François-André Vincent (1746-1816) gehört zu den herausragenden französischen Künstlern des Ancien Régime, der Revolution und des napoleonischen Empire. Wie nahezu alle maßgeblichen Historienmaler seiner Generation war er aus dem Atelier Joseph-Marie Viens hervorgegangen, das er als einer der jüngsten Rompreisgewinner in der Geschichte der Académie Royale verließ. Sein früher Ausstellungserfolg des Präsident Molé im Salon von 1779 ist ein Schlüsselwerk jener patriotischen Belehrungskunst, die den Aktualisierungsschub der Historienmalerei nach 1789 ermöglichte. Er führte eines der größten Lehrateliers in Paris, engagierte sich seit Beginn der Revolution für die Reform der Akademie, konnte sich in den politisierten Wettbewerben von 1791/92 und 1794 durchsetzen und gehörte dem Institut National als ein Gründungsmitglied an, dessen Auszeichnung mit dem Kreuz der Ehrenlegion unter dem Empire zwangsläufig war. Dennoch ist Vincent ein nahezu Unbekannter geblieben: In der Forschung begegnet er vorzugsweise als Partner der Porträtistin Adélaïde Labille-Guiard, auch wenn Beiträge Jean-Pierre Cuzins gelegentlich an seine Existenz als Künstler erinnerten. [1]
Mit der ersten monografischen Studie über Vincent stößt Elizabeth C. Mansfield deshalb in eine der befremdlichsten Forschungslücken der französischen Kunstgeschichte vor. Der Grund für die geradezu systematische Vernachlässigung Vincents durch die Forschung ist dabei als Metapher der Perfect Foil bereits in den Titel eingegangen: Der Künstler wäre am kunsthistorischen Nachthimmel so gründlich durch Jacques-Louis David als dem Leitstern dieser Zeit verdunkelt worden, dass er nur noch als Kontrastfolie gedient hätte und als heruntergedimmter "Zwillingsstern" wahrgenommen würde. Wie die Autorin offenlegt, ist dies nur ein anderes Bild für das dichotome Klischee des "Genies" und seines "respektablen, aber geschlagenen Rivalen" (7), in dessen bequemen Schematismus David die beherrschende Stellung des einzig der Betrachtung werten Künstlerheroen zugewiesen wurde. Ob sich die in sich so reflektiert eingeführte Doppelkonstellation allerdings als konzeptionelle Grundlage anbietet, sei bestritten. Vielmehr wird deren falsche Exklusivität bereitwilliger akzeptiert, als es das monografische Format verlangt hätte.
Tatsächlich ist Vincent nur eines von vielen Beispielen für die mindestens zwei, wenn nicht drei Schüler-Lehrer-Generationen umspannende Alterskohorte französischer Historienmaler, die zu ihrer Zeit als Davids direkte Rivalen galten. So hätte sich Mansfields Protagonist mit gleichem Recht und vom gleichen dürftigen Forschungsstand ausgehend durch Regnault ersetzen lassen; dafür anbieten würden sich trotz etwas besserer Literaturlage auch Suvée und Peyron oder, um einen der zwar nicht vergessenen, aber grotesk unterforschten Jüngeren aus Davids eigenem Atelier zu nennen, Gérard, der sich den ersten Preis des Concours de l'an II mit Vincent teilte. Trotz der Ausblendung dieses kollektiven Zusammenhangs liegt Mansfields Verdienst darin, die habituelle Fokussierung Davids in Frage zu stellen, was nicht ohne Konsequenzen für das gewöhnlich ganz auf diesen verengte Bild der französischen Malerei und Kunstpolitik dieser Jahre bleiben kann. Zwar wird das Potential eines neuen Blicks auf den größeren Zusammenhang der "visual culture around the time of the French Revolution" (10) mehr angedeutet als tatsächlich genutzt, doch darf schon dies als eine wegweisende Leistung gelten.
Mansfields negative Fixierung auf David, ihr Anliegen, Vincent als einen mehr oder weniger komplementären Gegenpart aufzubauen, wird im ersten Kapitel anhand der 1806 durch Chaussard veröffentlichten Vita Vincents begründet, wenn auch nicht kritisch genug hinterfragt (1-21). Überaus aufschlussreich dagegen ist die Analyse des für seine staatliche Förderung unter dem Ancien Régime problematischen Protestantismus des Künstlers und der freundschaftlichen Verbindungen seines Vaters, des Miniaturisten François-Élie Vincent von der Académie de Saint-Luc, zu Künstlern der königlichen Akademie, darunter dem späteren Lehrer seines Sohnes (23-45). Der erhellenden Betrachtung der formativen Jahre als Stipendiat der Académie de France in Rom ab 1771, die durch seine Bekanntschaft mit Fragonard geprägt waren und der er seine bemerkenswerte Wandlungsfähigkeit verdankte, folgt jene seiner Aufnahme in die Académie Royale, die Vincent 1777 das Debüt im Salon ermöglichte und ihm die ersten Staatsaufträge einbrachte (47-73, 75-95).
