sehepunkte 14 (2014), Nr. 9

Martin Bucer: Deutsche Schriften, Bd. 16: Nachträge 1531-1541

Mit dem ersten Band der Nachträge geht die Herausgabe von Martin Bucers Deutschen Schriften ihrer Vollendung zu. Wenigstens für diesen Bereich seines Werkes wird dann eine vollständige Grundlage vorhanden sein, um diesen nach wie vor weitgehend unbekannten und verkannten Reformator besser zu erforschen. Wenn es dazu überhaupt einer Anregung bedarf, dann gibt der vorliegende Band die beste Motivation dazu: Er versammelt insgesamt 22 Texte aus dem Zeitraum zwischen 1531 und 1541, in welchem Martin Bucer eine enorme Schaffenskraft entfaltete und großen Einfluss auf den Gang der Reformation ausübte.

Was in den übrigen Bänden der Deutschen Schriften jeweils nach thematischen oder zeitlichen Gesichtspunkten geordnet enthalten ist, wird hier umfassend erkennbar: Er war in diesen Jahren einer der wichtigen Ratgeber innerhalb des Schmalkaldischen Bundes. Zudem stellen die Texte "die geographische Weite und thematische Vielfalt des Wirkens Bucers bis zum Jahr 1541" (9) eindrücklich vor Augen. Ihre chronologische Anordnung unterstreicht, welche Themen ihn gleichzeitig beschäftigten: die Vergleichsverhandlungen mit den Altgläubigen, Kirchenordnungen, theologische Gutachten und Stellungnahmen zu juristischen Fragen, wie etwa das Eherecht oder die Regelungen von Besitzansprüchen.

Einen Schwerpunkt bilden die Gutachten, Protokollaufzeichnung und Briefe zum Abendmahlsstreit beziehungsweise über die Annahme der Wittenberger Konkordie durch die Schweizer (Texte 3, 7, 11-13). Sie unterstreichen nochmals, wie viel Bucer an der Einigkeit zwischen den Evangelischen lag und mit welchem Engagement er darum gerungen hat.

In diesen Kontext gehört auch der umfangreichste Text des Bandes, die Augsburger Kirchenordnung von 1537 (Text 9). Bucer stand dabei vor der Aufgabe, sowohl der lutherischen Seite als auch den Anhängern der zwinglianischen Abendmahlslehre gerecht zu werden. Die Kirchenordnung war somit die Probe aufs Exempel der Wittenberger Konkordie und kann als "eine wirklich herausragende Leistung Bucers" gelten, "die gerade unter dem Aspekt des Ausgleichs so unterschiedlicher kirchenordnender Ansätze besondere Beachtung und genauere Analyse verdient". [1]

Auf der anderen Seite zeigen zwei Gutachten an den Rat der Stadt Frankfurt am Main (Texte 5 und 6) über die Frage der Restitution der Bartholomäuskirche den sonst oft als zu konziliant kritisierten Bucer kompromisslos: "Nun ist aber falsche leer vnd verkeerter gotsdienst vil mehr schedlich vnd aller oberkeyt vnleidlich." (173, 25f.). Das dürfe der Rat nicht dulden und keine Restitution vornehmen. Bucers Entgegenkommen fand seine Grenze, wenn er den Eindruck hatte, dass Errungenschaften der Reformation wieder rückgängig gemacht werden sollten.

Wie angefochten die Situation in dieser Hinsicht auch in Straßburg noch fast 20 Jahre nach Einführung der Reformation war, zeigt die Kontroverse um das "Munizipalstatut" über die Examination der Bewerber um Stiftspfründe mit den altgläubigen Stiftsherren (Text 17).

Einen weiteren Schwerpunkt bilden diejenigen Texte, die Bucer an oder für den hessischen Landgrafen verfasste (Texte 14 bis 16, 18, 19 bis 22). Sie unterstreichen die wichtige Ratgeberfunktion Bucers für Philipp von Hessen in der zweiten Hälfte der 1530er Jahre. Interessant ist dabei vor allem eine wiederentdeckte Fassung von Bucers "Judenratschlag" aus dem Jahr 1539, die zwar weniger im Gesamtduktus, aber doch in einzelnen Aussagen von der bislang in Band 7 der Deutschen Schriften edierten Fassung abweicht. Es hat den Anschein, als spiegele sich darin bereits die innerhessische Rezeption des Gutachtens wider. Insofern ist die Version für die künftige Behandlung dieses sensiblen Themas relevant.

