Die spätmittelalterlichen Altarretabel in Siebenbürgen stellen einen bedeutenden, doch von der Forschung lange vernachlässigten Bestand ostmitteleuropäischen Kunstschaffens dar. Mit ihrer Dissertation liefert Emese Sarkadi Nagy nun eine umfassende Dokumentation sämtlicher bekannter Werke, die zudem weit über deren stilistische Einordnung hinaus im Spannungsfeld länderübergreifenden kulturellen Austauschs, ökonomischer Verbindungen und lokaler Werkstattpraxis analysiert werden. Der erhaltene Bestand kann nicht über den hohen Verlust hinwegtäuschen, der empfindliche Lücken in das Bild der siebenbürgischen Retabel reißt. Denn es fehlt gerade jener Teil, der die wesentlichen Wandlungsprozesse hätte dokumentieren können, die der im vorliegenden Buch untersuchten, von etablierten Vorstellungen und Vorgaben zeugenden Produktion im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert vorausgegangen sind. Diese späten Werke gestatten jedoch eine kunsthistorische Systematisierung, die vor allem Fragen nach lokalen Werkstätten und fremden Einflüssen in den Mittelpunkt rückt.
Vorgestellt werden in jeweils einem Kapitel zwei Gruppen von Altären: Die erste umfasst Werke, die ab 1470 unter Matthias Corvinus entstanden sind. Sie sind dem geografischen Umfeld von Schässburg (Sighişoara, Segesvár) zuzuordnen und stehen unter dem Einfluss des Wiener Schottenmeisters. Nach der Autorin ist die Retabelproduktion dieser Zeit ohne starke Präsenz zugereister Meister und die intensive Orientierung der Auftraggeberkreise nach Wien kaum vorstellbar. Die zweite Gruppe besteht aus Altarbildern des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts, die von lokalen Ateliers geschaffen wurden. Die Autorin stellt exemplarisch Werke eines Ateliers aus Hermannstadt (Sibiu, Nagyszeben) vor und verweist auf weitere Retabel, die insgesamt die eindrucksvoll große lokale Produktion dokumentieren. Diesen beiden zentralen Kapiteln steht ein einführender Abschnitt voran, der der historischen Einbettung und kunsthistorischen Vorbereitung des Themas dient. Hier wird ein Überblick über ältere Objekte geboten, deren kunsthistorische Kontextualisierung bis heute ein Desiderat ist. Ein wichtiger Akzent in der Zusammenfassung der Forschungs- und Restaurierungsgeschichte liegt auf der Vorstellung der Restaurierungswerkstatt von Gisela Richter, die in den 1970er- und 1980er-Jahren in Kronstadt (Braşov, Brassó) tätig war und deren Bedeutung für die kunsthistorische Forschung nicht zuletzt in ihrer Fotodokumentation liegt. Den inhaltlichen Kapiteln schließt sich der Katalogteil an, der 94 Werke (darunter fünf verlorene) umfasst.
Das historische Siebenbürgen setzte sich als eigenständige territoriale Einheit innerhalb des Ungarischen Königreichs aus drei größeren Regionen zusammen. Einen erheblichen Teil machten die überwiegend von Ungarn bewohnten sieben Adelskomitate aus, eine zweite Region bildeten die sieben Stühle der Szeklers, und schließlich ließen sich im 12. Jahrhundert im Zuge des Einsiedlungsprojekts Gézas II. Sachsen nieder, die sich später in den "sieben und zwei Stühlen" organisierten. Das Schicksal der Altarretabel ist in diesen drei Regionen sehr unterschiedlich. Über Retabel in den sieben Adelskomitaten weiß man beinahe nichts, obwohl eine intensive Kunstproduktion in den kulturell sehr fortschrittlichen Städten nachgewiesen werden kann. Von den ökonomisch deutlich schwächeren Szeklern, die dem Katholizismus treu geblieben sind, kennt man auch nur vereinzelt Beispiele aus dem Stuhl Csík. Die meisten Werke in Siebenbürgen sind jedoch gerade bei den überwiegend protestantisch gewordenen Sachsen verblieben und wohl auch entstanden. Die Autorin begründet diese Sonderrolle mit der wirtschaftlichen Entwicklung der sächsischen Städte, die eine intensive spätmittelalterliche Kunstproduktion ermöglichte. Sie schildert die Privilegien der Städte, ihre Bedeutung im internationalen Handelsverkehr - vor allem nach Nürnberg und Wien - und betont die Rolle der an Prager, Wiener und Krakauer Universitäten studierten Intellektuellen im geistig-kulturellen Austausch (15-22).
Die wenigen erhaltenen Altartafeln und Holzskulpturen des 14. und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in der Einleitung des Buchs knapp dargestellt, zeigen im Gegensatz zur zeitgleichen siebenbürgischen Architektur, Bauskulptur und Goldschmiedekunst noch keine stilistische oder formale Einheit. Sie mögen in erster Linie Importstücke oder Arbeiten zugereister Künstler sein - eine Tätigkeit ansässiger Werkstätten kann allenfalls vermutet werden (29f.). Die Wandmalerei muss bereits hier den lückenhaften Bestand der Tafelbilder notdürftig auffüllen (29). Wie genau aus dieser künstlerisch sehr heterogenen und rezeptiven Region eine charakteristische spätmittelalterliche "Kunstlandschaft" werden konnte, bleibt aber noch immer weitgehend im Dunkeln.
