Die Mode verbindet Individuum und Gesellschaft: Sie kann den Wunsch nach Zugehörigkeit bedienen, der Persönlichkeit Ausdruck verleihen sowie sie selbst prägen und sie bestimmt die Lesarten der Welt auch für diejenigen, die sich ihr zu verweigern suchen. Diese Prozesse, so Christian Huck, setzten im 18. Jahrhundert ein. Die Zeitgenossen waren von der Mode fasziniert. Sie wurde zur Referenz in verschiedensten Kontexten und zunehmend mit Lebensstil und Kulturkonsum assoziiert.
Warum und auf welche Weise wurde die Kleidermode jetzt so wichtig? Huck setzt hierzu bei den Prozessen der Wahrnehmung und des Beobachtens an: Wie wird etwas Mode? Wie bilden sich Erwartungshaltungen aus und Vorstellungen dessen, was normal ist? Wie konstruiert eine Gesellschaft Realität? Welche Funktion kommt dabei den Medien zu? Entsprechend lauten seine vier Großkapitel "Observing Fashion", "Communicating Fashion", "Reading Fashion" und "System of Society".
Dabei kann er sich auf eine breite Forschung gerade aus dem angelsächsischen Raum stützen, wo das Sujet Mode kein ungewöhnliches ist, auf Arbeiten der Kostüm- und Konsumgeschichte, zum Luxus, zum Politischen der Mode, auf geschlechtergeschichtliche und literaturwissenschaftliche Zugriffe. Hinzu kommen die Mediengeschichte, die Diskurs- und insbesondere die Systemtheorie. Ebenso verbindet die Analyse verschiedenste Quellen, Romane, Periodika, Lexika, Bildmaterial, vor allem die Grafiken Hogarths.
Anhand ihrer zeigt Huck, wie Wissen, Erfahrungen und Techniken des Beobachtens von einem Gegenstand auf den anderen übertragen wurden. Die wissenschaftliche Beobachtung, die Reisebeschreibung oder die Bildbetrachtung konnten angewendet werden, um das Erscheinungsbild des Gegenübers zu entschlüsseln. Die Medien spielten dabei eine entscheidende Rolle: Sie kreierten eine gemeinsame Perzeption der Welt. Der "Spectator", eines der erfolgreichsten Blätter der Zeit, habe seine Leser darüber informiert, was sie vernünftigerweise als Weltwissen der Anderen annehmen, von ihnen erwarten und als ihre Erwartungshaltung voraussetzen konnten - nicht zuletzt im Bereich der Mode. An jener "background reality" (153) des geteilten Wissens und der angenommenen Erwartungshaltungen habe die Werbung wesentlichen Anteil gehabt. Die Praxis beim Nachdruck historischer Presseerzeugnisse auf die oft umfangreichen Werbeteile zu verzichten, verstelle den Blick auf diesen Zusammenhang ebenso wie sie die Rezeption insgesamt verzerrt.
Auch die gegenwartsbezogenen Romane liest Huck als Schule der Beobachtung, der Selbstreflexion und der zumindest fiktiven Eröffnung von Lebensperspektiven. Und, entscheidend: als Spiel mit durch Kleidung vermittelten Identitäten. Insbesondere anhand von Samuel Richardsons "Pamela" geht er den Verbindungen der zeitgenössischen Roman- und der Kleidungsmode nach - beide aufstrebend, beide konsumierbar, beide Medien der Individualisierung, beide der Populärkultur zuzurechnen. Es fragt sich allerdings, ob die Unterscheidung von Hochkultur und Populärkultur, der Huck sein Material zurechnet und der er die Affirmation des Gegebenen zuweist, unbedingt sinnvoll ist, zeigt doch auch diese Arbeit, wie beide miteinander verwoben waren und oft schwer zu trennen sind.
