sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8

Ulrich Helbach (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945

Der Quellenband ist Teil der umfangreichen Aktenedition zur vorkonziliaren katholischen Kirche Deutschlands in Ost und West, die von der Kommission für Zeitgeschichte herausgegeben wird. Unter dem zentralen Selektionskriterium bischöflichen Handelns werten die Bearbeiter Akten von Bischofskonferenzen, Bischofsnachlässe und andere bischöfliche Akten für ihre Auswahledition aus. Die von Ulrich Helbach, dem Leiter des Archivs des Erzbistums Köln, vorgelegten zwei Teilbände für 1945 bis 1947 beleuchten die Jahre der Besatzung, die auch für die katholische Kirche eine Scharnierzeit für die Weiter- und Neubestimmung ihrer Position und ihres Handelns waren. Obgleich diese Edition an die "Akten deutscher Bischöfe 1933 bis 1945" und die "Akten Kardinal Michael von Faulhabers" anschließt und den Band VI der "Akten deutscher Bischöfe" editorisch kommentierend aufgreift [1], eröffnen die hier publizierten Dokumente viel tiefergehende Einblicke in die Selbstwahrnehmung der katholischen Kirche und die Problemkonstellationen bischöflichen Handelns in Zeiten einer Besatzungsherrschaft.

Die 408 edierten Texte (72 zum Jahr 1945, 191 zu 1946 und 145 zu 1947) basieren auf einer Vorauswahl von 3000 Dokumenten aus 50 kirchlichen Archiven, weitere 600 fließen in die überaus kenntnisreiche und sorgfältige Kommentierung ein. Nützliche Beigaben helfen, die thematische Vielfalt zu erschließen und sich in die Materie einzuarbeiten: So enthält der Band ein Verzeichnis aller Bischöfe und Kapitularvikare im Bereich der Fuldaer Bischofskonferenz mit Kurzbiografien, eine tabellarische Übersicht der Teilnehmer an Bischofskonferenzen und -treffen, eine instruktive Karte zu den deutschen Bistümern inmitten der bekanntlich nicht deckungsgleich verlaufenden politischen Grenzen, ein chronologisches Dokumentenverzeichnis, das die abgedruckten wie auch die für die Kommentierung herangezogenen Akten umfasst, ein Personen-, Orts- und Sachregister und ein Quellen- und Literaturverzeichnis.

Die Einleitung informiert über das Gesamtunternehmen der Edition, erläutert plausibel die Auswahlkriterien und die editorischen Grundlagen. Ausgehend von den dargebotenen Quellen führt Helbach knapp, aber versiert in die wesentlichen Problemfelder ein, streift dabei kurz die Literaturlage, verzichtet aber auf eine Einordnung in den Forschungsstand. Die Präsentation der Dokumente samt editorischem Apparat erfolgt mit der für die Quellenreihen der Kommission für Zeitgeschichte gewohnten methodischen Reflexion und Sorgfalt.

Die Edition konzentriert sich auf das Handeln der Bischöfe - und darin liegt zunächst ihr besonderer Wert, denn diese bischöflichen Akten sind es, die für Benutzer kirchlicher Archive oft schwerer einzusehen sind als andere Bestände. Auf dieser Grundlage wählt der Bearbeiter im Sinne des Katholizismus-Forschungskonzepts der Kommission für Zeitgeschichte solche Themenfelder aus, die, erstens, die politisch-gesellschaftliche Rolle der katholischen Kirche tangieren (etwa die Entnazifizierung oder die Auseinandersetzungen um Schulfragen), zweitens, zentrale soziale Fragen (etwa Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene, Hunger und Obdachlosigkeit) berühren und, drittens, kirchliche Fragen, wobei die gesellschaftliche Dimension stärker im Vordergrund steht als die theologische (etwa Überlegungen zur Organisation kirchlichen Lebens und zur Rolle von Laien).

