Angesichts der Konjunktur an Einführungswerken zur Frühen Neuzeit versucht sich die 2009 erschienene Publikation von Bea Lundt durch einen kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Ansatz von anderen Überblicksdarstellungen abzuheben. Zugleich ist Lundts Werk auch Bestandteil der von Peter Dinzelbacher herausgegebenen Reihe Kultur und Mentalität, deren Anspruch es ist, "die Vielfalt der traditionellen und neuen Erscheinungen lebendig werden zu lassen" (7).
Die Autorin möchte daher weniger frühneuzeitliche Innovationen und Leitfiguren als vielmehr die Befindlichkeiten und Verhaltensweisen der frühneuzeitlichen Menschen (16) in den Blick nehmen. Explizites Ziel von Bea Lundt ist es, die allgegenwärtigen Bilder von frühneuzeitlichen Erscheinungen zu transformieren. Zugleich versucht sie, das populäre, teilweise auch in der Forschung noch relevante Verständnis dieser Epoche als eine Phase des vollkommen 'Neuen' zu relativieren (13). Dabei konzentriert sich Lundt auf die Anfänge der Frühen Neuzeit. Dies dürfte nicht unwesentlich auf die fachliche Expertise der Autorin als Hochschullehrerin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Flensburg zurückzuführen sein. Die Anlage des Buches - 160 Seiten mit zahlreichen Abbildungen - lässt bereits vermuten, dass sich die Verfasserin weniger an ein Fachpublikum als vielmehr an ein interessiertes Laienpublikum richtet. Darauf deuten auch die stellenweise plakativ wirkenden, obgleich sehr gut lesbaren Texte hin.
Eingangs ihrer Ausführungen beschäftigt sich die Autorin mit der kontroversen, obgleich überstrapazierten Frage nach Beginn und Ende der Frühen Neuzeit. Daran anschließend setzt sie sich im ersten Kapitel (19-52) mit sozioökonomischen Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Gesellschaft wie auch gesellschaftlichen Ordnungsmodellen auseinander. Behandelt werden Themen wie das Bevölkerungswachstum, frühneuzeitliche Mobilität ebenso wie das Haus als Ordnungskategorie. Das Themenspektrum wird ergänzt mit Aspekten des ländlichen, städtischen und höfischen Lebens. Dabei ist positiv hervorzuheben, dass die Autorin ältere Ansätze der frühneuzeitlichen Hofforschung mit neuen Forschungsthesen kontrastiert. Dies ist für ein Buch, das sich offenkundig an eine Leserschaft außerhalb der Wissenschaft richtet, nicht selbstverständlich. In einem zweiten, kurzen Kapitel (53-62) werden frühneuzeitliche Herrschaftsverhältnisse thematisiert. Wie das Beispiel Absolutismus zeigt, ist die Autorin auch hier bemüht, unterschiedliche Forschungsperspektiven einander gegenüberzustellen. Im dritten Kapitel (63-92), das sich mit der Einstellung zum Ich beschäftigt, findet ein Perspektivenwechsel weg von den strukturellen Rahmenbedingungen hin zu den individuellen Erfahrungen frühneuzeitlicher Menschen statt. Angesprochen werden Aspekte wie Individualisierungskonzepte, Religiosität, Emotionen, Körper und Gesundheit bis hin zu Grenzerfahrungen durch Alter, Krankheit und Tod. Das vierte Kapitel (93-124) widmet sich im Wesentlichen den Themen Ehe und Familie sowie Arbeit und Geselligkeit. Am Rande werden auch Aspekte wie Kommunikation und Öffentlichkeit beleuchtet. Insbesondere eine ausführliche Betrachtung des Aspektes Kommunikation wäre wünschenswert gewesen, zumal sich an den frühneuzeitlichen Kommunikationsmitteln und -wegen der von der Autorin im Titel angesprochene Aufbruch in die Neuzeit ablesen lässt. Im fünften und letzten Kapitel (125-150) werden der Mensch und seine materielle Umwelt betrachtet. Wobei Umwelt hier als Sammelbegriff für klimatische Bedingungen und gleichermaßen für Hexenverfolgungen dient. Nicht zuletzt in der aufgezeigten Deutung von Naturereignissen und -katastrophen und dem damit verbundenen Exkurs in die Wissenschaftsgeschichte geht Lundt deutlich über den Bereich der materiellen Umwelt hinaus.
Angesichts der knapp bemessenen Seitenzahl wie auch der Tatsache, dass es sich um eine Überblicksdarstellung handelt, ist es nachvollziehbar, dass nicht alle Aspekte frühneuzeitlicher Geschichte berücksichtigt werden konnten. Doch ist es bedauerlich, dass ein für die Frühe Neuzeit so zentraler Aspekt wie die Konfessionalisierung nur am Rande behandelt wird. Nahezu ausgeblendet werden auch die in der Frühen Neuzeit omnipräsenten Kriege. Dabei bietet gerade die Wahrnehmung von Kriegen durch die Bevölkerung interessante mentalitätsgeschichtliche Einblicke, wie die jüngere militärgeschichtliche Forschung auch für die Frühe Neuzeit gezeigt hat.
Trotz der genannten Defizite stellt das Buch nicht zuletzt für all diejenigen, die sich bislang nicht oder kaum mit der Frühen Neuzeit beschäftigt haben, einen Gewinn dar. Anhand der informativen Texte wie auch der anschaulichen Zusatzmaterialien - neben Karten, Tabellen und Literaturhinweisen sind hier insbesondere die sorgfältig ausgewählten Bilder zu nennen - ist es Bea Lundt gelungen, dem Leser eindrucksvolle Einblicke in diese Epoche zu gewähren. Dem Anspruch der Reihe Kultur und Mentalität wird das Buch ohne jeden Zweifel gerecht.
Bea Lundt: Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500-1800. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt: Primus Verlag 2009, 160 S., ISBN 978-3-89678-647-0, EUR 34,90
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