Im Roman ist die Mode überwiegend mit Frauenfiguren verknüpft. Der Frage, wie sie zunehmend mit Weiblichkeit verbunden wurde, hat sich die Forschung wiederholt gewidmet. [1] Huck datiert die demonstrative Abwendung der Männer von der Mode bereits ins England des frühen 18. Jahrhunderts. Die Unberührtheit von der Mode habe innere Werte und Festigkeit beweisen sollen, worauf letztlich "the stability of the social" basiert habe (298). Um jedoch den Anschein erwecken zu können, der Mode gegenüber immun zu sein, mussten auch die Männer sie beobachten und - maßvoll - für sich adaptieren. Die als natürlicher, praktischer und, im Vergleich zur höfischen französischen Mode, bürgerlich wahrgenommene Mode der Gentry sollte in der zweiten Jahrhunderthälfte den Kontinent erreichen.
Huck spürt dem Aufstieg der Mode in der britischen Gesellschaft der ersten Jahrhunderthälfte nach, um auf diese Weise die Anfänge unserer Moderne zu erschließen. Die Moderne ist hier - ohne dass eine größere Auseinandersetzung mit dem Begriff stattfände - gekennzeichnet durch jene "widespread observation of observation" (302) und durch die beschriebenen Prozesse selbst. Die Mode ist ihm "the mode of modernity".
Da die Mode wesentlich ein durch Medien und Debatten vermitteltes Phänomen ist, überzeugt grundsätzlich der medientheoretische Zugriff. Ausdrücklich will die Studie auch Test und Erweiterung der Luhmannschen Systemtheorie sein. Ziel ist es, anhand der Mode eine umfassendere "coherent theory of society" (242) zu entwickeln. Damit prägt das Buch eine doppelte Perspektivität. Der Zugriff über die Systemtheorie ist vielfach erhellend. Doch angesichts des umfangreichen theoretisch-soziologischen Apparats, der ausführlichen Exkurse (so zur Definition gesellschaftlicher Exklusions- und Inklusionsprozesse) hätte sich zur Auseinandersetzung mit Luhmann ein zweites Buch empfohlen. Irritierend sind die zahlreichen Regieanweisungen wie das teilweise inhaltlich oft wenig weiterführende umfassende Theorieaufgebot der Studie, u.a. mit Foucault, Edith Stein, Louis Althusser, Max Weber und Richard Sennett.
Auch diese Studie, so ist zu resümieren, zeigt das 18. Jahrhundert als Wendepunkt für das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem - und sie birgt durch die Schlüsselkategorie der Beobachtung und ihr Schlüsselmedium Mode eine Reihe neuer Einblicke. Die moderne Freiheit, sich mittels der Kleidung eine Identität zu schaffen, findet Huck schon im beginnenden 18. Jahrhundert wieder, zumindest in London oder in der Fiktion. In der zweiten Jahrhunderthälfte dann habe der wachsende Wohlstand das Verlangen nach Distinktion verschärft. Die neuen Differenzierungen ermöglichte die Kategorie des "Geschmacks". Von den Zwängen der Identitätsfindung und der andauernden Sich-Selbst-Erfindung ist aber auch hier noch nichts zu spüren. "Fashioning Society" macht anschaulich, wie Wahrnehmungstechniken über ihre ursprünglichen Herkunftsbereiche hinaus für die Konstruktion von Gesellschaft bestimmend wurden und über die Selbstbeobachtung das Handeln der Einzelnen zu bestimmen vermochten. Und das Buch zeigt, wie die Mode uns helfen kann, das 18. Jahrhundert besser zu verstehen.
Anmerkung:
[1] Jennifer M. Jones: Sexing La Mode: gender, fashion and commercial culture in old regime France, Oxford 2004; Sabina Brändli: Der herrlich biedere Mann. Vom Siegeszug des bürgerlichen Herrenanzuges im 19. Jahrhundert, Zürich 1998.
Christian Huck: Fashioning Society, or, The Mode of Modernity. Observing Fashion in Eighteenth-Century Britain (= Zaa Monograph Series; Bd. 12), Würzburg: Königshausen & Neumann 2010, 357 S., ISBN 978-3-8260-4458-8, EUR 39,80
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.