Die besondere Bedeutung dieser Edition liegt in der Auswahl interner Korrespondenzen und Dokumente der Bischöfe, die deren politisch-gesellschaftliches Handeln, die Begründungsmuster und Motivstrukturen kircheninterner Abstimmungsverfahren und katholische Netzwerke aufzeigen. Die enorme Spannbreite der Themen und deren Verflechtungen mit der allgemeinen Geschichte machen diesen Band zu einer Fundgrube für weit über den katholisch-kirchlichen Bereich hinausreichende Forschungsperspektiven zur deutschen Nachkriegsgeschichte. So behandelt eine Reihe von Dokumenten politikgeschichtliche Themen, wie das Verhältnis zu den westlichen Besatzungsmächten, das Spannungen erzeugende Verhalten gegenüber NS-Tätern, aber auch generell den Umgang mit der NS-Vergangenheit. Themen der Sozial- und Mentalitätsgeschichte werden ebenso beleuchtet wie die (Selbst-)Wahrnehmung der Kirche, Probleme des Kirchenvolks und ihrer (Neu-)Organisation; zumindest in Schlaglichtern werden Aspekte des Wertewandels berührt - etwa Frauen- und Geschlechterrollen oder die methodisch schwer zu fassenden Fragen von religiöser Erschütterung und Glaubensverlust.

Da weder die Themenfülle noch die Einzeldokumente hier vorgestellt werden können, seien im Folgenden nur einige Linien gezogen und Beobachtungen zusammengetragen. Erwartungsgemäß enthält die Sammlung Protokolle von verschiedenen Bischofskonferenzen: zunächst die Protokolle der erstmals seit 1943 wieder einmal jährlich stattfindenden Fuldaer Bischofskonferenz, die noch ohne Sekretariat agierte. 1945 fehlte der verstorbene frühere Vorsitzende Kardinal Bertram, neu dabei war Erzbischof Josef Frings aus Köln, der nach Kriegsende auch den Vorsitz übernahm. Abgedruckt sind außerdem Protokolle der bayerischen Bischofskonferenzen, der westdeutschen Bischofskonferenzen 1945 bis 1947 und von Metropolitenkonferenzen 1946 und 1947. Außerhalb dieser Treffen gab es Helbach zufolge kaum persönlichen Austausch der Bischöfe untereinander. Der Band belegt weiter die Kontakte nach Rom zu Papst Pius XII., den vor allem die süddeutschen Bischöfe noch persönlich kannten. Die Bischöfe wandten sich zunächst in Briefen an den Papst, denn Rombesuche waren 1945 und 1946 noch schwierig. Der Band gibt Aufschluss über die Visitationsreise Ivo Zeigers SJ, der im Auftrag des Papstes im September 1945 die 13 deutschen Bistümer bereiste, und über die Rolle von Aloisius Muench, den Pius 1946 zum päpstlichen Visitator ernannte und der im Umfeld der Bischofskonferenzen zwar anwesend war, an ihnen aber nicht teilnahm.

Quantitativ umfangreicher ist der Anteil der Dokumente zu bischöflichen Handlungen außerhalb von Bischofsversammlungen. Aus aktuellem Anlass verdient das Auftaktdokument, erwähnt zu werden. Auf der Frühjahrsvollversammlung 2013 hat die Deutsche Bischofskonferenz die sogenannte "Pille danach" für Vergewaltigungsopfer freigegeben, wenn diese Präparate nur empfängnisverhütend und nicht abortiv wirken. Dokument 1 behandelt dieses moraltheologisch heikle Thema angesichts steigender Zahlen von Vergewaltigungen im Zuge der Besetzung Deutschlands im Frühjahr 1945. Im Erzbistum Paderborn erging am 12. April 1945 ein Schreiben des Generalvikars von Rintelen an die Seelsorger, das im Kern auch damals empfängnisverhütende Methoden für betroffene Frauen zuließ. Das für den internen Gebrauch bestimmte Schreiben differenzierte sorgfältig zwischen abortiven und empfängnisverhütenden Methoden sowie zwischen angemessenen Maßnahmen bei Jungfrauen oder anderen Betroffenen. Das Dokument 265 vom 2. Januar 1947, ein Schreiben von Kardinal Frings für den deutschen Episkopat an den Alliierten Kontrollrat, nimmt im Zuge der gesetzgeberischen Debatte um den Paragraphen 218 im Vergleich zum situativen, aus der Not geborenem Rat von 1945 eine Engführung vor. 1947 überwog die Skepsis gegenüber weiblichen Aussagen in "Notzuchtfällen", denn "Notzucht" sei schwer nachzuweisen und könne nur im Falle von auf "frischer Tat ertappt" als ethische Indikation in Erwägung gezogen werden.

