Werner Lippert geht der Frage nach dem Wechselspiel von Außenwirtschaftspolitik und Diplomatie nach und vermisst die Konturen des entspannungspolitischen Dreiecks Washington-Bonn-Moskau. Unter Ostpolitik versteht Lippert dabei allein diejenige der sozial-liberalen Koalition 1969-82, sein Schwerpunkt sind die Jahre der Kanzlerschaft Willy Brandts, denen er die zentralen drei seiner fünf Kapitel widmet. Das Buch basiert auf seiner bei Thomas A. Schwartz an der Vanderbildt University entstandenen Dissertation.
Während US-Präsident Nixon und sein einflussreicher Sicherheitsberater Kissinger darauf abzielten, die internationale Ordnung zu stabilisieren und den Systemkonflikt weniger gefährlich bzw. handhabbar zu machen, ging es Bundeskanzler Brandt darum, letztlich den bipolaren Status quo politisch zu überwinden und eine gesamteuropäische Friedensordnung zu schaffen. Diese unterschiedlichen Konzeptionen verursachten wiederholt Reibungen und führen Lippert zu seiner zentralen These: "it was the differing concepts regarding the nature of the transatlantic alliance and the divergent foreign policy interests vis-à-vis the Soviet Union that opened a rift in the alliance and cemented NATO's energy dilemma." (136).
Zunächst arbeitet Lippert heraus, wie Brandt aus politischen Motiven Bewegung in den sogenannten Osthandel brachte, was im Erdgas-Röhren-Abkommen mit der UdSSR vom Februar 1970 kulminierte. Dies habe den Weg für die eigentlichen ostpolitischen Initiativen der sozial-liberalen Koalition geebnet, die noch im gleichen Jahr zum Moskauer und Warschauer Vertrag führten. Zu Recht betont Lippert dabei die Wirkmächtigkeit von neuen Wahrnehmungsmustern, konkret die der Ostpolitik zugrunde liegende Sicht, die Sowjetunion sei ein "normaler", an zwischenstaatlicher Verflechtung innerhalb der bestehenden internationalen Ordnung interessierter Staat. Auf der Habenseite von Lipperts Studie ist auch zu verbuchen, dass er neben der Perspektive von Bundesrepublik und USA auch systematisch die der auf westliche Technologie angewiesenen Sowjetunion mit einbezieht und die Spannungen thematisiert, die der Ost-West-Handel nicht nur im westlichen, sondern auch im östlichen Lager hervorrief. Dort war man von nun an nicht nur größerem westlichem Einfluss ausgesetzt, sondern musste auch untereinander um Anteile am attraktiven Westhandelskuchen wetteifern. Für den Kreml hätten aber unterm Strich die Vorteile des intensivierten Ost-West-Handel die Nachteile politischer Instabilität überwogen. Für Moskau konstatiert Lippert eine überragende Bedeutung des Westhandels in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, insbesondere für Breschnews Führungsanspruch.
Lipperts Analyse zeigt einmal mehr den katalysatorischen Effekt des Bonner Vorpreschens für die Entspannungsbemühungen im Ost-West-Konflikt. Dies war unter anderem deshalb möglich, weil Nixon und Kissinger wirtschaftspolitische Angelegenheiten stiefmütterlich behandelten. In Lipperts Studie wird auch deutlich, wie sich die relative Bedeutung Bonns und Washingtons als entspannungspolitische Spielgefährten des Kreml im Zeitablauf änderte: Ab Mitte 1972 besaß das Weiße Haus eine dem eigenen Selbstverständnis als westliche Vormacht entsprechende Führungsrolle in Détente-Angelegenheiten - nicht zuletzt, weil Bonn im Hinblick auf die Berlinfrage trotz Viermächteabkommens weiter auf massive Rückendeckung der USA angewiesen war.
