Seit 1870/71 war Frankreich eine Macht, deren weltpolitische Ambitionen nicht mehr recht zu ihren machtpolitischen Möglichkeiten passten. Im 20. Jahrhundert sollten die Versuche von Pariser Regierungen, diese Kluft zu überbrücken, eine Reihe folgenschwerer Fehlentscheidungen nach sich ziehen. Zu nennen wären hier zuvörderst der Versailler Vertrag von 1919, mit dem Frankreichs Sicherheit gegen den deutschen Nachbarn zementiert werden sollte, aber auch die Rückkehr der französischen Kolonialmacht 1945/46 in die im Zweiten Weltkrieg bereits verlorengegangenen indochinesischen Kolonien. Die Glücklosigkeit, mit der die politisch und militärisch überforderten Streitkräfte Frankreichs auf den Schlachtfeldern des anschließenden Krieges agierten, veranlasste ihre amerikanischen Erben, der französischen Kriegserfahrung mit äußerster Geringschätzung zu begegnen. "Die Franzosen haben seit Napoleon keinen Krieg mehr gewonnen. Was also können wir von ihnen lernen?", lautete ein während der Frühphase des amerikanischen Vietnamkriegs unter hochrangigen US-Offizieren beliebtes Bonmot. [1]
Während der amerikanische Vietnamkrieg insbesondere in den USA nach wie vor auf großes Interesse stößt, muss man seinen Vorgängerkonflikt, den französischen Indochina-Krieg, wohl zu den eher vergessenen Kriegen des 20. Jahrhunderts zählen. In seinem Buch Embers of War unternimmt Fredrik Logevall nun den Versuch, diesen Krieg wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu heben und die Rolle, die die USA bereits in diesem Konflikt spielten, nachzuzeichnen. Der Hauptfokus des Bandes ist also ein diplomatiegeschichtlicher. Da Logevall aber die Offenheit der jeweiligen Situation betont, widmet er sich auch ausführlich den militärischen Operationen, durch deren Verlauf der Handlungsspielraum der diplomatischen und politischen Akteure maßgeblich beeinflusst wurde. Überdies interessieren ihn die handelnden Personen, so dass der Leser die verschiedenen Akteure immer wieder in biographischen Nahaufnahmen präsentiert bekommt. Das für ein breites Publikum konzipierte Buch gewinnt dadurch eine literarische Qualität, die seinem wissenschaftlichen Wert allerdings keinen Abbruch tut: Militärische und politische Entscheidungsstrukturen sind in der Regel hochgradig zentralisiert; Vermögen und Unvermögen der jeweiligen Entscheidungsträger kommt daher eine zumindest für den Verlauf der jeweiligen Prozesse bedeutende Rolle zu.
Die Dramaturgie des Buches, das gleichsam vor der schwarzen Wand des Washingtoner Vietnamkriegsdenkmals mit den über 58.000 Namen der amerikanischen Gefallenen endet, wird von Logevalls Frage bestimmt, ob dieser Krieg durch eine andere Politik der USA zu verhindern gewesen wäre. Während er die französischen und vietnamesischen Akteure einfühlsam analysiert und auf jegliche Schärfen verzichtet, fällt seine Kritik der amerikanischen Beteiligten sehr viel heftiger aus. Hier steigert er sich mitunter in einen Furor hinein, welcher an den französischen Autor Jules Roy erinnert, der in seinem frühen Buch über die Entscheidungsschlacht bei Dien Bien Phu wütend mit der Inkompetenz der französischen Militärführung abgerechnet hatte. [2]
Die Hypothesen, der eine wie der andere Krieg sei zu vermeiden gewesen, verbindet sich bei Logevall mit zwei Denkfiguren: Eine Fortsetzung von Präsident Roosevelts anti-kolonialer Politik hätte die Rückkehr Frankreichs nach Indochina überhaupt verhindert, da diese ohne die logistische und militärische Hilfe der USA nicht möglich gewesen wäre. Anstatt den Krieg später durch Beistand und Ansporn zu verschärfen, hätte die amerikanische Diplomatie für Vietnam eine Jugoslawien-Lösung anstreben sollen, unter der das Land zwar kommunistisch geworden, aber aus den Fronten des Kalten Krieges herausgelöst worden wäre. Dieses Ringen Logevalls mit dem tatsächlichen Ablauf der Geschichte bleibt nicht ohne Einfluss auf seine Erzählung: Ho Tschi Minh, der Führer der vietnamesischen Kommunisten, erscheint relativ weichgezeichnet. Logevall hebt stark auf dessen vorgebliche Affinität zu den USA ab, während er dem taktisch versierten Kominternfunktionär nur wenig Aufmerksamkeit widmet, der mit dem Viet Minh eine nationalistische, aber von der kommunistischen Partei beherrschte Sammlungsbewegung geschaffen hatte.