Über mehrere Stichwörter im Register lässt sich der Themenkomplex Umgang mit dem Nationalsozialismus erschließen, grundsätzlich aber, so Helbach in der Einleitung (19f.), beschäftigten sich die Bischöfe keineswegs vordringlich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Zum Hirtenwort vom August 1945 enthält der Band eine Vorfassung aus Aachen im Vergleich mit der Überarbeitung durch Bischof von Galen (Dokument 121). Auch der Papst bemühte sich offenbar, bischöfliche Verhaltensweisen gegenüber dem NS-Regime zu würdigen, wie ein Schreiben seines Privatsekretärs, Pater Robert Leiber, an Konrad Graf von Preysing (Berlin) vom 7. Januar 1946 nahelegt (Dokument 77). Demzufolge stand für Pius fest, 1946 die Kardinalswürde an Preysing, der im deutschen Episkopat eine regimekritische Position innehatte, und an den neu berufenen Metropoliten in Köln, Josef Frings, zu vergeben; die dritte Kardinalswürde ging an den öffentlich gegen die Euthanasie auftretenden Bischof von Galen aus Münster; dezidiert unberücksichtigt blieb - obgleich Pius ihn seit seinen Jahren als Nuntius im Deutschen Reich persönlich kannte - Erzbischof Gröber aus Freiburg, der der SS angehört hatte und zweifellos bis 1935 regimenah gewesen war.

Einen unverstellten Einblick in persönliche Zerrüttung und Glaubenskrisen von Feldgeistlichen eröffnet ein Bericht von Georg Werthmann, 1945 kommissarischer Feldbischof der Wehrmacht und später Militärgeneralvikar für die Bundeswehr, über die Feldseelsorge von 1935 bis 1945 (Dokument 9). Der Band enthält eine Fülle an Dokumenten zu Kirchenvolk und Gläubigen, zu frühen Laienorganisationen (u.a. Dokument 8, Katholikenausschüsse in Frankfurt, Dokument 84, Katholischer Volksbund im Bistum Limburg, 18.1.1946), zum Scheitern der Gründung eines Zentralkomitees der Katholiken zu diesem Zeitpunkt im Zuge der Debatten um die linkskatholische Publizistik (Dokument 26, 341, 266, 370), oder auch zur Skepsis Oswald von Nell-Breunings SJ gegenüber einer "Überbetonung" des Pfarrprinzips und manchen Auslegungen der Katholischen Aktion (Dokument 29).

Aufgrund des Sachprinzips in der Zusammenstellung der Dokumente liegt der Fokus auf den Bischöfen Frings und Gröber. Die Zusammenschau von Dokumenten aus 50 Archiven ermöglicht es, unterschiedliche bischöfliche Vorgehensweisen, Positionen und Interessen aufzuspüren, nicht zuletzt dank des sachkundigen Kommentars. Eine Reihe von Dokumenten charakterisiert Erzbischof Gröber aus Freiburg als intern mitteilsamen, nach außen in Predigten wortgewaltig argumentierenden Kirchenmann, der häufig im Opferdiskurs des Kirchenvolkes sprach und laut Helbach wenig strategisch dachte. Blass bleiben hingegen Faulhaber (München-Freising), Wendel (Speyer) und Preysing (Berlin). Für das Verhältnis der Bischöfe untereinander zeichnet sich schon in diesem Band ab, dass die nordwestdeutschen Bischöfe und die süddeutschen unterschiedliche Positionen vertraten, z.B. wenn es um die Verteilung der finanziellen Lasten oder darum ging, die vielen katholischen Flüchtlinge und Vertriebenen in die nordwestdeutschen Bistümer zu integrieren.

Zum Stichwort "Antisemitismus" verweist das Register auf zwei Dokumente, darunter Nr. 360: Nahe an der persönlichen Problemlage von Teilen des Kirchenvolks machte der Mainzer Bischof Stohr gegenüber britischen Militärbehörden den bizarren Vorschlag, aus Konzentrationslagern entlassene und bisher in deutschen Privatwohnungen einquartierte "Ostjuden" besser in frei stehenden militärischen Zweckbauten unterzubringen, um (Eigentums-)Konflikte zu vermeiden.

