Pünktlich zur 100. Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkrieges legt der österreichische Historiker Wolfram Dornik diese Einzelbiografie vor. Es handelt sich dabei, seit langer Zeit, um die erste deutschsprachige Biografie von Franz Conrad von Hötzendorf, der als Generalstabschef die k.u.k. Armee über eine lange Zeitspanne entscheidend prägte und dessen Rolle in der Anbahnung des Ersten Weltkrieges seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird.
Bis in die Zweite Republik hatten sich überwiegend Militärs und ehemalige k.u.k. Offiziere, die unter Conrad gedient hatten, mit "ihrem" ehemaligen "Heerführer" beschäftigt und ein entsprechend verklärtes Bild gezeichnet. Danach wurde es still. 2000 veröffentlichte schließlich Lawrence Sondhaus seine Biografie "Architekt der Apokalypse", ein Standardwerk, das 2003 auch in deutschsprachiger Übersetzung erschienen ist. Rund zehn Jahre später nahm sich nun Dornik dieser umstrittenen und polarisierenden Figur an und setzte damit durchaus ein Zeichen im Sinne der Aufarbeitung der Rolle der k.u.k. Monarchie im Kontext des Ersten Weltkrieges sowie der politisch-militärischen Verflechtungen in der Anbahnung des Krieges, in deren Spannungsfeld sich Conrad nicht nur bewegte, sondern das er entscheidend formte und beeinflusste. Das Buch setzte dabei eine öffentliche Diskussion über die Erinnerungskultur im öffentlichen Raum vor allem in der steirischen Landeshauptstadt Graz in Gang, die in erster Linie an der Benennung von Straßen festgemacht war bzw. ist und schon längst überfällig war. [1] Verknüpft wurde dies vor allem mit der "Schuldfrage" Conrads am Ausbruch des Ersten Weltkrieges - basierend auf Präventivkriegsplanungen, bewusster Kriegstreiberei und letztlich den Ereignissen im ersten Kriegsjahr im Osten. Es ist gerade diese "Schuldfrage", die dabei als zentrale Fragestellung das Werk Dorniks durchzieht, das somit eine Einordnung der Figur Conrads aus biografischer Perspektive, die gleichzeitig retrospektiv ausgeformt ist, darstellt.
Obwohl das Schreiben von Biografien oder die Beschäftigung mit "großen Männern" lange Zeit verpönt war - auch im Hinblick auf Theorie und Methodik - ist gerade in den letzten Jahren wieder ein Interesse erkennbar, das in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Dabei liegt der Wert moderner Einzelbiografien durchaus in der "Verknüpfung des Allgemeinen mit dem Besonderen, in der Vermittlung zwischen Individualität und Sozialität mit den Mitteln der personenzentrierten Forschung" [2]. Es geht gerade dabei weniger um das Abrufen biografischer Fakten als vielmehr um die Frage der Handlungsspielräume und Entscheidungsmöglichkeiten der untersuchten Person in der Zeit und dem System, in dem diese verortet ist. Gerade dieser Zugang hätte neue, für die Weltkriegsforschung im Allgemeinen und die Betrachtung der k.u.k. Monarchie im Besonderen, relevante Erkenntnisse über den Generalstabschef eröffnet, die bislang tatsächlich noch ausständig sind und auch von Dornik nur in Teilen thematisiert wurden.
Doch zuerst zum Aufbau: Das vorliegende Werk ist in fünf chronologisch aufeinanderfolgende Abschnitte gegliedert. Hier versucht der Autor, Conrads familiäre Lebenssituation mit dem historischen Kontext zu verweben. Über den familiären Hintergrund, tastet sich Dornik zur militärischen Ausbildung Conrads vor, seine "ersten Kriegserfahrungen" werden ebenso beleuchtet wie seine Zeit als Taktiklehrer an der k.u.k. Kriegsschule. Den Hauptteil des vorliegenden Werkes bildet das Kapitel "Wirken: Des Kaisers Falke". Hier wird Conrads Zeit als Generalstabschef und damit jener Bereich in den unmittelbaren Fokus genommen, auf den die Fragestellungen ausgerichtet sind. Den abschließenden Teil leisten Verena Moritz und Hannes Leidinger, die sich in ihrer Nachbetrachtung mit dem Bild Conrads bis in das beginnende 21. Jahrhundert auseinandersetzen. Unabhängig von jenem Teil wäre hier jedoch auch eine punktgenaue Schlussbetrachtung oder Zusammenführung der Ergebnisse durch den Autor selbst wünschenswert gewesen und hätte das vorliegende Buch sicher stärker abgerundet. Insgesamt handelt es sich bei der vorliegenden Publikation um einen sehr ambitionierten Versuch eines jungen Historikers, eine der Schlüsselfiguren der österreichisch-ungarischen Monarchie zu dekonstruieren, die dennoch mehr Fragen aufwirft als sie Antworten gibt. Denn leider weist die Biografie einige Mängel auf, auf die kurz eingegangen werden soll.
