sehepunkte 14 (2014), Nr. 3

Inga Emmerling: Die DDR und Chile (1960-1989)

Lateinamerika gehörte nicht zu den Schwerpunktregionen der ostdeutschen Außenpolitik. Neben Kuba, zu dem seit 1963 diplomatische Beziehungen bestanden, und engeren Kontakten zu dem sozialistischen Nikaragua in den 1980er Jahren war es lediglich Chile, das in den 1960er Jahren und insbesondere unter der Herrschaft der Volksfront und Präsident Salvador Allende von 1970 bis 1973 für die DDR eine besondere Rolle in Lateinamerika spielte. Dennoch waren die bilateralen Beziehungen zwischen dem ostdeutschen und dem südamerikanischen Staat bisher noch nicht Gegenstand einer eingehenden Untersuchung. Diese Lücke schließt Inga Emmerling mit ihrer Dissertation.

Dabei will sie insbesondere "das Wechselverhältnis zwischen Wirtschaft, Außenhandel und Außenpolitik" einer eingehenden Analyse unterziehen (12). Ihre Arbeit beruht auf einer äußerst breiten Quellengrundlage, die neben der Überlieferung der DDR, insbesondere der der Parteien und Massenorganisationen, des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA), des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und weiterer Bestände aus dem Bundesarchiv auch auf Akten des chilenischen Außen- und Innenministeriums zurückgreift. Überdies hat sie Interviews mit ehemaligen ostdeutschen Diplomaten und Exilchilenen geführt. Angesichts der ebenfalls sehr umfangreichen Literaturbasis verwundert es allerdings, warum die Arbeit von Georg Dufner zur Chilepolitik der DDR nicht einbezogen wurde. [1]

Obwohl Emmerling in der Einleitung betont, dass sie das wechselseitige Verhältnis von Politik und Wirtschaft interessiert, behandelt sie die ostdeutsche Außenpolitik gegenüber Chile, den Außenhandel und die Chile geleistete "Solidaritätshilfe" - darunter versteht sie vor allem die Unterstützung für die chilenische Kommunistische Partei bis 1970 und die Aufnahme von Chilenen in der DDR nach dem Militärputsch von 1973 - nacheinander. Die Zusammenhänge von wirtschaftlichen und politischen Beziehungen werden dadurch sehr viel weniger sinnfällig, als wenn eine weitgehend chronologische Gliederung gewählt worden wäre.

Mit dem Jahr 1960 zu beginnen, ist durchaus sinnvoll, da damals die ersten Kontakte zwischen der SED und der KP Chiles einsetzten, die sich bald vervielfältigten. Die erste politisch-diplomatische Offensive startete Ost-Berlin jedoch erst 1964 mit seinen Bemühungen, staatliche Handelsvertretungen in Chile, Mexiko und Argentinien einzurichten und die in Brasilien, Kolumbien und Uruguay bestehenden Vertretungen der Kammer für Außenhandel aufzuwerten. Der Delegationsaustausch mit Chile wurde daraufhin intensiviert, und 1966 konnte ein Büro des Außenhandels in Santiago eingerichtet werden, das 1967 in eine offizielle Handelsmission umgewandelt wurde.

Parallel zu der auch vom MfAA angemahnten Intensivierung der politischen Beziehungen zur chilenischen Regierung verfolgte die DDR auf wirtschaftlichem Gebiet das sogenannte "Kupferprojekt". Chile war vor allem wegen seiner Kupferproduktion seit den 1960er Jahren ein gefragter Handelspartner, da die DDR angesichts der geringen eigenen Vorkommen diesen Rohstoff importieren musste. Bei dem Projekt handelte es sich um ein geplantes "Joint-Venture"-Unternehmen, bei dem die DDR gemeinsam mit einem chilenischen Partner eine Kupferverarbeitungsanlage gründen und betreiben sollte, die sie langfristig mit preisgünstigem Kupfer versorgen sollte. Die Planungen setzten im Frühjahr 1966 ein; im Dezember genehmigte das Präsidium des Ministerrats das Projekt, obwohl zuvor der Leiter des Amtes zum Schutz des Volkseigentums, Hermann Kleyer, aus wirtschaftlichen Gründen abgeraten hatte; im März 1967 wurde es endgültig gestoppt, da das Präsidium des Ministerrats beschloss, keine derartigen "Gemischten Produktionsgesellschaften" mehr zu bilden. Wenngleich die Ursachen für diesen Schwenk nicht bekannt sind - Frau Emmerling bietet die unterschiedlichsten Erklärungen an -, wird damit jedoch deutlich, wie sehr sich Politik und Wirtschaft in den ostdeutsch-chilenischen Beziehungen dieser Zeit ergänzten.

Trotz dieses Dämpfers ging es danach sowohl mit den politischen Beziehungen als auch mit den wirtschaftlichen Beziehungen bergauf: 1968 besuchte eine Volkskammer-Delegation Chile, obwohl die bundesdeutsche Botschaft zuvor Einspruch erhoben hatte, und 1969 verstärkte die DDR wieder ihre Bemühungen um eine Ausweitung des bilateralen Handels. Die entscheidende Wende kam jedoch erst mit dem Sieg der Volksfront bei den Präsidentenwahlen vom 4. September 1970. Da Allende bereits zuvor angekündigt hatte, nach einem Wahlsieg die DDR anzuerkennen, schickte die Ost-Berliner Führung eine Regierungsdelegation in der Hoffnung, ihr zentrales politisches Ziel in Chile zu diesem für sie wichtigen Zeitpunkt zu erreichen: Angesichts der Neuen Ostpolitik benötigte sie dringend eine internationale Aufwertung, die sich bei den anstehenden Verhandlungen mit der Bundesrepublik auszahlen sollte. Jedoch zögerte Allende mit diesem Schritt sehr zum Ärger Ost-Berlins bis zum Frühjahr 1971, da er auch die Bundesrepublik nicht unnötig verärgern wollte.

