Die militärische Macht und die Kriegsführung des Westens stehen schon seit längerer Zeit wieder im Fokus der historischen Forschung.
In dieses Forschungsfeld hinein stößt auch die Untersuchung Perilous Glory. The Rise of the Western World von John France, der vor allem durch Untersuchungen zu den Kreuzzügen im anglophonen Sprachraum bekannt ist. France nimmt sich in seinem Werk vor, die Entstehung der westlichen Armeen und ihre besondere Taktik und Strategie, die sie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts allen anderen Staaten überlegen gemacht hätten, zu analysieren und zu zeigen, dass die Ära der militärischen Überlegenheit der modernen westlichen Welt zu Ende sei und die westliche Welt den Anforderungen der zahlreichen neuen militärischen Konflikte nicht standhalten könne, und insbesondere der Zerfall Amerikas als militärische Supermacht begonnen habe. Dazu geht der Autor zunächst auf die Entwicklung der Neuen Militärgeschichte ein und kündigt an, insbesondere die Zeugnisse von Soldaten vermehrt in seine Darstellung einbeziehen zu wollen und nicht nur über Armeen, Formationen, technische Entwicklung, Strategie und Technik zu sprechen. Leider gelingt dies dem Autor nicht, hauptsächlich werden die wichtigen Schlachten der Weltgeschichte, mit und ohne europäische Beteiligung, referiert.
Merkwürdigerweise beginnt die Darstellung des militärischen Aufstiegs der westlichen Welt mit den Ereignissen der ägyptischen Militärgeschichte, die in keinem Zusammenhang zum Westen zu bringen sind. Es ist ein eigentümlicher Zug des Autors, recht unverbunden, zeitlich und räumlich verschiedene Entwicklungen gleichzeitig zu behandeln, so wird Ramses neben die chinesische Militärgeschichte gestellt, und beide wieder mit modernen Kriegen verglichen, was die Argumentation recht kompliziert und undurchsichtig macht. Außerdem gewichtet der Autor die Weltgeschichte äußerst ungewöhnlich, so habe sich die Überlegenheit der westlichen Welt durch den effektiven Einsatz der Infanterie in Form der griechischen Phalanx herausgebildet, was dazu führt, die römische Republik und die ersten 300 Jahre des römischen Kaiserreichs auf drei Seiten zu behandeln und die römische Legion lediglich als Fortentwicklung eben der griechischen Phalanx zu sehen. Darüber hinaus gibt es einige auffällige Sachfehler, z.B. wird eine Überlegenheit der Athener in der Schlacht von Marathon angenommen und auch Waffen werden teilweise falsch bezeichnet. Ebenfalls von wenig Forschungskenntnis zeugt, wenn der Autor die Schlacht von Poitiers in klassischer Weise interpretiert und Karl Martell attestiert, er habe eine mögliche Expansion der Araber gestoppt, die ganz Europa besetzen wollten, während die Möglichkeit eines arabischen Plünderungszugs nur angedeutet wird (109: "disunity had let the Arabs into Spain and could easily have done the same in northern Europe"). Erstaunlich ist auch, dass Karl dem Großen und seinen Truppen in den Sachsenkriegen eine Gesinnung paralleling Islamic jihad unterstellt wird, was diesen Sachverhalt wohl eher unzutreffend beschreibt. Und so geht es einem fort: Das frühe und hohe Mittelalter besteht aus der Lechfeldschlacht und den Kreuzzügen, das 11. Jahrhundert wird völlig ausgeblendet. Auch allgemeine Wertungen müssen Erstaunen hervorrufen, wenn France schreibt, Ritter hätten Polizeifunktion erfüllt (114), oder, dass das Christentum friedliebend und nicht-kriegerisch gewesen, während der Islam eine kriegerische Ideologie mit dem Drang und Zwang zur Expansion sei (99: "Islam, however was a monotheistic religion [...] within which a spirit of holy war, jihad, is prescribed. Moreover [...] violence was a sacred act. By contrast, Christianity always preserved the separation of sacred and secular, and regarded killing as a murder"). Anhand dieser Aussagen wird deutlich: die Studie ist weder eine historische Darstellung der westlichen Militärgeschichte, noch eine Untersuchung zum Aufstieg, besser wohl Expansion, der westlichen Welt und zur Strategiegeschichte des Westens, sondern vielmehr eine in weit ausholender Darstellung argumentierende Streitschrift, die eine Überlegenheit des Westens postuliert, während man im Hintergrund die aktuelle Entwicklung der amerikanischen Auseinandersetzungen mit dem Islam, den arabischen Ländern und dem Zerfall der militärischen Hegemonialmacht durchscheinen sieht.
Überhaupt, der Westen: Es wird nicht definiert, was denn nun den typischen militärischen Aufstieg der westlichen Welt auszeichnete. Dass insbesondere im frühen Mittelalter und der Frühen Neuzeit die Überlegenheit des Westens wohl kaum postuliert werden kann, denkt man an die arabische und osmanische Expansion, ist offensichtlich. Ebenso scheint mit Western World der britisch-amerikanische Raum gemeint, der mit Ausflügen ins europäische Ausland koloriert wird. Dass aber eine Überlegenheit von Englands Flottenpolitik im 17. und 18. Jahrhundert wohl kaum mit den Landkriegen Frankreichs verglichen werden kann, das zwar territorial zersplitterte, aber dennoch militärisch mächtige Deutschland bei France militärisch in der Frühen Neuzeit keine Rolle spielt, Osteuropa und Südeuropa überhaupt nicht genauer untersucht werden, sind weitere grundsätzliche Fragen, die das Werk nicht beantwortet.
Wer also tatsächlich eine grundlegende Erklärung des militärischen Aufstiegs Westeuropas sucht, wird enttäuscht werden, der Autor verliert sich in seinem Anspruch, die Militärgeschichte der Welt zu behandeln und diese zu interpretieren; die Stärken des Werkes liegen daher sicher in der kurzen Darstellung von 3000 Jahren Militärgeschichte. Interessiert man sich für herausragende Schlachten und grobe Einsichten in Strategie und Taktik, wird man zweifelsohne zu diesem Werk greifen.
John France: Perilous Glory. The Rise of Western Military Power, New Haven / London: Yale University Press 2011, XII + 438 S., 3 Kt., ISBN 978-0-300-12074-5, GBP 25,00
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