen auf begrenztem Raum das Bedürfnis nach Planung und Normierung hervor. Das gilt sowohl für den sozialen Raum und seine Bewohner als auch für den physischen Raum und seine Nutzung. Der südwestdeutsche Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung hat auf seiner 43. Arbeitstagung diese beiden Perspektiven normativer Begrenzung des urbanen Lebens miteinander verknüpft und im interdisziplinären Austausch die Frage nach Plan und Norm in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Stadt gestellt. Über den ansprechenden Titel des Tagungsbandes hinaus, der durch die sprachliche Inversion eine enge inhaltliche Verschränkung der Themenkomplexe soziale Normierung und städtebauliche Planung behauptet, erfolgt in der Einleitung jedoch keine theoretische oder methodische Präzisierung der Fragestellung durch den Herausgeber. Eine Klärung etwa, was man unter Normen versteht oder wie man der schwierigen Frage nach den Planern und ihren jeweiligen Interessen nachgehen kann, fehlt, was man zum Teil auch den Aufsätzen anmerkt.
Mehrere Autoren widmen sich in ihren Beiträgen der Normierung städtischen Lebens und städtischen Bauens, doch gelingt es nur in Ansätzen, diese Ebenen aufeinander zu beziehen. So handelt Karl Borchardt in seinem Aufsatz über die spätmittelalterliche Normensetzung in Rothenburg ob der Tauber die räumliche Erweiterung des Stadtraums und die Ausweitung der normensetzenden Kompetenzen des Rates in zwei getrennten Abschnitten ab. Während er in Hinblick auf die Stadtplanung nicht von durchgängig geltenden Baunormen ausgeht, verortet er die zunehmenden Eingriffe des Rates in das Privatleben und das Eigentum der Rothenburger im Kontext der allgemeinen und längerfristigen Entwicklung der Herrschaft zur Obrigkeit. Diese habe aber nicht auf "einem rationalen, sondern auf einem nahezu magischen Verständnis von Werten und Normen beruht" (32).
Die weitere Entwicklung obrigkeitlicher Normierung in der Frühen Neuzeit rekonstruiert Wolfgang Wüst anhand ausführlich zitierter Quellenbeispiele aus Südwestdeutschland. Er stellt die normative Stadtplanung, wie sie durch Pläne und Karten repräsentiert wird, dem städtischen Bauzustand gegenüber und konstatiert, dass die konsequente Umsetzung stadtplanerischer Wünsche nur in Ausnahmefällen gelungen sei. In einem zweiten Teil gibt Wüst einen Überblick über stadtplanerisch wirksame Verordnungen frühneuzeitlicher Policeyordnungen, die von der Feuer- bis zur Seuchenbekämpfung reichen. Durch konkrete Baubestimmungen wurde etwa versucht, Nachbarschaftsstreitigkeiten vorzubeugen, die sich regelmäßig an Mauern, Türen und Fenstern entzündeten. Hier gelingt es zu zeigen, wie durch Bauplanung eine Normierung des alltäglichen Lebens erfolgte.
Die Stadtmauern selbst als Normen zu interpretieren, wie Andreas Sohn es in seinen Ausführungen zur Stadterweiterung von Paris im Mittelalter erprobt, heißt jedoch, diesen Ansatz zu überspannen. Dass Stadtmauern dem urbanen Wachstum eine physische Grenze setzen, ist eine banale Feststellung. Sie wurden weder in normierender Absicht errichtet, noch hatten sie lange Bestand, wie Sohn selbst an der von Philipp II. um 1200 errichteten Stadtbefestigung belegt.
In seinem Beitrag zu mittelalterlichen Schulen legt Helmut Flachenecker anhand von Anstellung und Bezahlung der Schulmeister sowie Bestimmung der Lehrinhalte überzeugend dar, dass eine gemeinsame Verwaltung der Lehranstalten durch Kirche und Rat vor der Reformation "der Normalfall, vielleicht auch Idealfall gewesen zu sein" (75) scheint. Flachenecker vermeidet es aber, das Bemühen um Kontrolle der Schulausbildung als Normierungsprozess zu deuten, sondern verortet die Einflussnahme des Rates im Kontext der Kommunalisierung.
