sehepunkte 16 (2016), Nr. 5

Massimo Rospocher: Il papa guerriero

Papst Julius II. hat keinen leichten Stand in der Geschichtsschreibung. Zu wirkmächtig und omnipräsent scheinen die Bilder vom "Kriegspapst" und vom Kunstmäzen, die aktuellere Biografien und Zugänge zum della Rovere-Papst perpetuieren. [1] Weitaus weniger im Bewusstsein sind die Studien zu den Auseinandersetzungen um das von Julius II. einberufene Fünfte Laterankonzil und die Inszenierung des Papstes im Zeremoniell. [2] Dennoch ist das Urteil Jacob Burckhardts, Julius II. sei "in den wesentlichen Beziehungen [...] der Retter des Papsttums" gewesen [3], in einem sehr umfassenden Sinn zu verstehen. Burckhardts Bewertung setzt die vielfältigen Diskurse und den bereits zeitgenössischen Streit um die Person des Papstes voraus - und damit sind wir beim Thema des vorliegenden Buches.

Massimo Rospocher legt hier eine Diskursgeschichte des Pontifikats Julius' II. vor, die freilich nicht das Gesamt der Amtsführung des Papstes abdeckt, sondern sich auf die kriegerischen Unternehmungen und politischen Konflikte konzentriert. Diese Beschränkung ist insofern sinnvoll, als etwa die Sanierung der päpstlichen Finanzen oder die ekklesiologische Problematik durchaus im Zusammenhang mit der Italienpolitik Julius' II. stehen, aber deutlich unterscheidbare Diskursfelder bildeten.

Rospocher gliedert die Arbeit in drei größere Durchgänge. Der erste und zweite Teil behandeln Panegyrik und Polemik gegen Julius II. in Italien, der dritte Teil widmet sich den unterschiedlichen Darstellungen des Pontifex in Frankreich und England um das Jahr 1510. Um die Darstellung verschiedener Julius-Bilder geht es Rospocher freilich nur vordergründig, wie er einleitend betont. Im Hintergrund steht das Interesse an politischen Sprachen und politischer Kommunikation im beginnenden 16. Jahrhundert.

Es mag ein wenig überraschen, dass der erste Teil über Lobgesänge auf Julius II. beinahe die Hälfte des gesamten Buches umfasst. Minutiös zeichnet Rospocher hier das Lob auf den Papst nach und benennt die Vielfalt der Motive: die durch Julius II. heraufgeführte "aurea aetas" (in Abgrenzung zu Alexander VI.; freilich wurde das Motiv später auch von Leo X. gebraucht), die ihrerseits zum Versprechen einer Wiederherstellung alter Macht und Herrlichkeit Roms war; den Papst als zweiten Julius Caesar im Sinne eines vorbildhaften Herrschers; den Papst als Friedensbringer und Befreier Italiens; den Kreuzzug als Topos für den Krieg des Papstes. Alle laufen letztlich darauf hinaus, dass Julius II. in Italien Frieden und Stabilität herstellt, wozu der Krieg gegen Feinde des Glaubens und des Papsttums mehr notwendiges Übel sei.

Naturgemäß wurde dies in den von den Kriegszügen Julius' II. besonders betroffenen Städten Bologna, Ferrara und Venedig anders gesehen. Der antipäpstlichen Publizistik dort widmet sich Rospocher im zweiten Teil der Studie. In Bologna und Ferrara war Kritik am Papst gleichbedeutend mit einer Stärkung der Position der herrschenden Familien der Bentivogli bzw. Este. Dabei scheint man sich in Bologna stärker auf die Darstellung Julius' II. als Tyrannen gestützt zu haben, während in Ferrara eher die unangemessene Weltlichkeit der päpstlichen Herrschaft verurteilt wurde. Anders war die politische Lage in Venedig, das zwar zeitweilig Kriegsgegner des Papstes war, jedoch keinen Umsturz seiner politischen Ordnung durch päpstliche Intervention befürchten musste. Daher konnte Kritik an Julius II. freier, umfassender und grundsätzlicher geäußert werden: Julius II. als Verderben für Italien und Geißel des Universums - solch scharfe Töne fanden sich in Bologna und Ferrara nicht.