Lippert kommt zum Schluss, dass der Kreml die Bundesrepublik anfangs "benutzt" habe (106), um mit den USA entspannungspolitisch ins Geschäft zu kommen, und nach Ratifikation der Ostverträge im Mai 1972 Bonn immer wieder mit Anliegen wie der Einbeziehung West-Berlins in den Ost-West-Handel auflaufen ließ. Einer solch eindimensionalen Lesart mag man das spätere Diktum Kissingers gegenüberstellen, der im Hinblick auf seine ebenso enge wie konkurrierende Zusammenarbeit im Geheimen mit Egon Bahr konzedierte: "Outsiders may debate who manipulated whom." [1] Denn immerhin entfalteten in der komplexen, für den Kalten Krieg ungewöhnlich fluiden diplomatischen Gemengelage zu Beginn der 1970er Jahre weitere Hebel ihre Wirkung, um die Supermächte an den Verhandlungstisch zu bringen: das Brandtsche Junktim - keine Ratifizierung der Ostverträge ohne befriedigende Berlin-Regelung - ebenso wie Kissingers Einsatz einer Übereinkunft zu Berlin als Bedingung für Nixons Reise zum Gipfel nach Moskau. [2]
Nachdem durch das Gas-Röhren-Geschäft die Grundlagen gelegt worden waren, verortet Lippert die Entstehung des "Energiedilemmas" der NATO konkret in den Jahren 1972-74, nicht zuletzt verstärkt durch den Yom Kippur-Krieg von 1973. Während die amerikanisch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen aus Gründen der US-Innenpolitik auf der Stelle traten, setzte Moskau wieder auf gezielte ökonomische Anreize gegenüber Westeuropa nach der Maxime divide et impera. Spätestens mit Präsident Carters Embargo-Politik, die die Verbündeten der USA nur halbherzig unterstützten, traten diese Differenzen dann offen zu Tage.
Immer die Kohärenz des westlichen Bündnisses im Blick, geht Lippert stringent dem Balanceakt Brandts zwischen Einbindung in den Westen und Verflechtung mit dem Osten nach, ohne diesen als solchen zu würdigen. Vielmehr wähnt er Bonn immer wieder auf Entfremdungskurs gegenüber dem westlichen Bündnis. In seiner Urteilsfreude schießt Lippert wiederholt übers Ziel hinaus, wenn er z.B. Brandts Aufstieg zum Bundeskanzler als "plötzlich" bezeichnet (43) oder behauptet, Kissinger habe die Ostpolitik "unterschätzt" - um dann wenige Seiten später "concerns all along" (44/51) festzustellen. In der Tat wurden Nixon und Kissinger im Hinblick auf Brandt und seine Initiativen immer wieder von ihren Vorurteilen eingeholt. [3] Auch Lipperts Charakterisierung des Gas-Röhren-Geschäfts als Wendepunkt der Ost-West-Beziehungen (XI) mit Auswirkungen weit über den Kalten Krieg hinaus erscheint bei aller Bedeutung des Abkommens als ungerechtfertigte Ausblendung grundlegender politischer Interessenlagen und Wirkkräfte wie dem sowjetischen Interesse an der Zementierung der gegebenen territorialen Ordnung in Europa.
Außerdem hätte sich der Rezensent aussagekräftige Zahlen zur wiederholt behaupteten ökonomischen Abhängigkeit Bonns von der Sowjetunion gewünscht, die laut Lippert eine politisch einflussreiche sowie in "Goldgräberstimmung" verfallende Osthandelslobby (76/175) hervorbrachte und in eine wirtschaftspolitische getriebene "europäische Détente" mündete. Der westeuropäische Kontext bleibt insgesamt unterbelichtet, obwohl Lippert ausdrücklich "NATO's energy dilemma" aufzeigen will und nicht nur deutsch-amerikanische Differenzen. Unerwähnt bleibt auch, dass eine solche wirtschaftlich bedingte "strukturelle Kluft" (182) innerhalb des westlichen Lagers die Handlungsfähigkeit der NATO in ihrem Kerngeschäft, nämlich der Verteidigung, nicht kompromittierte, wie der Doppelbeschluss von 1979 zeigte.
Indem er die als solche sattsam bekannten konzeptionellen und taktischen Divergenzen zwischen Bonn und Washington im Hinblick auf die Entspannungspolitik sowie die Wechselwirkung zwischen Wirtschafts- und politischer Diplomatie kohärent nachzeichnet, gelingt Lippert letztlich eine nützliche Ergänzung der Forschungsliteratur zu einer Schlüsselphase des Ost-West-Konflikts, ohne dabei an bekannten Interpretationslinien zu rütteln.
Anmerkungen:
[1] Henry Kissinger: Years of Upheaval, London 1982, 146.
[2] Vgl. David Geyer: "The Missing Link: Henry Kissinger and the Back-Channel Negotiations on Berlin", in: Ders. / Bernd Schaefer: American Détente and German Ostpolitik, 1969-1972 (= Bulletin of the German Historical Institute, supplement 1), Washington, D.C. 2004, 80-97.
[3] Vgl. Holger Klitzing: To Grin and Bear it. The Nixon Administration and Ostpolitik, in: Carole Fink / Bernd Schaefer: Ostpolitik, 1969-1974. European and Global Responses, Cambridge 2009, 80-110.
Werner D. Lippert: The Economic Diplomacy of Ostpolitik. Origins of NATO's Energy Dilemma, New York / Oxford: Berghahn Books 2011, XVIII + 238 S., ISBN 978-1-84545-750-1, USD 85,00
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