Der frühneuzeitlichen Zirkulation außereuropäischer Luxuswaren und Exotika wurden in den letzten Jahren verstärkt Ausstellungen und Monografien gewidmet. Dies wohl nicht zuletzt, weil aktuelle Fragen, wie etwa nach den kulturellen Folgen der Globalisierung, in diesem Thema eine historische Perspektivierung erfahren. Mit Marfins no Império Português liegt nun erstmals ein Band vor, der ausschließlich von Elfenbeinobjekten handelt, die vom späten 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Zusammenhang mit den portugiesischen Kolonien entstanden sind, und die gesamte Ausdehnung des Seereiches in Afrika und Asien in den Blick nimmt. Gerade die Elfenbeinschnitzereien eignen sich für eine vergleichende, derart weite Räume überspannende Untersuchung, da die in den vielen verschiedenen Niederlassungen der Portugiesen entstandenen Artefakte bisweilen auf identische Motivvorlagen zurückgehen, sich in ihrem Objektcharakter, ihrem Stil und der Art ihrer Produktion jedoch deutlich voneinander unterscheiden.
In der Kapitelgliederung der sukzessiven Ausdehnung des portugiesischen Seereiches folgend, behandeln die drei Autoren in vier Beiträgen die Elfenbeinprodukte der west- und ostafrikanischen Küsten, der Insel Ceylon (heute Sri Lanka), Indiens (Goa) und Thailands und schließlich der fernöstlichen Posten in China, Japan und den spanisch dominierten Philippinen. Die Regionen stehen dabei zugleich für verschiedene Phasen des Elfenbeinhandels, da sich die Nachfrage im Laufe der portugiesischen Expansion stark wandelte und den Objekten andere merkantile und gesellschaftliche Bedeutungen zukamen. Auf die sowohl in portugiesischer als auch in englischer Sprache gegebenen Artikel folgt jeweils ein Katalog mit circa 30 meist ganzseitig abgebildeten Objekten aus den jeweiligen Regionen.
Ein Problem, das mehr oder minder schwer für das gesamte Untersuchungsmaterial wiegt, ist die spärliche Quellenlage. In zeitgenössischen europäischen Sammlungsinventaren wird die Herkunft der Objekte meist nur sehr ungenau angegeben, wobei Adjektive wie "indisch" und später auch "türkisch" recht generisch für alle Provenienzen außerhalb Europas verwendet wurden. In dieser Hinsicht genauere Informationen bieten Reiseberichte. Sie geben Auskunft über das Vorhandensein von Werkstätten und bisweilen auch über die spezifischen Produkte an verschiedenen Orten, können aber nur selten mit konkreten Objekten in Zusammenhang gebracht werden. Im Zuge des angestrebten Überblicks über das Phänomen kolonialer Elfenbeinproduktion widmen die Beiträge der Herkunftsbestimmung und Datierung einzelner Objektgruppen daher relativ viel Raum.
Jean-Michel Massing ordnet in seinem Text die afrikanischen Elfenbeine verschiedenen Regionen an der West- und Ostküste zu. Die meisten der Olifanten und aus Elfenbein geschnitzten Löffel und prunkvollen Salzbehälter, die im späten 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Begeisterung der Europäer weckten, stammen aus dem Gebiet von Sierra Leone und werden nach dem damals dort ansässigen Stamm als "sapi-portugiesisch" bezeichnet. Anhand von Vergleichsbeispielen anderer Kunstgattungen, wie einem Palmfasergeflecht aus dem Kongo und einer Steinskulptur aus Zimbabwe, die stärker als die Auftragsarbeiten der Elfenbeine den lokalen Traditionen verpflichtet sind, schreibt Massing einige der Objektgruppen, entgegen rezenter Hypothesen, überzeugend anderen afrikanischen Kunstlandschaften zu.
