Jedes Jahr zu Weihnachten gerät er wieder in den Blick einer breiten christlichen Öffentlichkeit: Der König Herodes, den Matthäus 2 zu einem der schlimmsten Tyrannen der Weltgeschichte gemacht hat, zum Kindermörder nämlich von Bethlehem, der mit dieser grausamen Tat den neugeborenen, vermeintlichen Konkurrenten Jesus beseitigen wollte. Altertumswissenschaftler kämpfen seit über 100 Jahren gegen dieses Bild an, bemühen sich, das vielschichtige Leben und Wirken des idumäischen Herrschers, der auch römischer Bürger, Jude und hellenistischer König war, hervorzukehren, und das Ergebnis ist, dass immer neue Tagungen über Herodes veranstaltet werden, Bücher und Aufsätze erscheinen.
Auch im Februar 2014 fand zu diesem Thema eine internationale Tagung an der Evangelischen Akademie Bad Boll in Baden Württemberg statt. Diese Tagung trug den Titel "Herodes - König von Judäa. Römerfreund, 'Kindermörder', Baumeister", und daraus ist ein im Wortsinn sehr schönes Buch entstanden, das bei Zabern erschienen und dementsprechend opulent bebildert ist. Der Titel des Buches ist auf den "König von Judäa" beschränkt, was freilich nicht ganz der Ausdehnung seines Reiches gerecht wird. Es geht in keinem der insgesamt neun Beiträge, die dieses Buch versammelt hat, um die Person Herodes, sondern ausschließlich um seine politische und kulturelle Bedeutung sowie um sein Nachleben als unvermeidlicher "Kindermörder" - als solchen kennt ihn schließlich jeder. Ein Buch bei Zabern verlangt geradezu danach, die reiche archäologische Forschung zu Herodes zu präsentieren, und das geschieht mit zahlreichen wunderschönen Bildern, Tafeln und Skizzen. Herausgeber und Autoren sind zudem ausgewiesene Fachleute der Altertumswissenschaften, und sie konnten sich auf eine für antike Verhältnisse sehr gute Quellenlage stützen. Denn zum einen gibt es den jüdischen Historiker des Herodes, Flavius Josephus, der einen erstaunlich großen Teil seines umfangreichen Werkes dieser Herrschergestalt gewidmet hat. Darüber hinaus aber gibt es eine intensive archäologische Erforschung der Wirkungsstätten des Herodes in Israel, Städte wie Caesarea und Sebaste, oder Plätze wie Masada, das Herodeion und Machairos, und schließlich haben auch die Numismatiker eine Vielzahl von Münzen zutage gefördert, die für die Herrschaftsrepräsentation des Königs von großer Bedeutung sind.
Den Schwerpunkt des Buches bildet zweifellos die Archäologie. Allein drei Beiträge befassen sich mit Großprojekten des Königs - mit Caesarea als der "multikulturellen Metropole" (Joseph Patrich), mit dem grandiosen Tempelbau in Jerusalem (Katharina Gabor) und mit der (in der Forschung oft stiefmütterlich behandelten) Festung Machairos östlich des Toten Meeres (Gyözö Vörös), und die Berichte sind, wenn sie auch Bestandsaufnahmen sind, sehr ertragreich, gerade weil die Autoren z.T. die Stätten mit ausgegraben haben. Des Weiteren behandelt ein Beitrag (Byron McCane) die materielle Alltagskultur Judäas im Umfeld der herodianischen Zeit, ein weiterer (Dieter Vierweger) die Ausgrabungen in Jerusalem, im Stadtteil Muristan, von der Zeit des Herodes und danach. Für das Verständnis der Politik des Königs, und damit auch seiner Baupolitik, sind der anregende Einführungsbeitrag des Herausgebers zur Ambivalenz und Vielfältigkeit seiner Regierungszeit sowie zu deren Faszination ebenso wichtig wie die kundige historische Einordnung der herodianischen Politik in die augusteische Zeit von Werner Eck. Zweifellos war Herodes exzeptionell unter den Klientelkönigen der augusteischen Zeit, weil eben nicht nur Josephus ihm eine zentrale Rolle, ja sogar den dritten Platz im Imperium Romanum nach dem Princeps Augustus und seinem Freund Agrippa zuweist, sondern auch weil die umfangreiche archäologische und literarische Quellenlage ihn deutlich über "Konkurrenten" wie Juba, Aretas oder Polemon, andere Klientelfürsten der Zeit, herausheben. Die Außenbeziehungen des Herodes waren ebenso vielfältig; einer dieser engen, nicht nur freundlichen Kontakte bestand mit dem Nabatäerreich mit seinem Zentrum in Petra. Diesem Thema gilt ebenfalls ein instruktiver Beitrag des Buches (Robert Wenning), der die Vielschichtigkeit und gegenseitige Einflussnahme herausarbeiten kann. Etwas zu kurz - ein rein subjektiver Eindruck - kommt der Blick auf die Rezeption des Herodes im frühen Christentum. Spannend ist es jedenfalls, wenn Thomas Schumacher darlegt, wie geschickt der Evangelist Matthäus in Kapitel 2 das Potential des Herodes für seine Zwecke, den "Kindermord von Bethlehem", nutzt. Diese Passage des Evangelisten bleibt die Grundlage für das literarische und künstlerische Nachleben des Herodes.
Das Buch ist also überaus gelungen, bietet kompetente Einführungen in die wichtigsten Bereiche herodianischen Wirkens und ist üppig ausgestattet mit schönen Illustrationen - man nehme es zur Hand und lasse sich unter kundiger Begleitung in die Zeit des Herodes versetzen.
Jürgen K. Zangenberg: Herodes. König von Judäa, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2016, 112 S., 102 Farb-; 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-4950-5, EUR 24,95
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