Der eigentliche Untersuchungszeitraum des Buchs beginnt jedoch in den letzten Jahrzehnten der Regierungszeit des Matthias Corvinus. Die in dieser Zeit entstandenen Werke wurden bereits von der früheren Forschung mit dem Wiener Schottenaltar in Verbindung gebracht. Robert Suckale konnte Hans Siebenbürger als leitenden Meister der Wiener Werkstatt etablieren, der ursprünglich von Siebenbürgen stammend seine Ausbildung in Nürnberg erhielt und von dort nach Wien gerufen wurde (33). Die Autorin untersucht nun, was genau der Stempel "Schottennachfolge" bei drei siebenbürgischen Retabeln - dem Birthälmer, dem von Mediasch und Großprobstdorf - bedeutet. Anschaulich wird auch die Brückenfunktion von Wien im künstlerischen Austausch zwischen süddeutschen Gebieten und Siebenbürgen. Die Untersuchung der Retabel wird auch in diesem Kapitel durch Wandmalereien (im Turm der Schässburger Bergkirche) ergänzt, bei denen man sowohl kompositionelle als auch stilistische Rückgriffe auf den Schottenaltar fassen kann. Die Autorin sieht in den standortgebundenen Wandbildern einen Beleg dafür, dass man neben der bei den Retabeln der Corvinus-Zeit oft anzutreffenden Forschungsansicht, es handele sich um Importstücke, auch die Mobilität und Ansiedlung von Ateliers viel stärker in Betracht ziehen sollte. Als Fazit zeichnet sich eine lokale Großwerkstatt - vermutlich in Schässburg - ab, in der lokale und zugereiste Kräfte zugleich tätig gewesen sein mussten und deren Stil mit dem Wiener Schottenmeister oder mit den durch Wien vermittelten süddeutschen und niederländischen Tendenzen in enger Verbindung steht. Die interessante Frage, welche Rolle Hans Siebenbürger bei der Vermittlung von Künstlern aus seinem Umfeld nach Siebenbürgen genau zukam, muss die Autorin aufgrund mangelnder Quellen offen lassen (32-90).
Viel Raum widmet sie der Verwendung druckgrafischer Vorlagen, zeigt diese doch, dass siebenbürgische Künstler schon früh mit den aktuellsten Trends der westlich gelegenen Zentren bestens vertraut waren. Während vor 1500 Drucke von Israhel van Meckenem und Martin Schongauer rezipiert wurden, zeugen Werke des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts von der Auseinandersetzung mit Dürer-Vorlagen. Die letztere Periode gilt als die aktivste Zeit siebenbürgischer Retabelproduktion. Stellvertretend für ein viel breiteres Bild wird das Œuvre des Meisters Vincencius aus Hermannstadt und seiner Werkstatt vorgestellt. Es verdient - wie die Autorin mehrfach betont - nicht vorrangig aufgrund der außerordentlichen Qualität seiner Werke Aufmerksamkeit, sondern eignet sich dank seiner signierten und inschriftlich datierten Tafeln für eine genauere Untersuchung. Durch die Identifizierung des Signets konnten die Probleme der Einordnung stilistisch sehr unterschiedlicher Werke in das Œuvre gelöst werden. Stilistische und qualitative Differenzen führt die Autorin auf unterschiedliche Hände in der großen Werkstatt zurück. Die Vergleiche der verschiedenen künstlerischen Lösungen innerhalb des Ateliers bieten somit interessante Einblicke in die spätmittelalterliche Werkstattpraxis. Die quellengestützte präzise Einbettung der einzelnen Werke in den historischen Hintergrund förderte zudem aufschlussreiche Details zu möglichen Auftraggebern zutage.
Eine monografische Beschäftigung mit siebenbürgischen Retabeln kann die schwierige Forschungsgeschichte nicht verschweigen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren die Werke oft Instrumente deutsch-nationaler Rhetorik, die die Reichweite deutscher Kunst veranschaulichen sollten. Auch spätere Literatur ist - vor dem Hintergrund rumänisch-ungarischer Interessenkonflikte - von politisch-ideologischen Tönen durchdrungen. Emese Sarkadi Nagy hat sich für eine sachliche, leider aber auch etwas sterile Wiedergabe der äußerst heiklen Positionen entschieden. Die Analyse der einzelnen Publikationen in ihrem stark politisch-ideologisch geprägten Entstehungskontext und die Einbettung ihrer Autoren in die nationalen Diskurse war nicht die Aufgabe der Untersuchung und ist bis heute eine schwierige Angelegenheit. Zur Veranschaulichung der Problematik in Bezug auf den kunsthistoriografischen Kontext wären jedoch zumindest kritische Hinweise und Kommentare hilfreich gewesen.
Insgesamt bietet das Buch eine umfassende Darstellung und historische wie kunsthistorische Kontextualisierung der Objekte. Mit Blick auf die Entwicklung lokaler Werkstattproduktion legt es künstlerische Beziehungen zwischen Nürnberg, Wien und Siebenbürgen im Detail offen und beleuchtet zugleich die Eigendynamik der Region. Neben der informationsreichen Lektüre ist der vollständige Katalog erhaltener siebenbürgischer Altäre des Spätmittelalters mit seinem wertvollen Bildmaterial eine besondere Leistung und macht das Buch zu einem wichtigen Nachschlagewerk.
Emese Sarkadi Nagy: Local Workshops - Foreign Connections. Late Medieval Altarpieces from Transylvania (= Studia Jagellonica Lipsiensia; Bd. 9), Ostfildern: Thorbecke 2012, 320 S., 206 Abb., ISBN 978-3-7995-8410-4, EUR 49,00
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