Schon der Titel verrät, dass im anzuzeigenden Sammelband ganz unterschiedliche Thematiken zwischen zwei Buchdeckel gepackt wurden. Der hauptsächlich aus 'lateinischen' wie 'arabischen' philosophiegeschichtlichen Beiträgen bestehende Band ist daher am besten schrittweise zu besprechen.
Der erste deutliche Schwerpunkt des Bandes liegt in einer gehaltvollen Mittelsektion zur Rezeption des arabischen Aristoteles im lateinischen Europa. Er reiht sich damit in eine Serie jüngerer Bände ein, die mit der Forderung nach einer transkulturellen Wissenschaftsgeschichte Ernst machen wollen. [1] Diesem Vorhaben entspricht auch der einleitende Beitrag Michael Borgoltes (27-50), der einen Überblick über die Formen und Räume kultureller Begegnung zwischen Christen, Juden und Muslimen sowie über die Schritte kultureller Verflechtung und religiöser Abgrenzung gibt. Er betont die Notwendigkeit einer differenzierten Sicht auf das dynamische und heterogene Untersuchungsfeld. Yossef Schwartz (277-300) thematisiert dann vielleicht am explizitesten die aktuellen Bemühungen um eine transkulturelle Sicht. Sein Beitrag diskutiert die schwierige Rezeption arabischer kosmologischer Theorien im zweiten und dritten Viertel des 13. Jahrhunderts. Am Beispiel der Angelologie stellt Schwartz die Unterschiede in der lateinischen Kritik und Adaptation der arabischen Kosmologien vor und arbeitet damit auch die kulturproduktive Seite der ablehnenden Stellungnahmen heraus. Ähnlich bemüht sich Rega Woods Beitrag (115-140) um eine differenziertere Sichtweise auf die lateinische Aneignung des arabischen Wissens in isolierenden, integrierenden oder parallelisierenden Strategien. Nikolaus Dag Hasse (241-258) fragt nach, wie es sich mit dem verschiedentlich behaupteten literarischen und formalen Einfluss der vielgenutzten arabischen Texte auf die lateinische wissensvermittelnde Literatur verhält. Anhand der De anima-Literatur diskutiert er, inwiefern lateinische Texte Eigenheiten der Paraphrase oder des Kommentars von Avicenna und Averroës übernehmen. Im Ergebnis sei zwar die thematische Struktur der lateinischen Schriften - ähnlich wie die Einteilung der Wissenschaften - stark von den Übersetzungen aus dem Arabischen beeinflusst, doch seien die Formen des Kommentierens letztlich schon vor der Rezeption der arabischen Aristoteleskommentare ausgeprägt gewesen und damit höchstens eine Art Hybridbildung.
Eine Reihe weiterer Beiträge nähert sich diesen Rezeptionsprozessen exemplarisch und eröffnet einander ergänzende Perspektiven. Alexander Fidora (77-96) diskutiert nuanciert die Rezeption der aristotelischen Wissenschaftstheorie, die Dominicus Gundissalinus in Auseinandersetzung mit Al-Farabi und dessen Wissenschaftseinteilung vornimmt. Tiana Koutzarova untersucht Avicennas Konzept von Bildung und Wissenschaft als "Genesung". Amos Bertolacci diskutiert den Umgang des Albertus mit den arabischen Quellen. Eingeleitet wird die Sektion zum arabischen Aristoteles zudem von einem ausführlichen und nützlichen Überblick von Gerhard Endress über die Traditionen, Institutionen und verschiedenen "Enzyklopädien" der arabischen Wissenswelt des Früh- und Hochmittelalters (141-191).
Ein zweiter Schwerpunkt des Bandes liegt in einigen Beiträgen, die aus philosophie- und wissenschaftsgeschichtlicher Sicht um das Werk und Wissenschaftsverständnis des Albertus Magnus kreisen und die hier aus Platzgründen nicht einzeln besprochen werden können. Erwähnt sei jedoch Ruedi Imbachs interessanter abschließender Beitrag zu Dantes Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern der Mensch vollständiges Wissen erlangen könne. In Ablehnung der theologisch-thomasischen Lösung sieht Dante in einer geschickten translatio philosophiae nicht das elitäre Streben nach höchstem und letztlich arkanem Wissen als Eigentliches des Menschen an, sondern das Streben nach Wissbarem und nach praktischer Philosophie.