In der sehr kurz gehaltenen Einleitung wirft Dornik zahlreiche Fragestellungen auf, die die Richtung der nachfolgenden Ausführungen bereits vorgeben und dann entsprechend beantwortet werden: War Conrad ein Kriegstreiber, ein Antisemit und für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich? Die weitaus spannendste und relevanteste Frage, nämlich jene des Handlungsspielraumes sowie der Einflussmöglichkeiten hätte einer eingehenderen Analyse bedurft. Spannend und innovativ wäre in diesem Punkt sicherlich auch die innere und äußere, Eigen- und Fremd-Wahrnehmung gewesen: wie sahen die Verbündeten und deutsche Generalität wie Moltke, Hindenburg, Falkenhayn oder gar Ludendorff den österreichisch-ungarischen Generalstabschef? Oder: Wie sah die Öffentlichkeit in der Habsburgermonarchie den "Langzeitgeneralstabschef"? Welches Bild wurde erzeugt und verbreitet? Schrieb er tatsächlich erst nach dem Zusammenbruch an "seinem Mythos" oder verbreitete er diesen nicht schon zuvor? Dieser Frage hätte man mit einer umfassenden Analyse zeitgenössischer Zeitungen und einschlägiger Veröffentlichungen begegnen können.
Die vorliegende Arbeit sticht vor allem durch den dichten Informationsgehalt hervor, der Autor versucht, das Leben und Wirken des "greisen Feldmarschalls" immer wieder in die Globalgeschichte und -ereignisse einzubetten. Bei dieser Informationsdichte überrascht es jedoch umso mehr, dass der Autor in manchen Bereichen die wichtigsten Publikationen nicht berücksichtigt hat oder diese nicht bekannt sein dürften, da selbige auch nicht im Literaturverzeichnis aufscheinen.
Als Basis der vorliegenden Studie diente (bereits bekanntes und bearbeitetes) militärisches Archivmaterial überwiegend aus dem Österreichischen Staatsarchiv / Kriegsarchiv in Wien. Bis auf russische Quellen wurde kein ausländisches Archivmaterial eingearbeitet, was durchaus spannend gewesen wäre, vor allem im Hinblick auf die Einschätzung der Verbündeten (Korrespondenz zwischen Falkenhayn und Conrad von Hötzendorf) bzw. der Alliierten. Im Hauptteil des Buches werden die Ereignisse im Juli 1914 und die Gefechte des ersten Kriegsjahres minutiös dargelegt, wobei sich hier wenig Neues findet und militärhistorische Abhandlungen zur Genüge vorhanden sind. Neu und besonders interessant wäre an dieser Stelle nach einem ausgedehnten Quellenstudium sicherlich eine entsprechende Analyse der Netzwerke und Handlungsmöglichkeiten Conrads gewesen. Der öffentlich ausgetragene Konflikt zwischen General der Kavallerie Rudolf Ritter von Brudermann und Conrad 1919 wird hingegen nicht erwähnt. Besonders auffällig sind leider auch zahlreiche Fehler, die dem Autor trotz hoher Detaildichte mit Hinblick auf die Betrachtung des militärischen Bereiches unterlaufen sind. Diese stechen gerade in einer Biografie über den Generalstabschef der k.u.k. Armee und der Analyse des militärischen und politischen Wirkungsbereichs desselben besonders ins Auge und trüben die ambitionierte Arbeit durchaus.
Zusammenfassend ist zu bemerken, dass es sich zwar um eine gut lesbare Publikation handelt, die an einem sehr wichtigen Betrachtungspunkt ansetzt, deren Mängel und kleinere Fehler aber leider vermuten lassen, dass sie unter Zeitdruck entstanden sein muss.
Anmerkungen:
[1] Als Beispiel: http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/3494938/so-figur-darf-man-nicht-ehren.story [abgerufen am 15.5.2014].
[2] Vgl. den älteren Beitrag: Helmut Scheuer: Biographie. Überlegungen zu einer Gattungsbeschreibung, in: Vom Anderen und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie, hgg. von Reinhold Grimm / Jost Hermand Königstein, Königstein 1982, 9-29.
Wolfram Dornik: Des Kaisers Falke. Wirken und Nach-Wirken von Franz Conrad von Hötzendorf. Mit einer Nachbetrachtung von Verena Moritz und Hannes Leidinger (= Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz - Wien - Klagenfurt; Bd. 25), Innsbruck: StudienVerlag 2013, 279 S., ISBN 978-3-7065-5004-8, EUR 24,90
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