Der Krieg ist wieder da - auch in der Wissenschaft. Spätestens seit den Anschlägen vom 9. September 2001 suchen Autoren verschiedenster wissenschaftlicher Provenienz das Wesen der neuen, der asymmetrischen Kriege zu definieren. Die dabei formulierten Merkmalskataloge reichen von der dezentralen Logistik weltweit vernetzter Kampfzellen über die dubiose Rolle privater Sicherheitsfirmen oder failing states als Rückzugsraum für Terroristen bis zum Schicksal wehrloser Zivilisten, die ins Visier fundamentalistischer Gotteskrieger und kaltblütiger Irredentisten geraten. Gerade Letzteres kann stutzig machen: Was ist neu an religiösen Fanatikern und ethnonationalen Separatisten? Handelt es sich nicht um Widergänger, die im kurzlebigen Posthistoire nach 1989 von konfliktmüden Gesellschaften geflissentlich verdrängt wurden? Beatrice Heuser jedenfalls warnt davor, die Kriege des 21. Jahrhunderts als "neu" zu etikettieren, da sie doch offensichtlich zentrale Kriegselemente vergangener Epochen enthalten. Um den Krieg zu denken, bricht die ausgewiesene Kennerin der Militärgeschichte zu einem Marsch durch mehr als zwei Jahrtausende auf und sichtet eine erkleckliche Zahl von Theorien, Denkschriften oder Konzepten, die sich alle mit dem Wesen und Zweck von Kriegen befassen.
Heuser beklagt das Kirchturmdenken der strategic community, die heute weniger globalen Weitblick habe als vor dem Ersten Weltkrieg. In Deutschland fristen strategische Studien als akademische Disziplin ein kümmerliches Dasein. Heusers Gewährsmänner stammen daher meist aus der angloamerikanischen Welt. Zu den namhaftesten Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts zählen der US-Marinedozent Alfred Thayer Mahan, der Strategie anwendungsbezogen und nicht als reine Lehre verstanden wissen wollte, sowie der Brite Basil Henry Liddell Hart, der einer theoriegeleiteten Wissenschaft vom Kriege mit angelsächsischer Skepsis begegnete, da sie auf dem Treibsand von Konventionen, Traditionen und Gefühlen stehe. Leitstern von Heusers tour d'horizon ist freilich Carl von Clausewitz, der eindringlich die enge Beziehung von Politik und Krieg herausarbeitete und erkannte, dass der Krieg selbst eine Gleichung mit vielen Unbekannten ist.
Schriften über Kriegführung waren im Mittelalter naheliegenderweise dünn gesät. Heuser mutmaßt, dies hänge mit dem Glauben zusammen, dass Kriege von Gott entschieden würden, weshalb sich Menschen darüber nicht den Kopf zu zerbrechen brauchten. Zudem gab es im Hoch- und Spätmittelalter mehr Belagerungen als Schlachten. Auch wenn Hugo Grotius im 17. Jahrhundert bis heute rezipierte Regeln für die Kriegführung niederlegte, zog sich eine lange Blutspur durch die Frühe Neuzeit, da gerade Zivilisten - nicht weniger als im 20. Jahrhundert - den oft religiös zugespitzten Metzeleien expansionslüsterner Dynastien zum Opfer fielen. Insgesamt charakterisiert Heuser die knapp anderthalb Jahrtausende zwischen dem 4. und dem 18. Jahrhundert als "Periode der Zauderer" (127), da große Entscheidungsschlachten nach Möglichkeit vermieden wurden.
Mit der Französischen Revolution schlitterten die Gesellschaften der Neuzeit auf die abschüssige Bahn des totalen Krieges. Weniger Quantensprünge in der technischen Entwicklung, sondern soziale und ideologische Faktoren revolutionierten die Kriegführung mit folgenschweren Konsequenzen für das 19. und 20. Jahrhundert. Napoleon bereitete einer Risikostrategie den Boden, die den Zufall weniger als lästiges Beiwerk denn als veritable Chance des Feldherrn betrachtete. Der Widerstand gegen die französischen Okkupanten wiederum befeuerte nationalistische Leidenschaften, denen im Verlauf des langen 19. Jahrhunderts noch die pseudowissenschaftlichen Dogmen der Malthusianer und Sozialdarwinisten beigemengt wurden. Das Resultat dieser verhängnisvollen Melange war zuerst auf dem Balkan zu besichtigen: der Massenmord an Zivilisten. Selbst der britische Liberale David Lloyd George stieß in dasselbe Horn wie eine "Reihe menschenverachtender deutscher Hohepriester des Staates" (160), die den Krieg als reinigendes Gewitter für die in Friedenszeiten verweichlichten Gesellschaften förmlich herbeiredeten.
