Sowohl die Erforschung stadtinterner Verhältnisse unter Einbezug verschiedener Rechtskreise und der Möglichkeiten zur Durchsetzung von Gerichtsurteilen, als auch die Frage nach Kriminalität in der Stadt sowie nach dem Umgang der Führungsgruppen mit diesen Verbrechen stehen seit einiger Zeit im Zentrum der Städteforschung. [1]
Turning befasst sich in ihrer Dissertation mit der zentralen Frage, wie Stadtbevölkerung und die kommunale Führungsgruppe im Toulouse des 13. und 14. Jahrhunderts mit dem "overlap of authority and changes in a city's judicial system" (3) umgingen, nachdem die Albigenser niedergeschlagen waren und der französische König sowie die Kirche tiefer in die innerstädtischen Rechtskreise einzugreifen versuchten. Neben dem Handel sorgte die Universität für einen nicht versiegenden Zustrom von Menschen in die Stadt und damit für weiteres Konfliktpotenzial. Turning platziert ihre Arbeit also in einem Forschungsfeld, zu dem zwar nicht wenige Publikationen vorhanden sind, in dem die Vielfalt der Erscheinungsformen aber immer wieder Einzelstudien notwendig macht. [2]
Die Studie ist nach einer Einleitung (1-15) in fünf Kapitel gegliedert, in denen das Verhältnis zwischen den kommunalen Führungsgremien, den königlichen Verwaltern, der neu gegründeten Universität sowie den Bewohnern der Stadt untersucht wird: 1. From Count to King: The Capitols' Struggle to Maintain Control over the Legal Structure of Toulouse (17-41), 2. The Spatial Distribution of Crime in Toulouse (43-71), 3. 'With an Angry Face and Teeth Clenched': Personal Conflict and Public Resolution (73-101), 4. Forces of Order, Forces of Disorder: Corrupt Officers and the Confusion of Authority (103-135), 5. The Power to Punish in Medieval Toulouse (137-176). Es folgt eine abschließende Zusammenfassung (177-183).
Turning geht dabei so vor, dass sie von der allgemeineren Situierung der Stadtverhältnisse überleitet auf die Tätigkeiten der an der Verwaltung von Toulouse beteiligten Personen. Hierbei liegt der Schwerpunkt deutlich auf den Verbrechensformen, die in den ausgewerteten Archivbeständen belegt sind. Verortet werden die durch die städtische Führungsgruppe der 'capitols' kriminalisierten Taten an den hoch frequentierten Plätzen der Stadt, was Turning auch selbst wenig überrascht (65). Demgegenüber seien in der Nähe der Stadttore weniger Fälle beobachtet worden (71).
Die Struktur der Stadt habe darüber hinaus zu Streit unter Wettbewerbern geführt, so dass "the courtroom was an environment where they [die 'capitols', Anm. des Rezensenten] interacted with established members of the public, and they exerted authority by rendering justice for victims and their families" (43). Zur Untermauerung führt Turning einige kurze Fälle an, die vor Gericht kamen und von denen man durch ein "extant criminal register from 1332" (43) wisse. Erhofft sich der Leser hier verschiedene länger diskutierte Fallbeispiele, muss man sich mit einer größeren Anzahl von Schlaglichtern begnügen, die durch die knappen Angaben der Quellen vorgegeben sind. Ihr Vorteil allerdings liegt in der genauen Verortung der Taten in der Stadt (67-68).
Die Öffentlichkeit ist einer der Faktoren, nach denen Turning in ihrer Studie fragt. Und so sei es, vor allem aufgrund der Quellenlage (100), weniger eine die Stadt und ihre Gerichte mit Verbrechen überschwemmende "fringe underworld of transients, thieves and murderes" als eine Konkurrenz zwischen den anerkannten Handwerkern und Händlern von Toulouse gewesen, die für Gerichtsprozesse sorgte (73). Die herangezogenen Fälle zeigen "a nuanced escalation of exchanges between neighbours before their conflict turned violent" (73). Oft hätten missgünstige Händler sogar die Öffentlichkeit geplant in die Eröffnung des Konflikts einbezogen (82). Die städtische Öffentlichkeit, so Turning, habe zudem bei der Strafverfolgung aktiv geholfen (89).
