Die in jüngster Zeit publizierten Arbeiten zum kaiserzeitlichen Kollegienwesen beschäftigten sich entweder mit der sozialen Bedeutung von collegia in ihrem städtischen Kontext oder mit der Historisierung ihrer Erforschung. [1] Im Gegensatz dazu wendet sich die an der Columbia University entstandene Dissertation einem speziellen Vereinstypus zu: den collegia der centonarii.
Diese erfuhren lange Zeit kaum Beachtung, zu problematisch schien die genaue Funktionsbestimmung: Da centones bei der Feuerbekämpfung zum Einsatz kamen und die centonarii häufig mit den fabri inschriftlich Erwähnung fanden, wurden sie in der Forschung meist als "Feuerwehr" behandelt. [2] Selten brachte man ihnen Aufmerksamkeit als collegium von Berufsangehörigen entgegen, die sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Textilien befassten. Die weite geographische und chronologische Verteilung der centonarii - nur die fabri und die dendrophori sind im Westen des Römischen Reiches ähnlich gut bezeugt - rechtfertigt eine eingehende Analyse in der Art, wie sie De Salvo mit seinem umfangreichen Werk zu den navicularii 1992 vorlegte. [3]
Liu nimmt sich denn ausdrücklich die genannte Untersuchung zum Vorbild (9) und nähert sich den centonarii ohne erkenntnisleitende Fragestellung, sondern sie fragt ganz allgemein nach den Ursprüngen, Funktionen, der Organisation und dem sozialen sowie rechtlichen Status der collegia der centonarii (1; 4).
In der Einleitung bietet Liu einen Überblick über die Forschungsgeschichte, einen kurzen (und für die folgende Analyse belanglosen) Exkurs über vormoderne Zünfte sowie über wirtschaftshistorische Modelle und schließlich eine Analyse der Aussagekraft der zur Verfügung stehenden Zeugnisse (234 Inschriften, Rechts- und literarische Texte; so gut wie keine archäologischen Funde).
Das erste Hauptkapitel widmet sich der geographischen und zeitlichen Verteilung der collegia centonariorum: In Südgallien, Nord- und Mittelitalien konzentrieren sich die Zeugnisse; häufig belegt sind die centonarii auch in den pannonischen Provinzen. Die Verbreitung der centonarii ergibt sich demnach vor allem aus ihrer Bedeutung für die Versorgung des römischen Heeres. Wie üblich, lässt sich nur ein Bruchteil der Inschriften genau datieren; die meisten epigraphischen Zeugnisse verteilen sich daher auf das 2. und 3. Jahrhundert.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle der centonarii in der römischen Wirtschaft. Liu kann überzeugend nachweisen, dass es sich bei diesen um Produzenten und Verkäufer von Wollstoffen niedriger bis mittlerer Qualität handelte. Zuweilen bildeten die centonarii ein collegium, zu der alle Handwerker und Händler zählten, die in das Textilgewerbe involviert waren.
Anschließend untersucht Liu das Verhältnis zwischen collegium und römischen Staat im Hinblick auf rechtliche Bedingungen der Vereinsbildung und die Privilegierung der collegia auf der Basis der von ihnen erbrachten utilitas publica. Diese sieht Liu in der Versorgung des Heeres mit entsprechenden Textilien. Offenbar nimmt sie an, dass die collegia centonariorum zu einem bestimmten Zeitpunkt eine generelle Legitimierung erfuhren (123). Dem widerspricht jedoch, dass über die Konzessionierung eines collegium jeweils einzeln entschieden wurde (Plin. epist. 10,33 und paneg. 54).
Gegen die Beteiligung der centonarii an der Feuerbekämpfung argumentiert Liu ausführlich im vierten Kapitel; letztlich kann sie jedoch nur belegen, dass die centonarii nicht allein zu diesem Zweck gegründet wurden. Das widerspricht jedoch nicht der Annahme, dass die centonarii mancherorts auch Feuerlöschdienste übernahmen (einen expliziten epigraphischen Beweis gibt es - wie bei den fabri - nicht; vgl. aber den kaum anders zu interpretierenden Hinweis in CIL V 5446).
