"Der Investiturstreit in England" war das Thema der Dissertation von Stefanie Schild. Eingereicht 2012 an der Universität Bonn, liegt sie nun in leicht veränderter Form im Druck vor. Es handelt sich dabei um einen Überblick der politischen Entwicklungen um den Investiturstreit in England, der auch die Verhältnisse vor und nach den eigentlichen Auseinandersetzungen zwischen regnum und sacerdotium untersucht.
Zu Beginn der Arbeit führt die Autorin in die neun Untersuchungsgegenstände ihrer Arbeit ein. Im Zentrum des Interesses steht die Frage, weshalb es in England im Vergleich zum Reich so spät zu dieser Auseinandersetzung zwischen König und Papst kommt und warum dieser Konflikt eine so zügige Einigung findet. Darüber hinaus verspricht die Autorin in ihrer Arbeit auch eine Untersuchung weiterer Aspekte, darunter der bisherigen Datierung der Auseinandersetzung, der Rollen der Protagonisten sowie weiterer Beteiligter des Konfliktes, eine Untersuchung der in der Forschung etablierten Terminologie wie beispielsweise des Konkordatsbegriffes im Hinblick auf die Einigung in London 1107. Auch Fragen nach den Konsequenzen dieser Einigung für die englische Krone sowie für ihr Verhältnis zu Papst und Klerus, nach der Umsetzung der Beschlüsse von London und deren Auswirkungen auf den königlichen und päpstlichen Einfluss auf die englische Kirche, nach dem Einfluss bereits etablierter Lösungen in Frankreich sowie, schlussendlich, nach einer möglichen Vorreiterrolle des sogenannten Londoner Konkordats auf das Konkordat in Worms wird nachgegangen. Die Autorin bemerkt zu Recht, dass eine Untersuchung des Investiturstreites in England im Kontext der gesamteuropäischen Auseinandersetzung zwischen regnum und sacerdotium noch immer aussteht. Ihre Arbeit ist deshalb konsequenterweise vergleichend aufgebaut (11).
Die Untersuchung gliedert sich im Anschluss an ein Vorwort in insgesamt sechs Kapitel und beginnt mit einer Diskussion der Brüche und Kontinuitäten normannischer (Kirchen-) Politik in England nach 1066 unter Wilhelm I. (Kapitel I). Darin werden die Veränderungen innerhalb der englischen Kirche nach 1066 geschildert, darunter der Austausch kirchlicher Würdenträger, insbesondere der Bischöfe und Äbte, durch loyale Vertraute des Königs. Daran chronologisch anschließend folgt die Diskussion der Politik seines Nachfolgers Wilhelms II. sowie der beginnende Konflikt mit dem 1093 geweihten Erzbischof Anselm von Canterbury (Kapitel II). Dieser Teil der Arbeit verdeutlicht überzeugend, dass die vermeintlich schlechte Reputation Wilhelms II., die sich vor allem durch seine Darstellung in einer im Allgemeinen Anselm-freundlichen Historiographie erklärt, weitgehend unberechtigt erscheint. Dabei muss der Konflikt zwischen Erzbischof und König, so eine Argumentationslinie der Autorin, in der Papsttreue des Bischofs, der Machtpolitik des Königs sowie in der traditionell nachsichtigen Politik Roms gegenüber den englischen Königen gesucht werden.
