In den letzten Jahren schenkte die Forschung Franz Josef Strauß gesteigerte Aufmerksamkeit. Anlässlich seines 100. Geburtstags 2015 sind einige Biografien erschienen, die sich mit seinem Leben und Wirken auseinandersetzen. [1] Natürlich erinnerte auch die CSU an ihren langjährigen "Großen Vorsitzenden". Die Hanns-Seidel-Stiftung organisierte zahlreiche Gedenkveranstaltungen und zusammen mit dem Münchner Stadtmuseum widmete man Strauß eine Ausstellung. [2] Auch Godel Rosenberg, von 1978 bis 1988 Pressesprecher der CSU, nutzte die Gelegenheit, seine Erinnerungen an die Zeit mit Franz Josef Strauß zu Papier zu bringen. Damit soll, auch wenn er es nicht ausdrücklich sagt, das von den Medien geprägte, einseitige und meist negativ empfundene Bild von Strauß korrigiert werden. Er will einen "Franz Josef Strauß [zeigen], der in den Medien in dieser Form unbekannt, so auch nicht gewollt ist." (7)
Um "die vielen bunten Facetten des Menschen Franz Josef Strauß" (8) aufzuzeigen erzählt Rosenberg viele kurze, mehr oder weniger zusammenhängende Geschichten über Strauß. Dabei zeichnet er ein sehr positives Bild von Strauß, lobt seine politischen Leistungen und bezeichnet ihn als "eine[n] der Bauherren des Nachkriegsdeutschlands" (29). Für Rosenberg selbst war Strauß ein "großer Lehrmeister" (29). Neben dem Politiker will Rosenberg in seinen Geschichten auch den Menschen hinter dem Politiker beschreiben. Er zeigt ihn vor allem als intelligenten, historisch interessierten Menschen. Darüber hinaus schildert er, wie niedergeschlagen Strauß nach dem Tod seiner Frau Marianne und nach dem Parteitag 1983 war, auf dem er sein schlechtestes Wahlergebnis als Parteivorsitzender erzielte (62-64). Schemenhaft skizziert er das Verhältnis von Strauß zu Helmut Kohl (104-109) und Helmut Schmidt (133f.).
Das Bild, das Rosenberg auf diese Weise von Strauß zeichnet, ist keinesfalls umfassend. Er bietet keine erschöpfende Charakteranalyse von Strauß. Der bewundernde Unterton schwingt immer mit. Ebenso oberflächlich bleibt die Beschreibung der Beziehung von Rosenberg zu Strauß, die im Titel des Buches anklingt. Auch hier schildert er nur einzelne Episoden, setzt sie aber in keinen größeren und vor allem keinen systematischen Zusammenhang. Somit erfährt man letztendlich nichts über den genauen Charakter dieser Beziehung, über ihre Tiefe oder Belastbarkeit.
Stattdessen geht Rosenberg kurz auf die Frage ein, wer Strauß nach seinem plötzlichen Tod 1988 als Parteichef und als bayerischer Ministerpräsident nachfolgen sollte. Für Rosenberg war Gerold Tandler der aussichtsreichste Kandidat, der allerdings durch die sogenannte Zwick-Affäre ausschied (110f.). Dass schließlich Edmund Stoiber Ministerpräsident wurde und nicht Theo Waigel, führt Rosenberg auf Stoibers deutlich ausgeprägten Willen zur Macht zurück (115-117).
Rosenberg kommt immer wieder vom eigentlichen Thema des Buches ab, denn er schildert nicht nur seine Erlebnisse mit Strauß. Er lässt auch Teile seiner eigenen Biografie einfließen. Die Ausführungen zu seiner Kindheit und seinem Elternhaus haben zwar mit Franz Josef Strauß nichts zu tun, erlauben aber interessante Einblicke in die Lebens- und Gefühlswelten jüdischer Mitbürger in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg (73-97).