Demgegenüber plädiert Berndt Hamm dafür, den massiven Wandel städtischer Religiosität im 15. und 16. Jahrhundert unter das von ihm Anfang der 1990 Jahre entwickelte Konzept der "normativen Zentrierung" zu fassen. Darunter versteht er "die Ausrichtung des christlichen Gemeinwesens auf eine Mitte von regulierender und legitimierender Kraft" (77), dessen Ziel eine religiös-politische Geschlossenheit städtischen Lebens sei.
Im Anschluss an die einführende Klärung des mittelalterlichen Stadtbegriffs in Italien zeichnet Claudio Donati am Beispiel von Turin und Mailand die massive Umgestaltung der Städte als Folge eines Wechsels der Stadtherrschaft in der Frühen Neuzeit nach. Die fürstlichen Eingriffe der Herzöge von Savoyen in Turin und der Könige von Spanien in Mailand hätten mit Residenzen- und Festungsbau ebenso der Stadtgestalt wie dem Ausbau der städtischen Verwaltung gegolten, die den Stadtherren eine effektivere Kontrolle über die Stadt ermöglichen sollte.
Hans-Jürgen Becker fragt nach der politischen Bedeutung der Städtekurie am Immerwährenden Reichstag zu Regensburg und führt aus, dass der Einfluss der Städtekurie in der Frühen Neuzeit höher einzuschätzen sei als bisher in der Forschung angenommen. Leider unternimmt er keinerlei Versuche, seine Thesen in Bezug zum Thema des Sammelbandes zu setzen.
Einen Einblick in die Entwicklungen des Baurechts in Bayern gibt Reinhard Heydenreuter, wobei er betont, dass man von Bauplanungsrecht im engeren Sinne erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprechen könne. Sein Überblick über die historische Entwicklung seit dem Mittelalter bietet eine ganze Reihe bedenkenswerter Befunde, doch bleiben seine Ausführungen aufgrund der Vielzahl der Einzelaspekte oftmals an der Oberfläche.
Ausgehend von der grundsätzlichen Frage, was eine lebenswerte Stadt ausmacht, diskutiert Fred Krüger die Möglichkeiten und Grenzen der Stadtplanung in der Gegenwart. Er verdeutlicht, dass Stadtplanung sich in einem schwierigen Spannungsfeld vollziehe, da zu umfassende Normierungen ebenso zu Eintönigkeit und Verödung führten wie mangelnde Reglementierungen konfliktträchtige und letztlich unkontrollierbare disparate Entwicklungen hervorriefen (189).
Indem Krüger die Widerständigkeit der Städte und ihrer Bewohner gegen die Bestrebungen der Stadtplaner heraushebt, zeigt er einen möglichen und vielversprechenden Ansatz auf, wie die thematisch disparaten Beiträge des Bandes gewinnbringend aufeinander hätten bezogen werden können. Die Frage, wie Stadtbewohner auf unterschiedliche Normierungsversuche der Obrigkeiten reagierten, ob sie gefordert, unterlaufen oder offen abgelehnt wurden, wird in den Beiträgen kaum berührt. Eine andere vergebene Möglichkeit, dem Band eine stärkere konzeptionelle Klammer zu verleihen, findet sich in dem Beitrag von Reinhard Heydenreuter, der mit "Feuer, Feind und Fürst" drei wesentliche Faktoren benennt, die Baubestand und Baurecht in der Vormoderne beeinflussten (164). Doch konnten sich die Teilnehmer der Tagung in der im Anhang abgedruckten Diskussion nicht darauf einigen, "Maßnahmen der Hygiene, des Feuerschutzes oder allgemein der Sicherheit und Ordnung" als zentrale Elemente urbaner Planung anzuerkennen (196).
Somit bieten die einzelnen Aufsätze für ihre jeweiligen Themenfelder lesenswerte und anregende Aspekte, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und analytischer Tiefe. Auf welche Weise die Planung des städtischen Raumes und die Normierung des städtischen Lebens aufeinander bezogen waren oder sich wechselseitig bedingten, wird jedoch leider nur in Ansätzen transparent gemacht.
Andreas Otto Weber (Hg.): Städtische Normen - genormte Städte. Zur Planung und Regelhaftigkeit urbanen Lebens und regionaler Entwicklung zwischen Mittelalter und Neuzeit (= Stadt in der Geschichte; Bd. 34), Ostfildern: Thorbecke 2009, 208 S., ISBN 978-3-7995-6434-2, EUR 24,00
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