Danach befasst sich Turning mit den Personen, die als "servientes" (107) bezeichnete Amtsleute für die Gefangennahme von Straftätern eingesetzt wurden und die Stadtbevölkerung besonders in der Nacht schützen sollten (109). Doch waren diese städtischen Amtsleute in nicht wenigen Fällen selbst in kriminelle Machenschaften verstrickt, was sich besonders in ihrer Bestechlichkeit gezeigt habe (117-126). Trotz dieser Korruption nahmen sie aber auch eine Vermittlerrolle zwischen den "capitols" und der restlichen Bevölkerung der Stadt Toulouse ein.
Turning nutzt das fünfte Kapitel dazu, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie die tolosanische Stadtbevölkerung in ihrem Alltag mit der "power to punish" (137) konfrontiert wurde. Die Gerichtsprozesse gegen Aimery Berenger und Berangaria Vitalis zeigen, wie stark die Konkurrenz der Gerichte im Toulouse des späten Mittelalters gewesen sein muss. Bei diesen Fällen kam es zu Massenaufläufen der Stadtbevölkerung, um der Hinrichtung beizuwohnen ("Punishment as Spectacle in Toulouse", 142-153), bei denen die "capitols" ihre Autorität symbolisch unter Beweis stellen konnten (153). Gerechtigkeit habe gar durch öffentliches Spektakel hergestellt werden müssen (153). Wie dabei der Anschauungs- und gleichzeitige Abschreckungswert der Strafen ausgedrückt werden konnte, zeigt Turning mit einem Zitat aus der Historia Albigensis des Peter von Vaux-de-Cernay, wo von verschiedenen Verstümmelungen der zu bestrafenden Personen die Rede ist (154). Zusätzlich thematisiert Turning in diesem Kapitel die Bestimmungen über die Haftbedingungen der verurteilten Straftäter und kann dabei gewisse Parallelen zum spätmittelalterlichen London aufzeigen (158-159).
In den 1330er Jahren hat nach Turning eine weitgehende Integration der Stadt Toulouse in das kapetingische Königreich stattgefunden. Diese Integration musste aber, nicht zuletzt durch die vom König entsandten juristisch geschulten Fachleute und die auch der Öffentlichkeit präsenten Wachleute vor dem zentralen städtischen Verwaltungsgebäude ("town hall", 177), erst vor Ort durchgesetzt werden (176). Turning zeichnet eine "harsh reality" vom Leben im spätmittelalterlichen Toulouse - etwas, was sich deutlich vom in der Forschung ansonsten bemühten Bild einer Stadt der Dichter und Denker unterscheidet (182).
Patricia Turning hat eine sehr konzis gearbeitete Studie der Strafverfolgung im Toulouse des späten Mittelalters vorgelegt, die auch durch eine abgerundete Zusammenfassung besticht. Kritisch zu bemerken sind die nur ausgewählte Bibliographie am Ende sowie die (den meisten englischsprachigen Publikationen eigene) grobe Struktur des Inhaltsverzeichnisses, das lediglich die Überschriften der Hauptkapitel umfasst. Ein Register beschließt den gewinnbringenden, kompakten und dadurch sehr gut zu bewältigenden Band.
Anmerkungen:
[1] Siehe zum Beispiel den Überblick von Gerd Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung, Frankfurt am Main 2011.
[2] Verwiesen sei hier beispielsweise allgemein auf den Sammelband von Franz-Josef Arlinghaus / Ingrid Baumgärtner et al. (Hgg.): Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters, Frankfurt am Main 2006 sowie, aus Sicht der Konfliktforschung, auf Bernd-Ulrich Hergemöller: Uplop - Seditio. Innerstädtische Unruhen des 14. und 15. Jahrhunderts im engeren Reichsgebiet. Schematisierte vergleichende Konfliktanalyse, Hamburg 2010. Vgl. außerdem für den Übergang von Spätmittelalter und Früher Neuzeit Andrea Bendlage: Henkers Hetzbruder. Das Strafverfolgungspersonal der Reichsstadt Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert, Konstanz 2003.
Patricia Turning: Municipal Officials, Their Public, and the Negotiation of Justice in Medieval Languedoc. Fear Not the Madness of the Raging Mob (= Later Medieval Europe; Vol. 10), Leiden / Boston: Brill 2012, VIII + 199 S., ISBN 978-9-0042-3464-2, EUR 101,00
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