sehepunkte 13 (2013), Nr. 11

Thomas Haas: Geistliche als Kreuzfahrer

Thomas Haas geht in seiner Heidelberger Dissertation von 2008, die im Rahmen des DFG Schwerpunktprogramms 1173 "Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter" entstanden ist, den Fragen nach, welche aktiven Aufgaben der Klerus im Rahmen des Ersten bis Vierten Kreuzzuges übernommen hat und welches Bild erzählende Quellen von Geistlichen als Kreuzfahrern entwerfen. Angesichts der Ausrichtung des Christentums auf das friedliche Wirken Christi und die Nächstenliebe interessiert ihn, wie Geistliche ihre Verpflichtung der Heilsvermittlung mit dem Töten von Menschen vereinbaren konnten.

In der Einleitung schildert Haas sehr knapp den Forschungsstand, erklärt Begrifflichkeiten wie "Kreuzzug", "Kreuzfahrer" und "Geistliche" und skizziert eigene Untersuchungsparameter für seine Studie. Grundlegend sei demnach die Unterscheidung von geistlichem Handeln (wie Beten, Segnen und Predigen) und weltlichem Handeln (wie etwa Beratung, Schlichtung und Teilnahme an Kampfhandlungen). Haas bestimmt zudem die Zielrichtung von Akten geistlicher Kreuzfahrer nach "innen und außen", um damit ein Spektrum von Handlungsfeldern zu beschreiben, die entweder die Kreuzfahrer selbst oder aber Kontakte zu Muslimen, Juden oder nicht-lateinischen Christen betreffen. Als Untersuchungsgegenstand benennt er erzählende Quellen zu den Kreuzzügen bis 1221, ohne an dieser Stelle jedoch die von ihm ebenfalls ausgewerteten Kreuzzugsbriefe zu erwähnen. Im nachfolgenden zweiten Kapitel steht der Erste Kreuzzug unverkennbar im Zentrum der Ausführungen, während die späteren Kreuzzüge in einem Gliederungspunkt gebündelt behandelt werden. Haas beginnt mit einem ereignisgeschichtlichen Überblick über den jeweiligen Kreuzzug und bereitet das relevante historiographische Material quellenkundlich auf, bevor er die einzelnen Berichte auf Informationen über geistliche Kreuzfahrer überprüft und zuletzt die angeführten Belegstellen auswertet. Im dritten Kapitel, das stärker analytisch und systematisch angelegt ist, untersucht er die historiographischen Schilderungen nun erneut mit Blick auf die internen und externen Aspekte geistlicher Kreuzzugsteilnahme. Militärseelsorge, Motivation und Identifikationsstiftung, Visionen, Rat und Ermahnung stehen so etwa neben Diplomatie, externen Gesandtschaften und Gewalthandlungen. Das vierte, abschließende Kapitel präsentiert eine Synthese der Arbeit, wobei Haas zunächst das Wirken Adhémars von Le Puy, Peters von Amiens und Gottfrieds von Würzburg exemplarisch heranzieht, um aufzuzeigen, wie sich Rolle und Aufgaben Geistlicher in den Kreuzzügen des hohen Mittelalters entwickelten, bevor er seine Ergebnisse zusammenfasst.