Das undatierte Gutachten an den Landgrafen zu einer Anfrage der Grafen von Manderscheid und Neuenahr (Text 16) wird vom Bearbeiter aufgrund inhaltlicher Hinweise nach dem "Frankfurter Anstand", also nach dem 21. April 1539, eingeordnet. Es könnte sich allerdings dabei um das bislang vermisste Gutachten aus der Zeit des Schmalkaldischen Bundestages vom März 1540 handeln. [2] Auch an dieser Stelle ist der Weg für weitere Forschungen eröffnet.

Den aus Handschriften edierten Texten werden am Ende der Einleitungen jeweils einige faksimilierte Seiten des Originals beigegeben. Sie helfen, textkritische Entscheidungen kritisch mit zu vollziehen, und unterstreichen die editorische Leistung der Bearbeiter, gerade im Hinblick auf die Autographe Martin Bucers.

Die Einleitungen und die Kommentierung der Texte sind insgesamt zurückhaltend. Sie geben eine solide Hilfestellung für das Verständnis und die weitere Interpretation der Texte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von neueren Forschungsergebnissen zu schnell überholt oder grundlegend infrage gestellt zu werden.

Die Register der Bibelstellen sowie der Personen und Orte helfen, die im Band versammelten Texte zu erschließen. Besonders zu begrüßen ist es, dass die Zitate aus Rechtstexten wieder über ein eigenes Register zugänglich sind. Der Zugang zu der für Martin Bucer neben dem Bezug auf die Bibel eminent wichtigen kirchenrechtlichen Argumentation wird dadurch sehr erleichtert. Im Literaturverzeichnis werden die Titel nachgewiesen, die für die Einleitungen in die Texte und deren Kommentierung herangezogen wurden. Insofern enthält es grundlegende und weiterführende Titel, stellt aber keine Bibliographie des aktuellen Forschungsstands dar. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die verzeichnete Dissertation von Reinhold Friedrich inzwischen gedruckt vorliegt: Bonn 2002 (Biblia et symbiotica; 20).

Den Abschluss des Bandes bildet ein alphabetisches Verzeichnis der (bislang) edierten lateinischen und deutschen Schriften Martin Bucers. Es vermittelt nochmals einen guten - aufgrund des aktuellen Editionsstandes der lateinischen Schriften noch sehr unvollständigen - Einblick in den Umfang und die inhaltliche Weite von Bucers Gesamtwerk. Dieses Verzeichnis nach Abschluss der Deutschen Schriften - vielleicht verbunden mit einem Gesamtregister - als eigenständigen Ergänzungsband zu haben, wäre eine wünschenswerte Hilfe für die Arbeit mit Martin Bucers Deutschen Schriften.

Der Band ist eine notwendige und sinnvolle Ergänzung der Gesamtedition und regt dazu an, die darin versammelten Aspekte weiter zu vertiefen. Die hier präsentierte Fülle und Weite der Themen ist eine Einladung, sich mit der Theologie Martin Bucers intensiver zu beschäftigen.


Anmerkungen:

[1] Gottfried Seebaß: Martin Bucer und die Reichstadt Augsburg, in: Irene Dingel (Hg.): Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge. Zum 60. Geburtstag des Autors Gottfried Seebaß, Göttingen 1997, 123.

[2] Briefwechsel Landgraf Philipp's des Grossmüthigen von Hessen mit Bucer, herausgegeben und erläutert von Max Lenz. Erster Theil, Leipzig 1880 (Publicationen aus den Königlich Preußischen Staatsarchiven; 5), Nr. 55, 147.

Rezension über:

Martin Bucer: Deutsche Schriften, Bd. 16: Nachträge 1531-1541 (= Martini Buceri Opera Omnia; Series I), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013, 528 S., ISBN 978-3-579-04881-9, EUR 148,00

Rezension von:
Volkmar Ortmann
Institut für Evangelische Theologie, Universität Kassel
Empfohlene Zitierweise:
Volkmar Ortmann: Rezension von: Martin Bucer: Deutsche Schriften, Bd. 16: Nachträge 1531-1541, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de/2014/09/24903.html


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