Dass der italienische Jurist, Theologe und Philosoph Jacopo Aconcio (ca. 1492-1567) um 1560 (44) ein Fortifikationstraktat verfasste, unterstreicht die von der Fachwissenschaft wiederholt hervorgehobene Bedeutung des Fortifikationswesens für den Kanon der "humanistischen" Wissenschaften in der Frühen Neuzeit. Aconcio gehörte zu den zahlreichen Gelehrten des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, die die Fortifikationstheorie als Anwendungsgebiet der euklidischen Geometrie, der Mathematik, der Mechanik sowie der aristotelischen Logik verstanden; Disziplinen, die seit der Jahrtausendwende wieder vermehrt als Kulturträger wahrgenommen und in den Geisteswissenschaften verankert werden.[1] In der Wissenschafts-, Kunst- und Bildgeschichte rückten mit Untersuchungen zu "visuellen Argumentationen" (Bredekamp), zur "Visual Eloquence" (Payne) oder zur "Wissensproduktion" (Lazardzig) in letzter Zeit auch Zeichnungen und Schriften zur Fortifikation ins Blickfeld der Forschung.[2] Neben den Werken Leonardos da Vinci, Albrecht Dürers und Galileo Galileis wird nun auch das Schaffen weniger bekannter Künstler und Wissenschaftler wie Niccolo Tartaglia, Joseph Furttenbach oder auch Teofilo Gallaccini (1564-1641) systematisch erforscht.[3]
Jacopo Aconcios lang verloren geglaubter "Trattato sulle fortificazioni", den er selbst ab 1562 während seiner Emigration in England unter dem Titel "Ars muniendorum oppidorum" ins Lateinische übersetzte, ist nun in der Reihe "Studi e testi" des "Istituto nazionale di studi sul rinascimento" in Florenz erschienen. Ediert wurde allerdings nicht das weiterhin verschollene italienisch-lateinische Original Aconcios, sondern das erst 1573 von Thomas Blundville ins Englische übertragene Exemplar "booke of fortefyinge" (4, 68-70). Dieses der Edition zugrundeliegende Manuskript entdeckte Stephen Johnston (London) im Petworth House Archive des Lord Egremont wieder und identifizierte es als Übersetzung von Jacopo Aconcios Traktat (4). In der vorliegenden Publikation von Paola Giacomoni wurde der Text nun für die Frühneuzeitforschung erschlossen.
Die Transkription und die italienische Übersetzung des 62 Blatt umfassenden Manuskripts wird ergänzt durch drei einleitende Kapitel und den unter der Überschrift "Illustrazioni" angefügten 26 Zeichnungen und Holzschnitten (181-206), die leider nur mit technischen Daten und einer kurzen inhaltlichen Erläuterung versehen sind. Eine bildgeschichtliche oder gattungstheoretische Analyse der Blätter als wissenschaftliche und diagrammatische Bilder fehlt ganz,[4] dabei wäre sie an dieser Stelle notwendig, um die ineinander greifende Argumentation von Text und Bild nachvollziehen zu können. Auf 100 Seiten (78-177) finden sich, leider inhaltlich weitgehend unkommentiert, linksseitig die Transkription des englischen Originaltextes Blundvilles und rechts die italienische Übersetzung von Omar Khalaf (Venedig). Der Anhang bietet ein kurzes Glossar der Fachterminologie (207-208) sowie ein Personenregister (209-211). Ein Literatur- und Quellenverzeichnis, das dem Leser einen Überblick über das Thema erleichtern würde sowie ein den Text erschließender Index fehlen dagegen.
In der Einführung (1-22) diskutiert die Herausgeberin und Aconcio-Expertin Paola Giacomoni (Trient) die Bedeutung des Werks für die philosophisch orientierte Forschung zu Aconcio und insbesondere für das Verständnis seines religiös-philosophischen Denkansatzes. Die methodischen Grundlagen der Schrift untersucht Renato Giacomelli (Trient) in einem eigenen Beitrag, wobei er den Fortifikationstraktat zu Aconcios 1558 in Basel veröffentlichter Schrift "De Methodo" in Bezug setzt (23-42). Im dritten Kapitel leistet Giovanni Maria Fara (Florenz) mit beeindruckender Detailkenntnis eine Einordnung des Traktats in den Kanon der zeitgenössischen Fortifikationstheorie (43-64).
Jacopo Aconcio gehört zu den "Reformatoren", die um 1559 vor den Folgen der Gegenreformation in das Elisabethanische England emigrierten. In seinen zahlreichen Schriften vertritt er zwar eine reformatorische, gleichzeitig aber undogmatische Religiosität. Thema seiner wohl bekanntesten Schrift der "Stratagemata Satanae" (1565) ist die Aufdeckung und Bekämpfung der Bosheiten und Listen Satans. Schlüsselwort in seinem Werk sind dabei, so die Herausgeberin, die "stratagemmi" (Kriegslisten), ein militärischer Begriff, mit dem Aconcio sowohl die List des Feindes als auch die List Satans beschreibt (10). In diesem Sinne sei die Gleichsetzung von militärischer und religiöser Verteidigung ("difesa militare e difesa religiosa") in seinem Gesamtwerk zu verstehen (9).