Die Auswertung der analysierten historiographischen Quellen ergibt ein vielschichtiges Bild geistlicher Handlungsfelder auf Kreuzzügen. Für den Ersten Kreuzzug stellt Haas fest, dass sämtliche Geschichtsschreiber von der Ausübung klassisch geistlicher Pflichten wie Beten, Predigen oder Bußritualen berichten, wobei insbesondere die Buße als unmittelbar kausal mit dem Verlauf des Kreuzzuges verknüpft erscheint. Darüber hinaus akzentuiere die Chronistik Geistliche als Empfänger und Verkünder göttlicher Botschaften mittels Visionen. Die militärische Rolle der Geistlichen im Kampfeinsatz wird hingegen hauptsächlich im Zusammenhang mit Adhémar von Le Puy beschrieben, der für fast alle von Haas untersuchten Aspekte geistlicher Kreuzzugsteilnahme herangezogen werden kann und damit zur zentralen Figur avanciert. In der Regel begegnen uns Geistliche allerdings als namenloses Kollektiv. Peter von Amiens wird als einziger Geistlicher, der nicht dem hohen Klerus angehört, regelmäßig in der Historiographie erwähnt, wenngleich die Nachrichten über ihn meist fragmentarischer Natur sind und ein mit außergewöhnlichen Funktionen betrauter Heerführer wie er nicht stellvertretend für die einfache Geistlichkeit stehen kann. In den Berichten über spätere Kreuzzüge nehmen geistliche Handlungen des Klerus insgesamt weniger Raum ein als zuvor, allerdings werden Kampfhandlungen und Gesandtschaften geistlicher Kreuzfahrer nun stärker herausgestellt. Kämpfende Geistliche gehören demnach zum Standardrepertoire der Kreuzzugschronistik, wenngleich unterschiedliche Ausprägungen im Verhältnis des Klerus zur Gewalt sichtbar werden. Haas betont darüber hinaus, dass Geistliche in den erzählenden Quellen der späteren Unternehmungen fast nur noch als konkret zu identifizierende Vertreter des hohen Klerus Erwähnung finden, wenn sie für den Verlauf des Kreuzzuges entscheidend waren, wie etwa Gottfried von Würzburg.

Insgesamt fällt eine starke Ungleichgewichtung der in den Blick genommenen Kreuzzugsunternehmungen auf. Die von Haas vorgenommene Fokussierung auf die quantitative Erfassung von geistlichem und weltlichem, internem und externem Handeln erschließt sich als analytisches Instrument nicht in dem beabsichtigten Ausmaß. So bleiben Reichweite und Auswirkungen der daraus resultierenden Aussagen offen, wenn Haas etwa im Resümee konstatiert: "Prinzipiell weisen die Werke ein Übergewicht der nach innen gerichteten gegenüber den externen Aktionen auf, die Spanne reicht hierbei aber von der dreifachen bis zur elffachen Überzahl." (288) Kritisch anzumerken bleibt zudem, dass die tatsächliche Gliederung des Fließtextes weitaus kleinschrittiger ist, als das Inhaltsverzeichnis suggeriert. Wenn Haas zu Beginn des zweiten Kapitels zu den einzelnen Kreuzzügen nach der Vorstellung von Quelle und Autor jeweils eine rein deskriptive Wiedergabe des Inhalts ("Inhalt mit Bezug auf geistliche Kreuzfahrer", 48) folgen lässt, bevor er in einem dritten Schritt die zuvor präsentierten Textstellen auf die Fragestellung hin auswertet, dann wirken dieses Schema und die zahlreichen Belegstellen wegen der additiven Reihung und sogar Wiederholung von Informationen ermüdend. Außerdem treten Motive und Intentionen der einzelnen Historiographen zugunsten einer beschreibenden Darstellung der Quelleninhalte in den Hintergrund. Im Ganzen hätte der Inhalt der Studie prägnanter präsentiert werden können, wenn man die deskriptiven und die systematisch-analytischen Anteile miteinander verschmolzen hätte.

Thomas Haas zeigt in seiner Studie ein facettenreiches Bild von Geistlichen auf Kreuzzügen, deren unterschiedliche Aktions- und Handlungsfelder er auf der Grundlage zumeist erzählender Quellen veranschaulicht. Der Kreuzzugskontext führt dabei, wie Haas selbst resümiert (293), allerdings zu keinen prinzipiell neuen Aspekten, sondern erweist sich vielmehr als Bühne für bekannte Phänomene, die in diesem Bezugsrahmen freilich in besonders verdichteter Form auftreten.

Rezension über:

Thomas Haas: Geistliche als Kreuzfahrer. Der Klerus im Konflikt zwischen Orient und Okzident 1095-1221 (= Heidelberg Transcultural Studies; Vol. 3), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2012, 341 S., ISBN 978-3-8253-6038-2, EUR 45,00

Rezension von:
Melanie Panse-Buchwalter
Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen
Empfohlene Zitierweise:
Melanie Panse-Buchwalter: Rezension von: Thomas Haas: Geistliche als Kreuzfahrer. Der Klerus im Konflikt zwischen Orient und Okzident 1095-1221, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/11/22710.html


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