Im Zentrum von B. Ann Tlustys innovativer Studie stehen persönliche Waffen. An diese Waffen knüpft die Autorin Fragen nach frühmodernen Geschlechteridentitäten, Gesellschaftsformation, Sozialordnung, Konfliktregulation und Militärverfassung. Dass B. Ann Tlusty damit nicht nur ein bisher unbekanntes, sondern überaus lohnenswertes Forschungsfeld entdeckt hat, dokumentiert das vorliegende Buch mit seinen vielfältigen Bezügen. Überzeugend sind die von Tlustys vorgelegten Thesen, weil sie empirisch breit unterfüttert sind und gleichzeitig einen souveränen analytischen Zugriff entfalten. Statt sich primär auf die Rekonstruktion formaler (Rechts-)Diskurse zu beschränken, macht Tlusty sich auf, den Umgang mit persönlichen Waffen in den Straßen, an öffentlichen Orten, im Wirtshaus und im privaten Haushalt zu analysieren. Im Zentrum steht die These, dass deutsche Männer der Frühmoderne in einer martial ethic - einem kriegerischen Verhaltenskodex - sozialisiert gewesen seien, der im Wesentlichen in den städtischen Milizinstituten grundgelegt worden sei und sich in einer weitreichenden persönlichen Bewaffnung niedergeschlagen habe.
Damit werden - wie bereits der Titel induziert - die städtischen Milizen als Kernbereich frühmoderner persönlicher Bewaffnung verstanden. Dieser Zugriff hebt die persönliche Bewaffnung aus dem Kontext der Kriminalitätsforschung - die bisher der einzige deutsche Forschungsdiskurs war, der persönliche Waffen zumindest touchierte - und entfaltet stattdessen ein weitverzweigtes politisches und kulturelles Bedeutungsgeflecht, in das persönliche Waffen eingebunden waren.
Ausgehend von der ausführlich dargelegten Funktion persönlicher Waffen in den frühmodernen städtischen Milizinstituten erörtert Tlusty die ambivalenten Effekte persönlicher Waffen innerhalb des städtischen Ordnungsgefüges, denn nicht immer wurden die persönlichen Waffen in der Weise verwendet, die die Obrigkeit intendierte: Statt zur Schlichtung von Konflikten wurden die stets mitgeführten Waffen auch häufig verwendet, um persönliche Zwistigkeiten auszutragen und männliche Ehrenhändel zu entscheiden. Vor allem im Falle von schwerer Körperverletzung reagierte die Obrigkeit durchaus auch mit individuellen Waffenverboten. Solche Waffenverbote folgten jedoch primär männlich-bürgerlichen Ehrkonzepten und waren erst in zweiter Hinsicht öffentlichen Sicherheitsbedürfnissen verpflichtet. So konnte einerseits ein individueller Waffenbann ausgesprochen werden, wenn zum Beispiel ökonomische Unregelmäßigkeiten oder unehrenhafte Haushaltsführung jemanden als der bürgerlichen Ehrenrechte, die durch die getragene Waffe ausgedrückt wurden, nicht würdig erscheinen ließen. Umgekehrt aber wurden selbst schwere Ausschreitungen mit Waffen nur mit zeitlich begrenzen Waffenverboten belegt - eine Zurückhaltung, die Tlusty mit der weitreichenden Bedeutsamkeit der martial ethic erklärt.
Städtische Bürgerordnungen verlangten ebenso wie die Regularien von Zünften und Gilden, dass jeder Haushalt seinen Beitrag zur kommunalen Verteidigung leistete und die dafür notwendigen Waffen bereitstellte. Auf diese Weise wurden politische und ökonomische Strukturen mit militärischen Notwendigkeiten verknüpft und an die persönliche Waffe gebunden. Dies setzte sich jenseits der Normen unmittelbar in der Praxis fort: Die soziale Struktur der Stadtverteidigung - so belegt Tlustys Analyse - bildete die soziale Struktur der Gemeinschaft ab und koppelte auf diese Weise die persönliche Waffe unmittelbar an den sozialen Status ihres Trägers und die politische Struktur der städtischen Gemeinschaft.
Persönlicher Waffenbesitz war indes kein ausschließlich städtisches Phänomen, auch die ländliche Bevölkerung, so belegt Tlusty am Beispiel Württembergs, war umfänglich bewaffnet. Obrigkeitliche Waffenregularien zielten im ländlichen Raum primär auf die Sanktionierung der weit verbreiteten Wilderei. Inwieweit die in den städtischen Milizen eingeübte martial ethic auch hier einschlägig war bzw. wie sich kriegerische Männlichkeit mit alternativen Traditionslinien persönlichen Waffengebrauchs verschränkte, wäre einer weitergehenden Betrachtung wert.