Im dritten Teil untersucht Rospocher schließlich das europäische Echo der Kriege Julius' II., wobei er sich auf Frankreich als Kriegsgegner und England als Unterstützer des Papstes beschränkt. Sicherlich wäre es gerade für deutsche Historiker interessant zu erfahren, welche Diskurse im Reich Kaiser Maximilians geführt wurden, doch bleibt dies anderen Arbeiten vorbehalten. Naheliegenderweise konzentriert sich die französische Publizistik auf eine Gegenüberstellung Julius' II. und Ludwigs XII., die mit Hochmut, Apostasie, Kriegstreiberei, Gewalttätigkeiten einerseits bzw. mit demütigem und frommem Rittertum andererseits assoziiert werden. Auf diese Weise ließen sich der religiöse und der finanzielle Aspekt eines Krieges gegen den Papst rechtfertigen. Für England wiederum betont Rospocher die Existenz und Publizistik einer "pazifistischen" Partei, der neben dem Erzbischof von Canterbury, William Warham, auch die Bischöfe John Fisher und Richard Fox sowie Erasmus von Rotterdam angehörten. Die den Krieg als Unterstützung des Papstes sowie Maßnahme gegen die Tyrannis des französischen Königs rechtfertigenden Schriften sind dagegen im Umfeld des Hofes Heinrichs VIII. anzusiedeln.

Die Arbeit wird von einem Epilog abgeschlossen, in dem zunächst noch ein wenig Überschuss verhandelt wird, der in die Zeit nach dem Tod Julius' II. gehört: bildliche Darstellungen der Italienpolitik als Spiel oder der berühmte Dialog "Iulius exclusus", für den Rospocher mit Silvana Seidel Menchi die Autorschaft des Erasmus postuliert. Ein systematisierendes Fazit wird leider nicht gezogen, wiewohl es der Arbeit gut getan hätte, den Erkenntnisgewinn der Darstellung für die Untersuchung politischer Kommunikation präziser zu umreißen. Dieser Aspekt steht immer im Hintergrund der Darstellung, wird aber nur punktuell explizit gemacht. Zwar ist es für den Leser durchaus angenehm, dass sich Rospocher nicht mit allzu viel soziologisch-philosophischer Theorie belastet und sich gegen allzu simple Konzepte bzw. Gegenüberstellungen von "Propaganda" (Scribner) und "öffentlicher Sphäre" (Habermas) wendet, doch fehlt ein wenig der explizite Aufweis, was die von Rospocher postulierte "integrierende Sicht" (21f.) demgegenüber zu leisten vermag.

Sehr verdienstvoll ist dagegen, welche Vielzahl von Quellen und Quellengattungen Rospocher für seine Studie herangezogen hat. Zwar stehen Texte (Lyrik und Prosa) im Mittelpunkt der Studie, doch wird punktuell auch der Mündlichkeit, zeremoniellen Ausdrucksformen und insbesondere dem Medium Bild in Zeichnung, Malerei und Druck Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei hat Rospocher auch hochinteressantes Bildmaterial zu bieten, das einer traditionellen kunsthistorischen Betrachtung des Pontifikats Julius' II. bislang verborgen geblieben zu sein scheint.

Alles in allem bietet Rospocher ein quellengesättigtes Buch, das nicht nur durch eine präzise Aufarbeitung des Materials beeindruckt, sondern auch durch die "multimediale" Perspektive besticht. Damit ergänzt es nicht nur hervorragend die vorhandene Literatur zu Julius II., sondern lädt auch zu weiterer Forschung zum Zusammenspiel der Medien in dessen Pontifikat ein. Nicht nur für Historiker, sondern auch für Kunsthistoriker sollte es künftig zur Pflichtlektüre zum Thema Renaissancepapsttum gehören.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Christine Shaw: Julius II. The warrior pope, Oxford 1993.

[2] Vgl. etwa Nelson H. Minnich: The Fifth Lateran Council. Studies on its Membership, Diplomacy and Proposals for Reform, Aldershot 1993; Jörg Bölling: Das Papstzeremoniell der Renaissance. Texte - Musik - Performanz, Frankfurt/M. 2006.

[3] Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, Köln 1956, 89.

Rezension über:

Massimo Rospocher: Il papa guerriero. Giulio II nello spazio pubblico europeo (= Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento; Monografie, 65), Bologna: il Mulino 2015, 392 S., ISBN 978-88-15-25350-7, EUR 32,00

Rezension von:
Bernward Schmidt
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Empfohlene Zitierweise:
Bernward Schmidt: Rezension von: Massimo Rospocher: Il papa guerriero. Giulio II nello spazio pubblico europeo, Bologna: il Mulino 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 5 [15.05.2016], URL: https://www.sehepunkte.de/2016/05/27393.html


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