sehepunkte 11 (2011), Nr. 5

George Last: After the 'Socialist Spring'

Während seiner 40-jährigen Herrschaft veränderte das SED-Regime die landwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse und Betriebsformen und damit die ländliche Sozialstruktur grundlegend. Die Studie von George Last konzentriert sich auf jene drei Dekaden von 1960 bis 1989, von denen die Jahre ab 1965 bislang nur wenig erforscht sind. Als sich die in den 1960er Jahren infolge der Zwangskollektivierung gegründeten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) bis Mitte des Jahrzehnts leidlich stabilisiert hatten, folgten immer neue Experimente zu Organisationsformen und Kooperationen. Die LPG-Mitglieder sollten ihre privaten Hauswirtschaften aufgeben und zu gemeinsamen, genossenschaftlichen Arbeitsformen gebracht werden. Die 1970er Jahre sind gekennzeichnet von der Trennung der Pflanzen- und Tierproduktion und der Industrialisierung der Agrarwirtschaft mit erheblichen Konsequenzen für Umwelt und Menschen. Die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente im Zuge des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) ab Ende der 1960er Jahre schuf Anreize zu effizienterer Produktion, doch erst staatliche Investitionen unter Honecker stabilisierten den fragilen Agrarsektor allmählich. Anfang der 1980er Jahre wurden ineffizient wirtschaftende industrielle Agrargroßbetriebe wieder verkleinert. Die Erträge privat bewirtschafteter Flächen von LPG-Mitgliedern sollten wieder helfen, Versorgungslücken zu schließen. Als sich das Herrschaftssystem im ländlichen Raum bis Mitte der 1980er Jahre merklich stabilisiert hatte, gefährdeten zunehmende volkswirtschaftliche Probleme die Stabilität des Regimes.

Lasts Studie wendet sich diesen komplexen Problemzusammenhängen in Form einer Regionalstudie zum Bezirk Erfurt zu. Dieser Zugriff ist wohlüberlegt - der Buchtitel ist insofern jedoch missverständlich. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile mit je drei Kapiteln, die jeweils Einleitungsteile und Zusammenfassungen haben. Bibliographie und Index schließen sich an. Das Buch enthält ein Abkürzungsverzeichnis, ein hilfreiches Glossar und eine Karte des Untersuchungsbezirkes, auf der allerdings wenig zu erkennen ist.

Der regionale Zuschnitt leitet sich aus dem methodisch einleuchtenden und gut begründeten Konzept ab. Lasts Untersuchung versteht sich zunächst als Beitrag zu einer sozialen Verhaltensgeschichte der LPG-Mitglieder. Er beschränkt sich auf diese soziale Gruppe und will keine Sozialgeschichte des Dorfes oder der ländlichen Bevölkerung vorlegen. Darüber hinaus ist die Studie überzeugend als Beitrag zur Herrschaftsgeschichte der DDR angelegt, indem sie das Funktionieren des Regimes auf der unteren Ebene des Bezirkes beleuchtet. Auf diese Weise können Implementierungsprozesse und der Informationstransfer zur Herbeiführung der neuen, genossenschaftlichen Betriebsformen der LPGen und den damit vorgegebenen Wirtschaftsformen gelungen analysiert werden. Die Studie beruht auf einer Vielzahl unterschiedlichster Quellenprovenienzen, deren Auswertung eng an das methodische Vorgehen gebunden ist und - in dieser konzeptionellen Beschränkung - überzeugend gelingt.

Der erste Teil widmet sich der Phase der Vollkollektivierung, beginnend 1958/59, mit ihrer Radikalisierung 1960 und den Durchführungsproblemen bis etwa Mitte der 1960er Jahre. Der zweite Teil beschreibt die Grenzen der wirtschaftlichen Transformation im Agrarsektor bis zum Wechsel von Ulbricht zu Honecker. Der dritte Teil konzentriert sich auf jene Prozesse in der Agrarwirtschaft, die mit der Einführung des NÖSPL ab 1967/68 einhergingen; er charakterisiert die Versuche von Agrarpolitikern wie Gerhard Grüneberg, dem Agrarsektor innerhalb der DDR-Volkswirtschaft mehr Gewicht zu verleihen, etwa in der Auseinandersetzung mit der Staatlichen Plankommission; er geht ein auf die Debatten der unteren Ebene und unterschiedlicher Akteure, hier von Funktionären der Demokratischen Bauernpartei, um die Wiedereinführung von Groß-LPGen als Alternative zur Trennung in LPGen für Tier- oder Pflanzenproduktion. Mit einem kurzen Ausblick auf den Umbruch 1989 endet dieser Abschnitt. Eine knappe Gesamtzusammenfassung rundet die Darstellung ab.