Die Analyse des sozialen Status der Mitglieder und der Patrone resp. Wohltäter der Vereine stellen die beiden folgenden Kapitel dar. Die collegia centonariorum umfassten, soweit die Auswertung des epigraphischen Materials eine Aussage zulässt, sowohl einfache centonarii als auch relativ wohlhabende Unternehmer. Freigelassene sind vertreten, stellten aber nicht den Großteil der Mitglieder. Sklaven lassen sich - wie auch sonst - nicht nachweisen; Frauen spielten nur vereinzelt in hervorgehobenen Positionen oder als Ehefrauen von Mitgliedern eine Rolle. Von den 75 bezeugten patroni gehörten der weitaus größte Teil der munizipalen Elite an; unter den liberti, die als Patrone fungierten, waren die meisten zugleich Augustalen. Nur drei patroni senatorischen Ranges sind belegt.
Das siebte Kapitel widmet sich dem Vereinsleben, speziell den Festen, kultischen Aktivitäten und den Begräbnisaufgaben. Hier weist Liu noch einmal ausdrücklich daraufhin, dass auch Berufsvereine stets eine religiöse Dimension besaßen. Doch verhältnismäßig selten finden wir kollektive Weihungen des collegium oder direkte Belege für den Kaiserkult. Ebenso sind vereinseigene Begräbnisplätze rar.
Das letzte Hauptkapitel bietet einen Ausblick auf die Spätantike. Auf der Basis von vier Zeugnissen (einer Inschrift aus dem Jahr 367 und drei Rechtstexten aus den Jahren 329, 369 und 399) rekonstruiert Liu die Bedeutung der centonarii für die spätantike Heeresversorgung. Die weiteren Schlussfolgerungen müssen aufgrund der dünnen Quellenlage hypothetisch bleiben.
Ein kurz gehaltenes Fazit beschließt die Untersuchung. Bibliographie, verschiedene Appendices (u.a. ein Katalog der centonarii-Inschriften) und zwei Indices (Quellen- und allgemeines Register) erleichtern den Zugriff.
Unangenehm fallen die zahlreichen Verschreibungen auf [4]; zudem erschweren ungenaue Verweise auf die Sekundärliteratur die Überprüfbarkeit (ohne genaue Nachweise beispielsweise 61: Sirks; 114: Meiggs und Delaine; 135 Kneissl).
Doch diese formalen Mängel können die Stärken der Dissertation nicht schmälern: Die Untersuchung der centonarii zeugt von einer umsichtigen Interpretation der Quellen, wobei Liu nicht nur die direkten Zeugnisse zu den centonarii auswertet, sondern auch andere collegia als Vergleichsobjekte heranzieht. Damit richtet sich das Werk einerseits an den Wirtschaftshistoriker, der sich mit der kaiserzeitlichen Textilproduktion auseinandersetzt. Andererseits bieten die allgemeinen Bemerkungen zum Quellenwert der Vereinsinschriften, zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Kollegienwesens, zu der sozialen Zusammensetzung der collegia, zu den Aufgaben von patroni und den religiösen Aktivitäten auch einen gelungenen Einblick in das kaiserzeitliche Kollegienwesen im Westen des Römischen Reiches.
Anmerkungen:
[1] E. Ebel: Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden. Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechisch-römischer Vereine, WUNT 178, Tübingen 2004; J.S. Perry: The Roman collegia. The Modern Evolution of an Ancient Concept, Leiden / Boston 2006; St. Sommer: Rom und die Vereinigungen im südwestlichen Kleinasien (133 v. Chr.-284 n. Chr.), Hennef 2006; N. Tran: Les membres des associations romaines. Le rang social des collegiati en Italie et en Gaules, sous le haut-empire, Rom; M. Dissen: Römische Kollegien und deutsche Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Historia Einzelschriften 209, Stuttgart 2009.
[2] Beispielsweise R. Lafer: Omnes collegiati, 'concurrite'! Brandbekämpfung im Imperium Romanum, Grazer Altertumskundliche Studien 7, Frankfurt a. M. 2001.
[3] L. de Salvo: Economia privata e pubblici servizi nell'impero romano: I corpora naviculariorum, Messina 1992.
[4] Siehe die detaillierte Aufstellung in der Rezension von Maurizio Buora (http://bmcr.brynmawr.edu/2010/2010-07-52.html).
Jinyu Liu: Collegia Centonariorum. The Guilds of Textile Dealers in the Roman West (= Columbia Studies in the Classical Tradition; Vol. 34), Leiden / Boston: Brill 2009, XIX + 426 S., ISBN 978-90-04-17774-1, EUR 114,00
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