sehepunkte 14 (2014), Nr. 4

Christian Jaser: Ecclesia maledicens

Mit einem sprachgewandten Vorwort eröffnet Christian Jaser die Publikation seiner Dissertation über die mittelalterliche "Ecclesia maledicens" (eine eigene Wortschöpfung). Er vermittelt den Eindruck, dass Projekt nicht nur gern, sondern auch an vielen Orten in Europa diskutiert zu haben. Ausreichend Diskussionsstoff bot es wohl schon allein aufgrund des breit angelegten Untersuchungszeitraums: Es geht Jaser um nichts weniger als "rituelle und zeremonielle Exkommunikationsformen im Mittelalter". Die thematische Zuspitzung auf Rituale und Zeremonien verspricht angesichts der vornehmlich rechtlichen und theologischen Fragen verpflichteten älteren Forschung zur Exkommunikation neue Erkenntnisse. Auch dieser Zuschnitt wird angesichts der in den letzten Jahrzehnten ebenso intensiv wie kontrovers erörterten geschichtswissenschaftlichen Ritualforschung die Debatte schnell in Gang gebracht haben.

Im einleitenden Abschnitt I setzt sich Jaser in Anlehnung an Barbara Stollberg-Rilingers Definitionen von symbolischer Kommunikation zum Ziel, "die longue durée eines symbolischen Vokabulars" zu ergründen (11). Die Frage nach den potentiellen Auswirkungen einer Exkommunikation wird konsequent ausgeblendet. Jasers Leitfrage weist in eine andere Richtung: transformatorisch wirkende Rituale sollen mit Zeremonien, die Ordnungen repräsentieren, konfrontiert werden. Auf einer zweiten Ebene definiert Jaser die Exkommunikation als Gewaltakt, insofern sie den Gläubigen unfreiwillig in einen liminalen, jenseits der christlichen Heilsgemeinschaft gelegenen Zustand versetzte. Somit wären die klassischen, auf Arnold van Gennep und Victor Turner zurückgehenden Axiome der Ritualforschung repräsentiert. Jaser erweitert diesen Ansatz um Anleihen aus der Sprechakttheorie und durch einen Rekurs auf Judith Butler. Anschließend schildert er knapp die untersuchten Quellencorpora und bestimmt drei für seine Untersuchung zentrale Begriffe ausführlicher: Exkommunikation, Anathem und Fluch.

Die Exkommunikation der Mörder des Erzbischofs Fulco von Reims steht am Anfang der historischen Untersuchung. Jaser schält aus dem hierfür rekonstruierbaren Text das basale rhetorische und gestische Repertoire der lokalen Exkommunikationsformulare des Früh- und Hochmittelalters heraus, denen weite Teile des Abschnitts II gewidmet sind. Einer sorgsamen Abgrenzung des Exkommunikationsformulars von verschiedenen Flucharten folgt ein transparenter Überblick über die Überlieferungssituation der lokalen Formulare. Nach einer weitschweifigen Diskussion verschiedener Feudalismusthesen ordnet Jaser die rituelle Exkommunikation schließlich unter die Medien der außergerichtlichen Konfliktlösung ein. Er klassifiziert sie als "kulturspezifisch zulässiges Fehdeverhalten" der postkarolingischen Zeit (127) und weist ihr so einen Platz im Set der Althoffschen "Spielregeln der Politik" zu (129). Es folgt eine sprachliche Analyse der Exkommunikationsformulare, wobei das Vokabular, rhetorische Besonderheiten und biblische Quellen sowie die in den Texten angerufenen Heiligen Beachtung finden. Schließlich werden den lokalen die translokalen Formulare gegenübergestellt, die bei Regino von Prüm, im Pontificale Romano-Germanicum, bei Burchard von Worms, Ivo von Chartres, im Decretum Gratiani und bei Wilhelm Durandus zu finden sind und denen eine Tendenz hin zur Kürzung und Vereinheitlichung zu eigen ist.