Die Marine musste ihren Platz im strategischen Denken stets in Abgrenzung zum Heer definieren. Selbst die erfolgreiche Kanonenbootdiplomatie des Britischen Empire, die vor allem auf der abschreckenden Wirkung einer Ehrfurcht einflößenden fleet in being fußte, konnte an dieser prekären Stellung der Kriegsflotte nichts ändern. Julian Corbett bezog jegliche maritime Strategie eines Staats daher auf den Zugang, den diese zum Land verschaffen sollte. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation fanden Corbetts Gedanken zur Rolle der Marine wieder verstärkt an Zuspruch. Von der hohen See verlagerte sich das Haupteinsatzgebiet der Marine angesichts der neuen Konfliktlinien wieder zur Küste.
Ähnliche Überlegungen wie zum Verhältnis zwischen Heer und Marine prägten die Debatten über die Luftkriegsstrategie. Giulio Douhet, der vielleicht bedeutendste Luftkriegstheoretiker des 20. Jahrhunderts, arbeitete vor allem die Rolle der Luftflotte als großer Gleichmacher heraus: Durch deren Einsatz wurde es immer schwieriger, zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu unterscheiden. Die Totalisierung des Krieges schritt damit unaufhaltsam fort. Douhet gab obendrein den Anstoß zur Schwert-Schild-Diskussion innerhalb der Teilstreitkräfte. Der italienische Vordenker wies dem Heer die Rolle des Schilds zu, das die gegnerischen Armeen an einer Invasion hindern, während das Schwert der Luftwaffe weit ins feindliche Territorium vorstoßen sollte. Heuser identifiziert in diesem Zusammenhang vier Schulen der Luftstrategie: Sie reichen von den sozialdarwinistisch angehauchten Überlegungen des strategischen Bombardements über die taktische Schule mit dem Schwerpunkt der Luftnahunterstützung der Landesstreitkräfte und die Präzisionsbombardierung feindlicher Führungseliten bis zur spieltheoretisch angeleiteten Schule politischer Signalsetzung. Im Schatten der Bombe mussten sich freilich alle strategischen Ansätze - wie bereits angesichts der Bombenteppiche über NS-Deutschland und Vietnam - mit dem Dilemma der moralischen Rechtfertigung wie auch dem der militärischen Effizienz von Luftschlägen auseinandersetzen.
Heuser konzediert zwar, dass es, bedingt durch die Entwicklungsschübe in den Kommunikationstechnologien, in den letzten beiden Jahrzehnten "hier und da gewisse Veränderungen" (420) gegeben habe. Diese seien jedoch so gering, dass es nicht gerechtfertigt sei, von neuen Kriegen zu sprechen. Immerhin: Der Westen könne nun in lokalen Konflikten intervenieren, ohne die Gefahr eines Weltenbrands heraufzubeschwören. Unter dem Panier der securitization habe sich diskursiv die Argumentationslogik strategischen Denkens von der Ehre hin zur Sicherheit verschoben. Doch gerade der Kampf gegen den Terrorismus biete den geringsten Neuigkeitswert. So genannte "weiche" Ansätze verorten den Krieg zivilgesellschaftlich, beziehen die Vorgeschichte und die sozioökonomischen Fundamentaldaten in ihr Kalkül ein, um - wie die Briten in Malaya Anfang der 1950er Jahre - die hearts and minds der Bevölkerung zu gewinnen. Damit sei die Ära des Militarismus endgültig Geschichte und mit ihr die "Verlockungen großer Gewinne" (460).
Mit stupender Quellenkenntnis navigiert Heuser durch das Dickicht der vielen und vielschichtigen Strategiedebatten. Ihr großes Verdienst besteht darin, Traditionslinien freizulegen und das kriegstheoretische Neuerungsgeraune unserer Tage damit zu relativieren. Gegen den Zeitgeist akzentuiert Heuser die Konstanten der Kriegführung, ohne indes diese zu einer geschichtslosen Logik des Krieges zu stilisieren. Es hätte freilich der Lesbarkeit dieses für aktuelle Strategiedebatten unentbehrlichen Buches gedient, wenn die ausladende Klassikerrezeption gestrafft worden wäre. Ein sorgfältiges Lektorat hätte im Übrigen die Vielzahl an orthografischen und Interpunktionsfehlern vermieden.
Beatrice Heuser: Den Krieg denken. Die Entwicklung der Strategie seit der Antike, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010, 523 S., ISBN 978-3-506-76832-2, EUR 39,90
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