Zwischen der Anerkennung und dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen infolge des Militärputsches von 1973 stand Emmerling zufolge wieder die Wirtschaft im Zentrum des bilateralen Verhältnisses. Dabei hegte Chile gegenüber den sozialistischen Staaten einschließlich der DDR hohe Erwartungen, die diese freilich nicht erfüllen konnten. DDR-Außenwirtschaftsminister Horst Sölle machte dem chilenischen Außenminister 1971 deutlich, "dass Chile nicht mehr Zahlungserleichterungen beim Kauf von Anlagen und Ausrüstungen erhalten würde als die 'international üblichen' und dass die DDR Interesse an langfristigen Vereinbarungen für den Import von Kupfer habe" (277f.). Obwohl die DDR Chile nun als befreundetes Land betrachtete, das sich auf dem Weg in eine sozialistische Zukunft befand, sah sie offensichtlich nach der Anerkennung keine Notwendigkeit zu einem überdurchschnittlichen Engagement mehr; lediglich im Rahmen der wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit stellte sie eine ganze Anzahl von Experten zur Verfügung, für deren Finanzierung sie zum größten Teil selbst aufkam. Für die Priorität der ostdeutschen wirtschaftlichen Zielsetzung spricht auch, dass die DDR nach 1973 trotz des Abbruchs der politischen Beziehungen aufgrund ihres Interesses an Kupfer und anderen Rohstoffen die Handelsbeziehungen mit Chile fortsetzte und "weiterhin Verträge mit der chilenischen Kupferbehörde CODELCO" abschloss (298).

Parallel dazu profilierte sich die DDR auch als Exilland für rund 2000 verfolgte Chilenen. Das war zwar "ein Muss der Ideologie" (473), aber die ostdeutsche Führung sah in den Exilanten auch eine Gefahr für die Sicherheit der DDR: Denn sie befürchtete Anschläge auf die Chilenen im Lande und sah in ihnen aufgrund ihrer politischen Überzeugungen und ihrer Westkontakte Unsicherheitsfaktoren. Daher bemühten sich die Verantwortlichen in Ost-Berlin, diese sowohl mit Hilfe des MfS als auch über das Büro "Chile Antifascista", das als Anlaufstelle für die Exilchilenen fungierte, zu überwachen und kontrollieren, was jedoch nie lückenlos gelang. Die Integration in die DDR-Gesellschaft war Emmerling zufolge erfolgreich; die Chilenen lebten sich in der Regel in das für sie völlig ungewohnte Umfeld gut ein. Bei einigen Ostdeutschen erweckte die Vorzugsbehandlung der Exilanten mit Wohnungen, Möbeln und anderen knappen Gütern jedoch Neid und Missgunst. Insgesamt ein zwiespältiger Befund, der eine etwas eingehendere Beschäftigung mit diesem "Basisphänomen" erfordert hätte.

An einigen Stellen der Studie wäre überdies etwas mehr Differenzierung nötig gewesen: So war etwa in den 1960er Jahren, was Emmerling vernachlässigt, das Verhältnis der SED zu Allende und seiner sozialistischen Partei "bestenfalls reserviert". [2] Die deutsch-deutsche Konkurrenz in Chile wird zwar immer wieder thematisiert, an einer Stelle sogar davon gesprochen, dass die DDR 1968 "mit ihrer konzentrierten Einladungspolitik die Bundesrepublik zunächst ausmanövriert" hatte (132), aber letztlich nicht systematisch verfolgt. Hier hätte zum einen sehr viel deutlicher gemacht werden müssen, dass die Bundesrepublik bis weit in die 1960er Jahre hinein der bevorzugte wirtschaftliche und politische Partner Chiles war; zum anderen hatten auch nach 1973 die Beziehungen zu Chile eine deutsch-deutsche Dimension. Das zeigte sich unter anderem daran, dass die SED maßgeblich die "Nürnberger Verhandlungen gegen die Verbrechen der Militärjunta in Chile" 1976 organisierte und finanzierte, um in der Bundesrepublik gemeinsam mit linken Kräften gegen die bundesdeutsche Chile-Politik Front zu machen. [3]

Insgesamt handelt es sich jedoch um eine solide Studie, der allerdings einige Straffungen gut getan hätten. Emmerlings Schlussfolgerung, dass es der DDR in Chile trotz des bis 1971 verfolgten Anerkennungsziels vor allem um wirtschaftliche Vorteile ging, wird mit ihren Darlegungen jedenfalls plausibel belegt.


Anmerkungen:

[1] Georg Dufner: Chile als Bestandteil des revoutionären Weltprozesses. Die Chilepolitik der DDR im Spannungsfeld von außenplitischen, ökonomischen und ideologischen Interessen 1952-1973, Saarbrücken 2008.

[2] Georg Dufner: Chile als Partner, Exempel und Prüfstein. Deutsch-deutsche Außenpolitik und Systemkonkurrenz in Lateinamerika, in: VfZ 61 (2013), 528.

[3] Ebenda, 545.

Rezension über:

Inga Emmerling: Die DDR und Chile (1960-1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität, Berlin: Ch. Links Verlag 2013, 523 S., ISBN 978-3-86153-725-0, EUR 49,90

Rezension von:
Hermann Wentker
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Wentker: Rezension von: Inga Emmerling: Die DDR und Chile (1960-1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität, Berlin: Ch. Links Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 3 [15.03.2014], URL: https://www.sehepunkte.de/2014/03/23121.html


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