Schwierig bleibt der dritte im Titel angekündigte Schwerpunkt des Bandes zum Ursprung des Ideals der "Bildung durch Wissenschaft". Der Beitrag David Wirmers zu "Bildung durch Wissenschaft bei Ibn Bagga und Ibn Tufail" (206-240) zeigt zunächst, wie man es hätte machen können: Er beginnt in geradezu vorbildlicher Weise mit einer Problematisierung der Frage, was denn das Humboldtsche Ideal einer "Bildung durch Wissenschaft" für das Mittelalter überhaupt bedeuten könne. Wirmer diskutiert dann nicht nur nuanciert das Wissenschafts- und Bildungsverständnis seiner Protagonisten, sondern verortet sie auch sorgfältig politisch und sozial und kommt somit Forderungen der jüngeren Wissensgeschichte nach. [2] Er kann etwa Querverbindungen zwischen der Umarbeitung philosophischer Entwürfe durch Ibn Tufail und den religiösen Vorlieben in dessen almohadischer Umgebung herstellen, so dass ein gelungener Gesamteindruck entsteht. Doch damit steht der Beitrag in dem Band leider fast allein. Nur wenige Beiträge problematisieren die Anwendung des voraussetzungsreichen Konzepts der Bildung sowie der "Bildung durch Wissenschaft". Henryk Anzulewicz' Beitrag zu "Alberts Konzept der Bildung durch Wissenschaft" (382-397) requiriert zwar etwa hohe und wegweisende Bedeutung für Albertus Magnus und sein Werk. Er diskutiert aber weniger ein Konzept der Bildung als schlicht Alberts Vorstellung vom Menschen und seine Erkenntnislehre. Der Aufsatz Martina Roesners zur "Geburt der Idee der Universität" (51-76) wiederholt universitätsgeschichtliches Handbuchwissen, während Maria Burgers Beitrag (97-114) die wichtigen Entwicklungen der universitären Theologie nur andeutet.
Diese stark enthistorisierende Perspektive muss man allerdings wohl zu großen Teilen dem Gesamtkonzept des Bandes anrechnen, das vom Herausgeber Ludger Honnefelder einleitend expliziert (9-26) und im Aufsatz Roesners weitergeführt wird. Offensichtlich nicht zuletzt aus dem Tagungskontext des Humboldt-Jubiläums heraus musste eine Verbindung zwischen Albertus Magnus, Wilhelm von Humboldt und der im Zentrum des Bandes stehenden Aristotelesrezeption geknüpft werden. Der Band tritt deswegen zur Überprüfung der Idee an, ob nicht hinter den "realen Bedingungsfaktoren" der Entstehung der Universität eine "Idee" der Universität (10) stehe, die über Albertus Magnus auf Humboldts "Bildung durch Wissenschaft" vorausweise. Diese Anhäufung von zwangsweise zu bedienenden Themen lässt für eine ergebnisoffene, historisch orientierte Wissens- und Wissenschaftsforschung nicht nur wenig Deutungsspielraum offen. Das Konzept führt auch zu einer Anhäufung von modernisierungstheoretischen Pathosformeln, während gerade für den geschichtswissenschaftlichen Blick der kulturhistorische Kontext zu kurz kommt. Der Band bleibt somit insgesamt heterogen und kann die Verbindung transkulturell orientierter Wissenschaftsgeschichte mit zeitgemäßer Wissens- und Universitätsgeschichte, die dringend wünschenswert wäre, nur andeuten. Immerhin liefern dafür allerdings viele Einzelbeiträge eine Reihe interessanter Bausteine.
Anmerkungen:
[1] Vgl. schon John Marenbon: Medieval Philosophy: An Historical and Philosophical Introduction, New York 2007 oder Andreas Speer / Lydia Wegener (Hgg.): Wissen über Grenzen: Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter (= Miscellanea Mediaevalia, 33), Berlin / New York 2006 und siehe zuletzt Luca Bianchi (ed.): Christian Readings of Aristotle from the Middle Ages to the Renaissance, Studia Artistarum 29, Turnhout 2011.
[2] Vgl. für programmatische Überlegungen zur Wissensgeschichte etwa Achim Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit. Zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, Documenta Augustana 11. Augsburg 2002; Wolfgang Detel / Claus Zittel (Hgg.): Ideals and Cultures of Knowledge in Early Modern Europe, Wissenskulturen und gesellschaftlicher Wandel 2, Berlin 2002.
Ludger Honnefelder (Hg.): Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin: Berlin University Press 2011, 560 S., ISBN 978-3-86280-007-0, EUR 39,90
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