Daneben widmet Rosenberg der Entwicklung der Beziehungen zwischen Bayern und Israel besondere Aufmerksamkeit. Er verwendet viel Zeit und Platz darauf, Strauß als Freund Israels und des jüdischen Volkes darzustellen. Dabei beschränkt er sich aber nicht nur auf Ereignisse aus dem Jahrzehnt, in dem er Pressesprecher der CSU war und direkt mit Strauß zusammengearbeitet hat. Er bezieht auch Ereignisse aus den 1950ern und 1960ern in seine Erzählung mit ein. Besonders die geheimen Waffenlieferungen an Israel des damaligen Verteidigungsministers Strauß sowie sein erster Israelbesuch 1963 (11-17) sollen auf beiden Seiten die hohe Wertschätzung des jeweils anderen begründet haben. In diesem Zusammenhang bezieht Rosenberg auch Episoden aus der jüngeren Vergangenheit, aus der Zeit nach 1999, in seine Erzählungen mit ein, in der er als Repräsentant für den DaimlerChrysler-Konzern in Israel arbeitete. Sein Versuch, diese Tätigkeit mit Franz Josef Strauß in Verbindung zu bringen (153) überzeugt jedoch nicht vollkommen. Vielmehr drückt sich auch hier die Bewunderung aus, die Rosenberg seinem ehemaligen Chef noch heute entgegenbringt.
Daneben finden sich, überall im Text verstreut, Gedanken zur politischen Situation Israels und zum Nahost-Konflikt, ebenso wie zur Bedeutung jüdischer Personen in der neueren deutschen Geschichte. Bei der Lektüre der entsprechenden Passagen drängt sich dem Leser unweigerlich der Eindruck auf, dass Strauß hier nur als Aufhänger dient. Um nur die zwei markantesten Beispiele zu nennen: In dem Kapitel "Strauß - ein 'Mentsch'" schildert Rosenberg, dass Strauß eigentlich Historiker werden wollte, und dass er sich besonders für den ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzler Otto von Bismarck interessierte. Dann folgt eine Aufzählung prominenter jüdischer Personen, die den ehemaligen Reichskanzler angeblich stark beeinflusst hätten (29-32). Nur ein paar Kapitel weiter nutzt Rosenberg Strauß' Interesse für Geschichte, um einige Gedanken zur Situation der Juden in den deutschen Staaten des 18. und 19. Jahrhunderts in sein Werk einzubauen (37-40). Gleiches gilt für die Passagen, in denen Rosenberg auf den Nahost-Konflikt zu sprechen kommt. Zwar deutet er hier auch an, wie Strauß die Lage einschätzte, meist aber nutzt Rosenberg die Gelegenheit, um seine eigene Meinung zu äußern (19-23, 128-132).
Alles in allem fällt das Urteil über das Buch gespalten aus. Rosenberg gelingt es zwar, einige interessante Charakterzüge von Franz Josef Strauß aufzuzeigen. Allerdings lässt er die Gelegenheit ungenutzt, ein umfassendes Bild seiner Persönlichkeit zu zeichnen, da er versucht, eine Vielzahl anderer Themen in sein schmales Bändchen zu integrieren. Die Charakterisierung von Strauß bleibt ebenso an der Oberfläche, wie die Gedanken zum Nahost-Konflikt und den anderen angesprochenen Themenkomplexen. Rosenberg lässt seine Gedanken - um es mit dem Untertitel zu sagen - allzu sehr "zwischen München und Tel Aviv" schwanken. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte sich für München oder für Tel Aviv entschieden und seine Ausführungen darauf konzentriert.
Anmerkungen:
[1] Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell, München 2015; Peter Siebenmorgen: Franz Josef Strauß. Ein Leben im Übermaß, München 2015; Karl Rösch: Franz Josef Strauß. Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Weilheim 1949-1978, München 2014.
[2] Renate Höpfinger / Henning Rader / Rudolf Scheutle (Hgg.): Franz Josef Strauß - Die Macht der Bilder, München 2015.
Godel Rosenberg: Franz Josef Strauß und sein Jude. Erinnerungen zwischen München und Tel Aviv, München: Allitera 2015, 163 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-86906-746-9, EUR 19,90
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