Dem Autor gelingt eine konzise Darstellung und die Beherrschung der agrarwirtschaftlichen Zusammenhänge ist beeindruckend. Befremdlich ist hingegen der Umgang mit bzw. das Ignorieren von Forschungsliteratur. Einschlägige Titel werden zwar in der Einleitung erwähnt, in der Durchführung der Arbeit werden deren Ergebnisse aber nicht sichtlich herangezogen. Chancen für (Regional-)Vergleiche, Verknüpfungen oder Debatten bleiben ungenutzt. Methodisch problematisch ist das Vorgehen in den einleitenden und Überblickscharakter tragenden Abschnitten zu Beginn jedes Großkapitels. Hier verzichtet der Autor so gut wie völlig auf Belege. Die generalisierenden Betrachtungen sind nicht hinreichend abgesichert - auch wenn man zugute hält, es handle sich um Deduktionen aus den regional untersuchten Problemkreisen.

Jene Teile des Buches, die eine Verhaltensgeschichte der LPG-Mitglieder nachzeichnen, sind hochinteressant, sie bleiben jedoch insofern unbefriedigend, als sie nicht genügend differenziert sind. Viele Aussagen verharren hier bis hin zum Schlusskapitel auf einer zu allgemeinen, qualitativen Ebene. ("The majority of farmers were earning considerably better money than they had ever done", 209f.) Der Autor lässt sich zu wenig auf quantitative Annäherungen ein. Das schmälert den Aussagewert und den Geltungsgrad der Argumentation. Wie viele LPG-Mitglieder im Bezirk waren in welcher Partei im Untersuchungszeitraum politisch gebunden? Verhielten diese sich je nach Parteizugehörigkeit unterschiedlich? Der methodisch vielversprechend gewählte Zugriff, auf Mikro- und Mesoebene agrarpolitische Implementation und Reaktionen darauf über einen langen Zeitraum zu beobachten, gelingt insofern nur bedingt. Die qualitativen Aussagen über Eigen-Sinn und widerständiges Verhalten etwa sind in der Forschung nicht unbekannt. Eine differenzierte Untersuchung - nach Parteizugehörigkeit, Generation, Geschlecht, sozialer Schichtung, Konfession, Nähe zur Zonengrenze - , die Erarbeitung einer Typologie oder quantitative Annäherungsversuche steht weiterhin aus. Hier verspielt der Autor die Chancen einer Regionalstudie.

Lasts Buch kommt zweifellos das Verdienst zu, die bislang nur spärlich untersuchten und wenig bekannten agrarhistorischen Zusammenhänge der DDR-Geschichte nach der Vollkollektivierung, insbesondere ab Mitte der 1960er Jahre, in den angelsächsischen Wissenschaftssprachraum übertragen zu haben. Letztlich kann die Studie auf (nur) rund 230 Seiten, wovon sich rund die Hälfte der besser erforschten Phase bis zum Abschluss der Vollkollektivierung widmen, jenes ambitionierte Projekt, das sie in der Einleitung verspricht, nur teilweise einlösen. Dennoch: Die Studie verfolgt stringent ihr methodisches Konzept, Herrschaft als soziale Praxis in der ländlichen DDR aufzuzeigen und betritt für die Zeit ab Mitte der 1960er Jahre Neuland. Wenngleich der generalisierende Sprachduktus methodisch unangemessen ist: Im Kern treffen die Befunde zu Verhaltensweisen und -strategien der LPG-Bauern und Funktionäre, zur wechselseitigen Beeinflussung von Regime und Beherrschten, die selbst Teil der Herrschaft wurden, sicherlich zu.

Rezension über:

George Last: After the 'Socialist Spring'. Collectivisation and Economic Transformation in the GDR (= Monographs in German History; Vol. 26), New York / Oxford: Berghahn Books 2009, XXXVIII + 250 S., ISBN 978-1-84545-552-1, GBP 58,00

Rezension von:
Theresia Bauer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Empfohlene Zitierweise:
Theresia Bauer: Rezension von: George Last: After the 'Socialist Spring'. Collectivisation and Economic Transformation in the GDR, New York / Oxford: Berghahn Books 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/05/17871.html


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