Die Untersuchung der Werke Vincents aus den letzten Jahren vor der Revolution, seines erfolgreichen Aufrückens in der Akademie und des Verhältnisses zu seiner Schülerin Labille-Guiard (97-129) beschließt den Vorlauf jenes 1789 einsetzenden Zeitabschnitts, in dem er in der Wahrnehmung der Kunstgeschichte durch den scheinbar übermächtigen David in den Hintergrund gedrängt wurde: Die letzten drei Kapitel der Studie gelten den ersten Revolutionsjahren, in denen Vincent sich engagiert, aber vergebens für die Reform der schließlich unter maßgeblicher Beteiligung des Konventsabgeordneten David abgeschafften Akademie einsetzte (131-157), Vincents der Republik nach dem Ende der Schreckensherrschaft übergebenem Wilhelm Tell (159-187) und schließlich der unvollendeten Schlacht bei den Pyramiden als seinem ersten Staatsauftrag des Konsulats (189-209). Auf eine Betrachtung der Karriere Vincents unter dem Empire, als er als angesehenes Haupt einer ganzen Schule von Historienmalern galt - visualisiert in Marie-Gabrielle Capets unerwähnt bleibendem Gruppenbildnis von 1808 in München -, verzichtete die Autorin.
Gelungen und über ihren unmittelbaren Gegenstand hinaus Anstöße gebend ist Mansfields dichte, die ersten zwei Drittel der Studie einnehmende Beschreibung der vorrevolutionären Karriere Vincents, die ein differenziertes, nahsichtiges Bild seiner Biografie und Werke zeichnet und innerhalb der Kunstpolitik des späten Ancien Régime betrachtet. Das Erklärungsmuster der Perfect Foil zu David spielt für diesen Zeitraum noch keine Rolle, erweist sich jedoch als zentrale konzeptionelle Schwäche der drei folgenden Kapitel, die das revolutionäre Jahrzehnt in den Blick nehmen: Gegen ein Klischee lässt sich nicht auf dessen Grundlage anschreiben. Beschreibt die Autorin Vincent als einen Gemäßigten, dessen "liberal-moderate inclinations" (141) ihn zwischen 1789 und 1794 in die Rolle eines Gegners der Radikalen zwangen und der für seine "artistic resistance to Jacobin policies" (145) ein hohes persönliches Risiko einging, so begründet dies zwar die pointierte Konzeption des Buches. Geopfert wird dafür der genaue Blick auf Vincents Position innerhalb der atemberaubenden Dynamik dieser Jahre, wie sie für seinen vermeintlichen Gegenspieler von Philippe Bordes analysiert wurde, ohne dass die Autorin dessen unverzichtbare Arbeit zur Kenntnis genommen hätte. [2] Dem Bild Davids wie ihrer Vorstellung der Revolution haftet deshalb etwas Holzschnittartiges an, und gleiches gilt für Mansfields Charakterisierung ihres Protagonisten und die Interpretation mancher seiner Werke.
Bestand tatsächlich schon 1791 die Gefahr politischer Verfolgung wegen des Projekts einer weniger militanten Behandlung des Themas der Horatier (145)? Lässt sich Vincents Demokrit im Salon des gleichen Jahres wirklich als "undisguised criticism of Jacobin extremism" (ebd.) deuten, obschon die Radikalen des einen Jahres so oft die Moderaten des nächsten waren? Dass Vincent nicht nur 1791/92 mit einem Staatsauftrag belohnt wurde, sondern auch im Propagandawettbewerb des Jahres II mit einem ersten Preis prämiert wurde, ausgeschrieben vom Wohlfahrtsausschuss Robespierres auf dem Höhepunkt der Terreur, bleibt unerwähnt. Auch muss Vincent der radikalen Commune des Arts bereits vor Juni 1793 und damit vor der Abschaffung der Akademie beigetreten sein, kann also keiner Zwangsverpflichtung "aller ehemaligen männlichen Akademiker" gefolgt sein (4). Vincents Stellung in der revolutionären Kunstpolitik ist - wie diese selbst - ungleich komplexer, als es die Autorin anerkennt. Mansfields Leitvorstellung, Vincent hätte sich von Anfang an den Jakobinern verweigert, sich als ihr Gegner begriffen und somit als Opponent Davids agiert, lässt sich schon durch den von der Autorin unterlassenen Blick in das Mitgliedsverzeichnis des Jakobinerklubs widerlegen: Spätestens Ende 1790 gehörte nicht nur David, sondern eben auch Vincent selbst (und einer seiner damaligen Schüler, Thévénin) den Jakobinern an. [3]
Bei allen Verdiensten dieser Monografie, die für den Zeitraum vor 1789 eine überaus überzeugende Darstellung der Karriere Vincents bietet, bleibt deshalb zu hoffen, dass sie sich als Impulsgeber und Grundlage weiterer Forschungen über diesen und andere sträflich vernachlässigte Künstler während der Französischen Revolution erweisen wird: Erst dann, wenn diese nicht mehr zu bloßen Gegenbildern Davids stilisiert werden, dürften das künstlerische und politische Handeln solcher Akteure einer demokratisierten Kunstsphäre hinreichend verstanden werden.
Anmerkungen:
[1] Zum Einstieg besonders geeignet: Jean-Pierre Cuzin: Vincent reconstitué, in: Connaissance des Arts 1986, H. 409, 38-47. Zu Vincent als einem exquisiten Zeichner: Ders.: François-André Vincent (1746-1816) (= Cahiers du dessin français ; Bd. 4), Paris 1988.
[2] Philippe Bordes: Le Serment du Jeu de Paume de Jacques-Louis David. Le peintre, son milieu et son temps de 1789 à 1792 (= Notes et documents des musées de France; Bd. 8), Paris 1983.
[3] François-Alphonse Aulard (éd.): La Société des Jacobins. Recueil de documents pour l'histoire du Club des Jacobins de Paris, 6 Bde., Paris 1889-1897, Bd. 1, LXXVI ("Vincent, au Louvre").
Elizabeth C. Mansfield: The Perfect Foil: François-Andre Vincent and the Revolution in French Painting, USA: University of Minnesota Press 2012, 320 S., ISBN 978-0-8166-7581-4, USD 35,00
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