Hinsichtlich des methodischen Ansatzes von Aconcios Fortifikationstraktat stellen Giacomoni und Giacomelli schließlich überzeugend deren Bezug zur aristotelischen Logik heraus. Nur die Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, die Reduktion auf das Wesentliche (17-21) lasse das Ordnen der Dinge der Welt zu (15,17-21). Auch für Aconcio gehe die Ordnung der Dinge immer vom Allgemeinen zum Speziellen, vom Einfachsten zum Komplexesten, und jeder Aspekt werde in eine analytische Serie von Einzelpunkten gegliedert (20, 30). Dieser Methode folgend zerlegte Aconcio auch die Festung in ihre Einzelteile, die er dann mit großer Präzision beschrieb. In seiner Fortifikationstheorie sah Aconcio die Übertragung seiner methodischen Doktrin auf die (Befestigungs-) Kunst. In ihrer äußersten Effizienz ermögliche sie es, jedwede Disziplin zu verstehen und anzuwenden (24, 25). Das Fehlen einer systematisierten Abhandlung zur "architettura militare" habe ihn ermutigt, die Regeln der Fortifikation in eine kategorisierte, logische Abfolge zu bringen (27, 80-81). Die Einfachheit seiner Sprache und die klare Ordnungsstruktur seiner Schrift begründe, so Giacomoni, auch den Erfolg Aconcios in England, der schließlich mit den Arbeiten für die Festung in Berwick-upon-Tweed 1564 einen baulichen Ausdruck fand (21).
Die antiken und zeitgenössischen Quellen für Aconcios Schrift in Text und Bild stellt Giovanni Maria Fara im abschließenden Kapitel heraus. Neben Vitruv habe Palladius' "De Agricultura" Aconcio als Quelle gedient (45-46). Als zeitgenössische Vorlage identifiziert er vor allem Giacomo Lanteris "Due dialoghi" von 1557, in denen Girolamo Cataneo als Autorität auf dem Gebiet des Festungsbaus in einzelnen Punkten der Fortifikation befragt wird (47-52). Verschiedene Zeichnungen und Holzschnitte, deren Datierung und Zuschreibung noch nicht geklärt sind, führt er auf die erst 1564 gedruckten Schriften Girolamo Cataneos sowie Girolamo Maggis zurück (53-57). So erweist sich einmal mehr die nur summarische Betrachtung der Zeichnungen und Grafiken als ein Manko der Publikation.
Laut Giovanni Maria Fara ist die Figur des Jacopo Aconcio symptomatisch für die Zeit, in der Philosophen und Literaten auf dem Gebiet der modernen Fortifikation ebenso bestehen konnten wie Militäringenieure. Genannt sei hier nur der Venezianer Giovan Tommaso Scala, der kurz vor Aconcios Zuständigkeit den Bau der Festung in Berwick begleitete (61). Schade ist dann allerdings, dass Fara den von ihm formulierten Gegensatz zwischen dem didaktisch-methodischen Traktat eines Aconcio und den von praktischen Erfahrungen geprägten Schriften des Militäringenieurs Scala nicht weiter ausführt (64). Eine vergleichende Analyse hätte vielleicht klären können, warum gerade der Theologe und Philosoph Aconcio nach dem Weggang Scalas von Elisabeth I. berufen wurde, um den Fortgang der Arbeiten in Berwick zu begutachten.
Während die methodischen und theoretischen Ansätze der Festungstheorie Aconcios gut erschlossen werden, bietet die Edition seiner Schrift nur wenig Hilfsmittel, den kultur- und wissenschaftshistorischen Kontext, in dem der Traktat entstanden ist, genauer zu fassen. Aber gerade weil die Publikation Fragen offen lässt bzw. neue aufwirft, ist es ein nicht zu unterschätzender Verdienst der Herausgeber, mit der Edition den Blick auf die Interdisziplinarität des Themas gelenkt zu haben. Die von den Herausgebern geleistete Kontextualisierung der Fortifikationslehre Aconcios zeigt, über das konkrete Beispiel hinaus, dass die Gattung des Fortifikationstraktats auch in einem philosophisch-literarischen und bildgeschichtlichen Rahmen zu analysieren ist und eben nicht als rein militärhistorisches Werk betrachtet werden darf.
Anmerkungen:
[1] Bettina Marten / Ulrich Reinisch / Michael Korey (Hgg.): Festungsbau: Geometrie, Technologie, Sublimierung, Berlin 2012.
[2] Zum Fortifikationstraktat Albrecht Dürers s. Giovanni Maria Fara: Albrecht Dürer teorico dell'architettura. Una storia italiana, Florenz 1999; Horst Bredekamp / Julia Ann Schmidt: Der Architekt als Krieger. Bernardo Puccini und Galileo Galilei, in: Hartmut Böhme / Marco Formisano (Hgg.): Krieg in Worten/War in Word. Transformations of War from Antiquity to Clausewitz; Berlin 2010, 157-188; Alina Payne: Architectural criticism, science, and visual eloquence. Teofilo Gallaccini in seventeenth-century Siena, in: Journal of the Society of Architectural Historians 58 (1999), 146-169; Jan Lazardzig: Theatermaschine und Festungsbau: Paradoxien der Wissensproduktion im 17. Jahrhundert, Berlin 2007.
[3] Alina Payne / Giovani Maria Fara: Teofilo Gallaccini e la critica architettonica a Siena fra XVI e XVII secolo, in: Architetti a Siena, hg. von Daniele Danesi u.a., Mailand 2009, 141-189; z. Z. entsteht eine Forschungsarbeit der Rezensentin zum Fortifikationstraktat Teofilo Gallaccinis, gefördert durch ein Forschungsstipendium an der Bibliotheca Hertziana, Rom.
[4] Andreas Bucher: Das Diagramm in den Bildwissenschaften. Begriffsanalytische, gattungstheoretische und anwendungsorientierte Ansätze in der diagrammtheoretischen Forschung, in: Ingeborg Reichle u.a. (Hgg.): Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft, Berlin 2007, 113-129.
Jacopo Aconcio: Trattato sulle fortificazioni. A cura di Paola Giacomoni (= Studi e testi; 48), Florenz: Leo S. Olschki 2011, V + 212 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-88-222-6068-0, EUR 28,00
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