Schließlich markieren zahlreiche Dokumente die Machtverhältnisse im besetzten Deutschland. Im Juli 1946 richteten die Metropoliten ein Schreiben an den amerikanischen Präsidenten Truman (Dokument 161), in dem sie auf Not und Hunger hinwiesen und um Hilfe für den europäischen Aufbau baten. General Clay verweigerte die Weiterleitung an Truman, und die Erzbischöfe befürchteten eine Belastung der Beziehungen zwischen katholischer Kirche und amerikanischer Besatzungsmacht durch diese Angelegenheit.

Helbach beurteilt die Dokumente 10, 142 und 165 als Schlüsseldokumente, daher sei darauf abschließend verwiesen. Bei Dokument 10 handelt es sich um einen Entwurf Bischof Jaegers aus Paderborn für eine Eingabe der westdeutschen Bischöfe an Pius XII. zur Kollektivschuldfrage vom Juni 1945. Dokument 142, eine Stellungnahme von Hermann Joseph Schmitt für das Generalvikariat Köln zur Lage der Priester im KZ Dachau, die vor Mai 1946 verfasst wurde, berichtet u.a. über die Enttäuschung der inhaftierten Geistlichen, "daß sie von ihren Ordinariaten und Bischöfen kein oder nur selten ein Wort des Trostes oder der Aufmunterung hörten" (531). Als Dokument 165 ist die Erklärung für den Internationalen Militärgerichtshof zu Nürnberg, datiert vom 4. Juli 1946 aus der Feder Kardinal Frings bzw. Generalvikar Davids, abgedruckt. Sie greift u.a. die Frage auf, ob die SA eine verbrecherische Organisation war.

Die Edition eröffnet erstmals dezidierte Einblicke in bischöfliches Handeln und stellt aufschlussreiche Materialien für mentalitätshistorische Fragen zur Verfügung. Das Bild des Nachkriegskatholizismus, das daraus entsteht, ist so noch nicht präsentiert worden. Viele Dokumente führen die chaotische Situation Nachkriegsdeutschlands plastisch vor Augen und beleuchten die nicht unproblematische Rolle der katholischen Kirche als Anwalt der Deutschen gegenüber den Besatzungsmächten.

Die Stärke des Bearbeiters liegt zweifellos in der Kommentierung. Helbach führt eine schier unermessliche Fülle einordnender Hinweise und weiterführender Informationen und Literatur an. Im Kommentarteil sind etwa weitere Kurzbiographien zu erwähnten Personen und Literaturhinweise - man muss bedauernd hinzufügen - gut "versteckt". Denn einmalige Nachweise werden - wie für solche Quelleneditionen üblich - nicht ins Literaturverzeichnis aufgenommen. Nicht ins Gewicht fallen Literaturlücken. So erschließt der Band über Literaturhinweise manche Debatten nicht, so die ambivalente Rolle Gröbers vor allem bis 1935 gegenüber dem Nationalsozialismus, die in Zusammenhang mit seinen nach 1945 reaktivierten und hier dokumentierten jüdischen Kontakten zu sehen ist, oder etwa die jüngere und kritischere Einschätzung von Aloisius Muench. [2]

Der Quellenband versteht sich im besten Sinne als Dienstleistung und Grundlagenforschung, der für weitere Untersuchungen klug ausgewählte und hoch interessante Dokumente bereitstellt. Eine solche Zusammenschau kann Einzelforschung nicht leisten, hierfür ist diese Editionstätigkeit unerlässlich. Die mustergültigen traditionellen Erschließungshilfen können freilich nicht leisten, was durch eine digitale Publikationsform für die historische Forschung mittlerweile möglich wäre. So ist dem Gesamtunternehmen zweierlei zu wünschen: viele interessierte Benutzer und eine digitale Publikationsform.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. VI (1943-1945), bearb. von Ludwig Volk, Mainz 1985; Akten Kardinal Michael von Faulhabers, Bd. III (1945-1952), bearb. von Heinz Hürten, Paderborn u.a. 2002.

[2] Vgl. Suzanne Brown-Fleming: The Holocaust and Catholic Conscience: Cardinal Aloisius Muench and the guilt question in Germany, Notre Dame/Indiana 2006.

Rezension über:

Ulrich Helbach (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen 1945-1947 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe A: Quellen; Bd. 54), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, 2 Bde., 1495 S., ISBN 978-3-506-72869-2, EUR 216,00

Rezension von:
Theresia Bauer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Empfohlene Zitierweise:
Theresia Bauer: Rezension von: Ulrich Helbach (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen 1945-1947, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/07/17874.html


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