Bei der Schilderung der Kampfhandlungen bemüht sich Logevall um eine Ehrenrettung für die in den USA gern geschmähten französischen Streitkräfte, bei denen es sich um eine koloniale Vielvölkerarmee handelte, die im Laufe des Krieges auch zunehmend Vietnamesen rekrutierte. Ausführlich beschreibt er die erste große französische Niederlage 1950 an der Route coloniale 4, nachdem der Sieg Maos in China zu einer massiven Aufrüstung des Viet Minh geführt hatte. Der anschließende Versuch des militärischen Befehlshabers des Viet Minh, Vo Nguyen Giap, auf Hanoi vorzustoßen, scheiterte am taktischen Geschick des neuen französischen Befehlshabers, General de Lattre des Tassigny, der die in Menschenwellen angreifenden Vietnamesen mit von den Amerikanern gelieferten Napalm-Kanistern zu Asche verbrannte.
Der Krebstod de Lattres ebnete dann aber den Weg für eine Riege mediokrer Nachfolger, die glaubten, mit dem Konzept der Luft-Land-Festung ihre Gegner zu einer vernichtenden Entscheidungsschlacht stellen zu können. In Dien Bien Phu kam es 1954 dann auch zu dieser, allerdings mit einem für die Franzosen verheerenden Ausgang. Logevall widersteht der Versuchung, die französische Entscheidungsfindung vor der Schlacht im Stile Roys als Narrenzug darzustellen. Statt dessen weist er darauf hin, dass die Viet-Minh-Truppen ohne Giaps, gegen den Rat seiner chinesischen Berater getroffene Entscheidung, die Eröffnung der Schlacht im letzten Moment nochmals zu verschieben, durchaus eine blutige Niederlage hätten erleiden können. Das Ergebnis der anschließenden Indochina-Konferenz in Genf relativierte den fulminanten Schlachtfeldsieg des Viet Minh aber stark. Der dort erwirkte Teilungsbeschluss für Vietnam, der zum Ausgangspunkt des amerikanischen Krieges wurde, spiegelte eher die diplomatische Konstellation der Weltmächte als das Kräfteverhältnis auf dem Kriegsschauplatz wieder.
Ohne sich in den Details der Kämpfe zu verlieren, gelingt es Logevall, deren Brutalität deutlich zu machen und die Leidenserfahrungen der Kämpfer beider Seiten in Erinnerung zu rufen. So bedeutete Luftbeweglichkeit für die Franzosen nicht das Ein- und Ausfliegen mit Helikoptern, sondern Fallschirmabsprünge mit anschließendem Rückmarsch durch den Dschungel. Verwundete mussten dabei häufig zurückgelassen werden, so dass sie entweder den nachsetzenden Viet-Minh-Truppen oder dem Ameisen- und Ratten-Fraß zum Opfer fielen. Als die Soldaten des Viet Minh in mehrwöchigen Kämpfen die französischen Stellungen in Dien Bien Phu niederrangen, gab es in ihrer Armee nur einen Chirurgen für tausende von Verletzten. 60 Prozent der in Dien Bien Phu eingesetzten französischen Truppen starben, die meisten davon nach der Schlacht in Gefangenschaft. Nach der französischen Kapitulation bewies Giap allerdings Großmut, als er das Ausfliegen der gegnerischen Schwerverwundeten gestattete.
Auch wenn der Rezensent nicht alle Wertungen Logevalls teilen mag, ist diesem doch ein großartiges Buch geglückt, das sich auf französische, amerikanische, britische und vietnamesische Quellen stützt. Bei letzteren handelt es sich um Übersetzungen, die Logevall aber zum Teil extra anfertigen ließ. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass es im SED-Parteiarchiv eine sehr dichte Überlieferung vietnamesischer Berichte zum Vietnamkrieg gibt, die wegen der nach wie vor dünnen Quellenlage und ihres recht guten analytischen Niveaus durchaus Beachtung verdienten.
Anmerkungen:
[1] Thomas C. Thayer: War Without Fronts. The American Experience in Vietnam, Boulder / London 1985, 8.
[2] Jules Roy: La Bataille de Dien Bien Phu, Paris 1963.
Fredrik Logevall: Embers of War. The Fall of an Empire and the Making of America's Vietnam, New York: Random House 2012, XXII + 839 S., ISBN 978-0-3755-0442-6, USD 40,00
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