Mit der fortschreitenden Ausdehnung der portugiesischen Seemacht sank im Laufe des 16. Jahrhunderts die Nachfrage nach afrikanischen Elfenbeinen und Schnitzereien aus Ceylon liefen ihnen den Rang ab. Den in Europa zunächst nur im Hochadel zirkulierenden Kästchen und Fächern aus Ceylon sowie der darauffolgenden seriellen Produktion von christlichen Elfenbeinfiguren im indischen Goa widmen sich die beiden Beiträge von Nuno Vassallo e Silva. Mit bisher unbekannten Archivalien und Abbildungen von Figuren aus Privatsammlungen bereichert er das Verständnis von diesen südasiatischen Zentren der Elfenbeinverarbeitung. Kritikwürdig ist allerdings das Einfluss-Modell, das der Autor seinen Ausführungen zugrunde legt und in welchem die Werke der asiatischen Bildschneider primär als ein Resonanzraum für europäische Stilentwicklungen erscheinen (157, 163). Bildvergleiche mit Artefakten lokaler Traditionen, die auch bezüglich der neu vorgeschlagenen Zuschreibungen interessant gewesen wären, finden sich nicht, und auch die Frage nach der Rückwirkung der kolonialen Erzeugnisse auf die lusitanische und europäische Kunst liegt außerhalb des Interesses beider Texte.
Die mit den Objekten verbundenen menschlichen Akteure, ihre kulturellen Zugehörigkeiten und Handlungsoptionen geraten in Gauvin Alexander Baileys Beitrag zu den christlichen Elfenbeinen aus dem Mogulreich, China, Japan und den Philippinen in den Blick. Dabei zeichnet der Autor das komplexe Bild eines immer stärker vernetzten Handels nach, bei dem nicht nur der tierische Rohstoff, die Motivvorlagen und die Endprodukte zwischen den Kontinenten (einschließlich Amerikas) verschifft wurden, sondern auch ganze 'Gastarbeiterkolonien' entstanden, wie etwa die der chinesischen sangley auf den Philippinen. Bailey verweist in diesem globalen Kontext auf die in verschiedene Richtungen verlaufenden motivischen Transfers: Christliche Motive wurden nicht nur in die buddhistische Bildwelt überführt, sondern buddhistische und hinduistische Elemente tauchen ebenso in den christlichen Figuren auf. Wann es allerdings zu diesen "Hybridisierungen" kam, ist meist nicht so eindeutig zu klären. Bailey gibt wohl zu Recht an, dass die songzi Guanyin, eine weibliche Form des Boddhisattva mit Kind, als Reaktion auf die von den Jesuiten verbreiteten Maria mit Kind-Darstellungen zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufkam (239). Andere Autoren vermuten erste Austauschprozesse zwischen der Marien- und der Guanyin-Ikonografie allerdings schon für die Zeit der franziskanischen Mission im späten 13. Jahrhundert. [1] 'Hybridität' ist letztlich eine Grundeigenschaft jeder Kultur und die in Asien im 16. Jahrhundert aufeinandertreffenden Akteure waren alles andere als Vertreter 'reiner' Kulturen.
Die Freude an der Lektüre des Bandes wird nur dadurch leicht getrübt, dass in den letzten drei Beiträgen keine Verweise auf die jeweils folgenden Abbildungsteile gegeben und zum Teil gar keine Bezüge hergestellt werden. So sind manche recht eingehend besprochene Werke nicht abgebildet, während andere im Katalog erscheinen, die im Text unerwähnt bleiben. Dies mag dem Wunsch geschuldet sein, möglichst viel unbekanntes oder nur unzulänglich publiziertes Material zugängig zu machen, erscheint aber in einem Buch, das großes Gewicht auf formale Analysen und Zuschreibungsfragen legt, nicht als optimale Lösung. Dessen ungeachtet bietet die von den Autoren gebotene Zusammenstellung und Analyse der Elfenbeine aus den portugiesischen Kolonien einen informativen und kurzweiligen historischen Überblick, der mit zahlreichen neuen Erkenntnissen und Hypothesen aufwartet und zu transregionalen Vergleichen anregt.
Anmerkung:
[1] Jeremy Clarke: The Virgin Mary and Catholic Identities in Chinese History, Hong Kong 2013, 25f.; Lauren Arnold: Princely Gifts and Papal Treasures. The Franciscan Mission to China and its Influence on the Art of the West 1250-1350, San Francisco 1999, 149f.
Gauvin Alexander Bailey / Jean-Michel Massing / Nuno Vassallo e Silva: Marfins no Império Português. Ivories in the Portuguese Empire, Lisboa: Scribe 2013, 296 S., zahlr. Farbbabb., ISBN 978-989-8410-31-3, EUR 59,00
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