Rainer Volk gibt mit seinem Buch am Beispiel des Verfahrens gegen John Demjanjuk einen Einblick in die Arbeitsweise der Journalisten und Medienvertreter bei der Prozessberichterstattung. Er erklärt, wie es zu welcher Art von Sendungen kommt, wie viel Zeit und Mühe in den jeweiligen Berichten steckt und wie stark sie dem Diktat von Redaktionen und Publikum unterliegen. Das Buch hilft verstehen, warum Journalisten in welcher Form über das Geschehen berichten und unter welchem Druck sie teilweise stehen.
Da ich selbst den Prozess gegen John Demjanjuk vor Ort verfolgt und ein Buch darüber geschrieben habe [1] und mich darüber hinaus in meiner Dissertation mit dem Einsatz von Trawniki-Männern in den Vernichtungslagern beschäftige, muss ich voranstellen, dass ich - in gewisser Weise - eine befangene Kritikerin bin.
Nach einer Skizze der Strafprozessgeschichte bezüglich nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in der Bundesrepublik Deutschland beschreibt Volk die juristische Geschichte Demjanjuks und den Beginn des öffentlichen Interesses bzw. der Berichterstattung. Dabei bilanziert er durchaus aufschlussreich, dass "für die Journalisten in dieser frühen Phase die Gemeinsamkeiten mit den Vorgänger-Prozessen gegen Täter in den KZ überwogen". Auffällig oft hätten die Autoren etwa den Namen Demjanjuk mit dem Begriff 'NS-Verbrecher' kombiniert (34). Es folgt eine Beschreibung der Personen und Formalia nicht ohne die in der Kapitelüberschrift bereits formulierte Frage, ob der Fall Demjanjuk ein "Geburtstagsgeschenk" für die Staatsanwälte anlässlich des 50jährigen Bestehens der Zentralen Stelle in Ludwigsburg gewesen sei (35).
Dann führt Volk in die logistischen Begleitumstände des Prozesses sowohl in technischer wie auch in inhaltlicher Form ein, Sendeformate werden vorgestellt, technische Gegebenheiten wie der Kabelanschluss und die Parkplätze vor dem Gerichtsgebäude für einen Ü-Wagen und andere Schwierigkeiten werden erläutert.
Im fünften und sechsten Kapitel folgen die Beweisaufnahme sowie die Plädoyers und im sechsten das Urteil und seine Folgen. Das achte und letzte Kapitel verortet in Thesen den Prozess zwischen Zeitgeschichte, Journalismus und Rechtsprechung.
Interessant ist die Beschreibung Volks über das Arbeitsklima und die Mischung aus Langeweile in trockenen Strecken des Prozesses und der Panik der Journalisten, ein Anderer könnte wichtige Informationen erhalten. Schade ist, dass Volk an einigen Stellen hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Zum Beispiel wäre eine Auswertung der Presse - über Einzelbeispiele hinaus -, was Stimmung und Vermittlung von "Gerechtigkeit" (und Gerechtigkeitsfantasien) angeht, spannend gewesen. Bei der Beschreibung von Zeugen bilanziert Volk teilweise sehr subjektiv, der Zeuge Walther sei stets souverän und gelassen mit dem Verteidiger Busch umgegangen - eine Meinung der nicht alle Beobachter des Prozesses zustimmten. Folgendes aus persönlichen Gründen ausgesuchte Beispiel verdeutlicht dies: So verwendet Volk ein Zitat aus meinem Buch "Der Henkersknecht" und erläutert dann: "um den Kontext dieser Reflexion" - Juristen und Historiker hätten es schwer miteinander (78) - besser zu verstehen, "ist es hilfreich zu wissen, dass Benz selbst vom Gericht das Angebot hatte, ein Gutachten zu verfassen, das sie jedoch ausschlug." Richtig ist jedoch: Zu keinem Zeitpunkt hat das Gericht mich als Gutachterin angefragt. Der Staatsanwalt bat mich, ihm alle von mir in mehreren Jahren zusammengetragenen Unterlagen zu den Trawniki-Männern zu kopieren und zuzuschicken. Dies lehnte ich ab, bot aber ein Gutachten und damit auch die Nutzung meiner Quellen an.
Das Buch vermittelt einen fundierten Eindruck, wie schwierig es für Journalisten (die nicht immer über einschlägige Kenntnisse - in diesem Falle Rechtswissenschaften und Geschichte - verfügen) ist, eine Materie zu erfassen und zu vermitteln, die hochkomplex ist. Vor allem - und dies ist ein wichtiger Punkt des Buches - unter den Umständen, die das immer schnellere System von Nachrichten, Berichterstattung und Informationsabfrage mit sich bringt und das Journalisten und Redakteuren oft die Zeit nimmt, sich wirklich mit der Materie zu beschäftigen. Wenn sie mithalten wollen, so ein Eindruck, den das Buch hinterlässt, müssen sie sich dem Diktat der Geschwindigkeit und den Zwängen der Formate anpassen, ob das nun zu dem zu beschreibenden Fall passt oder eben auch nicht.
Das Buch hat damit einen anderen Anspruch und einen ganz anderen Blickwinkel als die bisher zum Prozess erschienenen Titel. Während das Buch von Heinrich Wefing [2] die Person Demjanjuks und seine Lebensgeschichte in den Vordergrund stellt, ich selbst eine detaillierte Beschreibung einzelner Prozesstage sowie historische Daten zur Geschichte der Trawniki-Männer gebe und Verteidiger Busch sein gesamtes Schlussplädoyer unter dem Titel "Der Sündenbock" publizierte, nähert sich Rainer Volk der Causa Demjanjuk auf ganz andere Weise. Er beleuchtet den Umgang der Medien mit dem Prozess und die Hintergründe sowie die Umstände der Berichterstattung. Als Bilanz bleibt: Historiker und Juristen haben es schwer miteinander. Historiker und Journalisten zuweilen auch. Doch die Arbeit des anderen zu verstehen und sich bewusst zu machen, mit welchen Mitteln und in welcher Art die Arbeit des einen Prozess begleitenden Journalisten funktioniert und vor welche Herausforderungen er gestellt wird, ist spannend und gibt einen sehr willkommenen Einblick in die Welt hinter den Berichten und Artikeln, die uns tagtäglich mit Informationen versorgen.
Anmerkungen:
[1] Angelika Benz: Der Henkersknecht. Der Prozess gegen John Iwan Demjanjuk, Berlin 2011.
[2] Heinrich Wefing: Der Fall Demjanjuk. Der letzte große NS-Prozess, München 2011.
Rainer Volk: Das letzte Urteil. Die Medien und der Demjanjuk-Prozess (= Zeitgeschichte im Gespräch; Bd. 14), München: Oldenbourg 2012, 142 S., ISBN 978-3-486-71698-6, EUR 16,80
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