Die städtischen Milizsysteme und mit ihnen die zivile bürgerliche Bewaffnung erlebten ihre Blütezeit im 16.und 17. Jahrhundert. Mit dem Niedergang kommunaler Milizen im Zeitalter stehender Armeen verschwanden persönliche Waffen jedoch keineswegs, sondern gewannen an symbolischer Bedeutung. Tlusty belegt überzeugend, dass das symbolische Kapital der persönlichen Waffe proportional zum Verlust ihrer militärischen Bedeutung wuchs. Dass persönliche Waffen eine weit über ihre unmittelbare funktionale Bedeutung als persönliche Verteidigungs- oder kollektive Kriegswaffe hinausgehende Geltung hatten, erörtert die Studie am Beispiel von Mode und Sport.
Wie souverän Tlusty ihr Thema beherrscht, zeigt sich zum Beispiel bei der Darstellung der symbolischen Funktion persönlicher Waffen für die soziale Stratifikation der Gesellschaft in absoluten Monarchien. Diese rekurrierte nicht auf persönliche Waffen im allgemeinen, sondern differenzierte überaus sorgfältig zwischen Schwertern, die nur der aristokratischen Elite gestattet waren, und anderen Waffentypen, für die eine soziale Beschränkung nicht überliefert ist. Frühmoderne Gewohnheiten stadtbürgerlicher Freiheiten konnten, so Tlustys Argument, nicht einfach abgeschafft werden, sondern wurden in einem neuen Rahmen fortgeführt. Statt militärischer Bezüge galten nun die Normen und Werte der Modewelt, die der persönlichen Waffe Bedeutung verliehen.
Die Schützengesellschaften entwickelten im 18. und 19. Jahrhundert eine immer stärker gesellige Identität. Dies und die zeitgleiche Entwicklung weg von wehrbereiten Bürgerwehrmännern hin zu professionellen Armeen stellten - so Tlusty - entscheidende gewalteindämmende Faktoren dar. Dass das deutsche Milizsystem des 16. und 17. Jahrhunderts keine Besonderheit war, sondern in vielen europäischen Ländern analoge Strukturen bestanden, skizziert der informative abschließende Ausblick.
Ann Tlusty hat eine kluge und sorgfältig recherchierte Studie vorgelegt. Es gelingt ihr souverän, ihre zentrale These, dass deutsche Männer in der martial ethic kommunaler Milizinstitute sozialisiert waren, zu belegen und zu veranschaulichen, welche Zusammenspiele sich daraus für männliche Geschlechterkonstruktionen, städtische Ordnung und lokale Machtbeziehungen ergaben. Damit hat Tlusty eine erste, überaus produktive und ertragreiche Schneise in ein Forschungsfeld geschlagen, dass noch immer weitgehend unentdeckt und in seinen Dimensionen und zentralen Strukturmerkmalen unvermessen ist.
Zentral für zukünftige Studien wäre zum Beispiel zu klären, ob die frühmodernen Milizen der Rotationspunkt jeglicher persönlicher Bewaffnung waren oder ob alternative bzw. parallele Felder existierten, in denen persönliche Waffen ebenso bedeutsam waren, die aber keine Berührungspunkte mit kriegerischen Waffennormen und -praktiken aufwiesen. Ähnlich innovative Studien, wie sie B. Ann Tlusty mit Ihrem Pionierwerk vorgelegt hat, stehen für ländliche Waffenpraktiken oder jagdliche Waffenführung aus. Weiterhin müssen zukünftige Studien die einschlägigen waffenrechtlichen Begrifflichkeiten und Konzepte profilieren. Das "Recht auf die Waffe", das Tlusty immer wieder nennt, war in der Frühmoderne Ausfluss des persönlichen Selbstverteidigungsrechts. Das heißt, es handelte sich keinesfalls um ein positiv definiertes, gesetzlich verbrieftes Recht, sondern um ein abgeleitetes, gewährtes (Gewohnheits-)Recht. Dass in der Frühmoderne städtische Verteidigung und persönliche Selbstverteidigung eng miteinander verschränkt waren, scheint evident. Ob sie ineinander aufgingen bzw. wann und auf welche Weise diese enge Legierung gelöst wurde, müssen weitere Studien klären. Auf die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes, das zeigt Tlustys gelungenes Werk, dürfen wir gespannt sein.
B. Ann Tlusty: The Martial Ethic in Early Modern Germany. Civic Duty and the Right of Arms (= Early Modern History. Society and Culture), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2011, XV + 371 S., ISBN 978-0-230-57656-8, GBP 65,00
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