Diese Entwicklung wird im dritten Hauptabschnitt begründet, indem der Einfluss der Kanonistik auf die Entwicklung der Exkommunikation überdacht wird. Die verbreitete These einer zunehmenden Verrechtlichung der Exkommunikation seit dem 12. Jahrhundert relativiert Jaser. Er spricht für die fragliche Periode von einer "Akzentverschiebung" statt von einem radikalen Umbruch (307, 319). Dass der Kirchenbann unter dem Eindruck rationalisierter Verfahren seinen Schrecken nicht verlor, wird anhand der Exemplaliteratur sowie kanonistischen und theologischen Summen und Kommentaren herausgearbeitet (322-359). Stand im vorangegangenen Abschnitt der Untersuchung der Text der Formulare im Vordergrund, interessieren Jaser nun also zeitgenössische Beschreibungen des liminalen Zustands der Exkommunizierten. In einem nächsten Schritt wird der seit dem 12. Jahrhundert neu aufkommende Typus der Generalexkommunikation vorgestellt (359-373). Diese würde sich hinsichtlich der Inszenierung kaum von der rituellen Exkommunikation unterscheiden, sei aber im Gegensatz zu jener nicht auf eine Einzelperson hin zugeschnitten, sondern vielmehr auf Vergehen, derer sich viele verschiedene Personen schuldig machen konnten.

Das berühmteste Beispiel für die Generalexkommunikation, die Bulle In coena Domini, untersucht Jaser im letzten Abschnitt seiner Untersuchung in ihrer Geschichte vom frühen 13. bis ins beginnende 16. Jahrhundert hinein. Der zuvor weite Blickwinkel wird verengt auf eine spezifisch päpstliche Form der Exkommunikation, um den Wandel vom Ritual zur Zeremonie, die von einer gesteigerten Theatralität geprägt sei, nachzuzeichnen. Es ließe sich allerdings vermuten, dass die einzelnen Bestandteile der Zeremonie schon allein aufgrund der besseren Überlieferungssituation und der zunehmenden Schriftlichkeit im Spätmittelalter ausführlicher rekonstruiert werden können, werden in den Quellen nun doch Prozessionen, die Kleidung und Raumkonzepte beim Verlesen der Bulle im Lateran, in Avignon und im Vatikan beschrieben (404-452, 460-472). Dieser letzte Teil der Untersuchung steht nicht nur aufgrund der divergierenden Quellensituation in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den Abschnitten II und III. Durch die - im Hinblick auf Jasers Leitfrage durchaus legitime - Beschränkung auf die Bulle In coena Domini gerät ein Aspekt aus den Augen, der in den vorangegangen Abschnitten besonders betont wurde: Die Rolle der Exkommunikation in Konflikten zwischen Bischöfen und anderen Instanzen. Dass der Kirchenbann jedoch auch im späteren Mittelalter eine Rolle bei der Konfliktaustragung spielte, ließe sich etwa am Beispiel des Nikolaus Cusanus zeigen. [1]

Gleichwohl handelt es sich bei Jasers Studie um einen ebenso innovativen wie informativen Beitrag zur Exkommunikationsforschung. Im Verlauf der Arbeit werden außerdem und mitunter en passant zahlreiche Forschungsdiskussionen gestreift, die auf übergeordnete historische Prozesse zielen. Jaser beeindruckt mit nuancenreicher Fachkenntnis. Man sieht es ihm gern nach, wenn er an einigen Stellen die Binnengliederung der Abschnitte strapaziert; so wird die Exkommunikation etwa innerhalb einer vornehmlich auf die postkarolingische Zeit bezogenen Passage auf nur zwei Seiten in den Zusammenhang der Zweischwertertheorie eingeordnet, wobei Quellen aus einem fast 500 Jahre umspannenden Zeitraum bemüht werden (133f.). Jasers klarer und kurzweiliger Schreibstil jedoch leitet den Leser problemlos auch durch argumentativ dichte Passagen. Überdies dienen 48 Tabellen mit den verschiedenen Elementen der Exkommunikationsformulare der Übersichtlichkeit. Drei beigefügte Register (Orte, Personen, Sachen) ermöglichen bei Bedarf eine punktuelle Lektüre.


Anmerkung:

[1] Brian A. Pavlac: The curse of Cusanus. Excommunication in fifteenth century Germany, in: Nicholas of Cusa and his age. Intellect and spirituality. Essays dedicated to the memory of F. Edward Cranz, Thomas P. McTighe and Charles Trinkaus (Studies in the history of Christian thought 105), ed. by Thomas M. Izbicki / Christopher M. M. Bellitto, Leiden 2002, 199-213.

Rezension über:

Christian Jaser: Ecclesia maledicens. Rituelle und zeremonielle Exkommunikationsformen im Mittelalter (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 75), Tübingen: Mohr Siebeck 2013, XIII + 633 S., ISBN 978-3-16-151927-7, EUR 119,00

Rezension von:
Katharina Mersch
Georg-August-Universität Göttingen
Empfohlene Zitierweise:
Katharina Mersch: Rezension von: Christian Jaser: Ecclesia maledicens. Rituelle und zeremonielle Exkommunikationsformen im Mittelalter, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de/2014/04/24545.html


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