Das folgende Kapitel (III) untersucht den Beginn des eigentlichen Konflikts zwischen Papst und König in England, welcher in der Amtszeit von Paschalis II. sowie dem Nachfolger Wilhelms II., seinem Bruder Heinrich, zu verorten ist. Die Autorin plädiert in diesem Zusammenhang dafür, die bisherige Datierung des Beginns des eigentlichen Investiturstreites nicht mehr auf September 1100 sondern vielmehr auf Mitte des Jahres 1101 zu korrigieren und begründet dies überzeugend mit der ersten offiziellen Stellungnahme des Papstes 1101 im Konflikt um Investitur und homagium - ein Konflikt, der zuvor eher als eine Auseinandersetzung zwischen König und Erzbischof erscheint. Den Verlauf und die im Vergleich mit anderen Reichen schnelle Lösung des Konfliktes in England (Kapitel IV) erklärt die Autorin zum einen mit den politischen Gegebenheiten in England, vor allem der Unterstützung des englischen Herrschers durch Adel und Klerus, dem Fokus der Könige auf die Stabilisierung des eigenen Herrschaftsgebietes auf der Insel und in der Normandie sowie mit der im Vergleich zu anderen Herrschern generell nachsichtigeren Haltung der Päpste gegenüber dem traditionell starken Einfluss der englischen Könige auf die dortige Kirchenpolitik. Die Autorin stellt dabei fest, dass weder König noch Papst im Verlauf des Investiturstreites in England die offene Konfrontation suchen. Es wird deutlich, dass von beiden Seiten eine lösungsorientierte Kommunikation aufrechterhalten und eine Eskalation vermieden wird, ein Erfolg der, so zeigt die Untersuchung, nicht zuletzt auch verschiedenen Mediatoren und Ratgebern des Königs zu verdanken ist. Eine Lösung der Fragen um Investitur und homagium wird in den Jahren 1105 bis 1106 erst durch Heinrich I. und den Erzbischof von Canterbury gefunden und im Jahr 1107 durch den Papst bestätigt. In diesem Zusammenhang untermauert die Autorin ihre Ablehnung des Konkordatsbegriffes als eines unpassenden modernen Terminus für ein vormodernes Ereignis (194) und konstatiert, dass es am Ende des Investiturstreites 1107 in London keineswegs zu einer Trennung von regnum und sacerdotium kommt.
In einem letzten Kapitel (VI) widmet sich die Arbeit schließlich überzeugend der Frage nach den reziproken Einflüssen des Investiturstreits in England auf die Auseinandersetzungen zwischen regnum und sacerdotium in Frankreich und im Reich sowie einer möglichen Vorreiterrolle des sogenannten Londoner Konkordats für die Einigung zwischen Papst und Kaiser in Worms 1122 und stellt deutlich Ähnlichkeiten und Unterschiede der Diskurse um die Investitur dar.
Insgesamt liefert die Arbeit einen umfangreichen und detaillierten Überblick über die Auseinandersetzung zwischen den englischen Königen und Erzbischöfen. Hervorzuheben sind dabei die gelungenen Kontextualisierungen nicht nur im Hinblick auf das Verhältnis von regnum und sacerdotium, sondern auch in Hinblick auf Funktion und Rolle verschiedener Protagonisten im Konflikt selbst. Dabei überzeugt die klare Trennung des Streites in zwei unterschiedliche Konfliktszenarien, zum einen zwischen König und Erzbischof von Canterbury, zum anderen zwischen König und Papst, ein Aspekt der auch bei einer Diskussion der Besonderheit des Konfliktes in England die verdiente Beachtung erhält. Sachliche Fehler wie beispielsweise die unterschiedlichen Datierungen des Todesjahrs Gregors VII. (33 und 34) finden sich in der Arbeit kaum und die für eine solche Untersuchung sehr umfangreichen Fragestellungen werden allesamt beantwortet, wenngleich sich die Arbeit beispielsweise in ihrer Bewertung des Konkordatsbegriffes eher dem terminologischen status quo anschließt als neue Erkenntnisse zutage fördert. Auch die Korrektur des in der Forschung etablierten Konfliktbeginns wird überzeugend vermittelt, kann aber im Hinblick auf mittelalterliche Kommunikationsstrukturen generell sowie auf die bereits angesprochenen verschiedenen Konfliktszenarien im Spezifischen vielleicht etwas relativiert werden.
Stefanie Schilds Arbeit bietet dem Leser eine umfassende und argumentativ überzeugend fortschreitende Untersuchung, die sich als aktueller und detailreicher Beitrag zum Forschungsdiskurs um den Investiturstreits präsentiert, der in den vergangenen Jahren im gesamteuropäischen Kontext und insbesondere in England nicht immer die Beachtung gefunden hat, die ihm eigentlich gebührt.
Stefanie Schild: Der Investiturstreit in England (= Historische Studien; Bd. 504), Husum: Matthiesen 2015, 324 S., ISBN 978-3-7868-1504-4, EUR 49,00
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