Im Mai 2015 begingen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland und Israels den 50. Jahrestag der gegenseitigen diplomatischen Anerkennung ihrer Staaten. In den aus diesem Anlass gehaltenen Festreden und publizierten Schriften wurde immer wieder darauf verwiesen, dass "die bilateralen Beziehungen [...] nach wie vor durch das Trauma des Holocaust gekennzeichnet und [...] daher als besonders angesehen" werden. [1] Zugleich wurden die intensiven wechselseitigen Kontakte und Bande gewürdigt, die sich trotz der Last der Geschichte entwickelt haben. Sie waren bis 1990 wesentlich durch den Kalten Krieg geprägt und sind bis heute eng mit Entwicklungen im Nahostkonflikt verbunden bzw. an die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Eliten beider Staaten geknüpft.
Jenny Hestermann untersucht in ihrer Studie einen Teilaspekt des historisch belasteten deutsch-israelischen Verhältnisses. Unter dem provokativen Titel "Inszenierte Versöhnung" widmet sie sich insbesondere der Reisediplomatie. Ihr Ziel ist es, "anhand privater und offizieller Besuche" Wege zur Annäherung und zum "Brückenbau", jedoch auch "Risse in dieser Brücke" aufzuzeigen (10). Der Ansatz ermöglicht es, die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen durch bisher kaum beleuchtete Details zu ergänzen und zu verifizieren.
Die Autorin konzentriert ihre Recherche auf die Jahre 1957 bis 1984, beginnend mit dem ersten deutsch-israelischen Waffenabkommen, ausgehandelt durch Franz Josef Strauß und Schimon Peres, und endend mit dem ersten Staatsbesuch Helmut Kohls in Israel. Beginn und Endpunkt ihrer Untersuchung markieren allerdings weder grundlegende Zäsuren in den bilateralen Beziehungen oder in israelischer bzw. westdeutscher Innen- und Außenpolitik noch im Verlauf des Nahostkonflikts oder in der betreffenden Regionalpolitik beider Staaten. Die ausgewählten Begegnungen auf privater, halboffizieller oder staatlicher Ebene illustrieren andererseits recht gut die schwierige Gratwanderung, die Politiker im Schatten des Holocaust zu vollziehen hatten. Sie verdeutlichen eine Realpolitik, die sich in Israel auf den Aufbau und die Sicherheit des Landes richtete und sich auf deutscher Seite vorrangig an der internationalen Reputation der Bundesrepublik, an der Hallstein-Doktrin und den wirtschaftlichen Interessen in der Nahostregion orientierte. Wie diverse Einschätzungen und Gesprächsvermerke mitreisender Offizieller veranschaulichen, blieb angesichts der beiderseitigen Interessenlagen nur bedingt Platz für moralische Überlegungen und Verantwortung - obwohl in offiziellen Verlautbarungen stets der historische Kontext beschworen wurde (vgl. 125ff., 167f., 200f.). Auch in der Folgezeit sollten die insgesamt erfolgreichen bilateralen Beziehungen immer wieder von Misstönen und Missverständnissen begleitet werden.
Die Publikation basiert auf der 2015 am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin verteidigten Dissertation Jenny Hestermanns "Hinter den Kulissen. Reisen deutscher Politiker nach Israel in den Jahren 1957-1984". Sie ist in sechs Kapitel gegliedert. Nach einer umfangreichen Einleitung (I), die u.a. Auskünfte über Forschungsstand und Quellenlage gibt, widmet sich die Autorin in chronologischer Abfolge der in den 1950er Jahren beginnenden Kontaktaufnahme und Kooperation (II) sowie den "privaten" und "offiziellen" Reisen der 1960er und 1970er Jahre (III und IV). Die 1980er Jahre (V) sind auf die Schmidt-Begin-Kontroverse, d.h. "einen Besuch, der nicht stattfand" (235ff.), und auf den ersten Staatsbesuch Helmut Kohls in Israel (1984) fokussiert. Kapitel VI enthält ein Resümee. 23 zumeist israelischen Archiven entnommene Fotos illustrieren die Reisediplomatie. Hervorhebenswert sind die Zusammenfassungen am Ende jedes Sachkapitels.
Die Qualifizierungsschrift und Publikation Hestermanns basieren auf israelischen und deutschen Archivmaterialien sowie auf umfangreichen Presserecherchen. Die Autorin widmet sich in erster Linie dem "persönlichen Faktor", betont jedoch auch die Verbindung zwischen persönlichen Ambitionen und politischen Zielstellungen, wie z.B. beim Besuch von Altbundeskanzler Adenauer 1966 in Israel. Besonders interessant sind Begegnungen, die bisher wenig im Lichte der Öffentlichkeit standen und in wissenschaftlichen Arbeiten in der Regel nur am Rande erwähnt werden. Dazu gehören beispielsweise die Treffen deutscher Politiker mit jüdisch-israelischen Intellektuellen, wie Martin Buber und Ernst Simon, die Vorträge von Eugen Gerstenmaier, Theodor Heuss und Konrad Adenauer an der Hebräischen Universität und im Weizmann-Institut oder die Begegnungen mit Vertretern deutscher Landsmannschaften. Sie zeugen von dem Bemühen, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen durch den Aufbau politischen Vertrauens vorzubereiten. Auf beiden Seiten dienten die entsprechenden Aktivitäten nicht zuletzt innenpolitischen Zielen, in Israel zum Beispiel dem Anliegen, die deutschlandfeindlich eingestellten Teile der Öffentlichkeit vom "anderen Deutschland" zu überzeugen. Auch die Medienberichterstattung in der Bundesrepublik vermittelte ihren Konsumenten ein mehrschichtiges Bild der Gegenseite. Hestermann verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf die Herausbildung von "wiederkehrenden Ritualen" (143) bzw. auf die Symbolik von Gesten, Worten und Kleidung bei offiziellen und semioffiziellen Besuchen.
Dem Anspruch, am Beispiel des westdeutsch-israelischen Beziehungsgeflechts eine "Kulturgeschichte der Diplomatie" (14) zu schreiben bzw. "die rhetorische Gestaltung des bilateralen Verhältnisses [...] anhand der Besuchskultur" (11) nachvollziehbar zu machen, kann Hestermann nur zum Teil gerecht werden. Unterschiede zwischen CDU, SPD und FDP in Politik und Haltung gegenüber Israel bzw. zum Nahostkonflikt werden aufgrund der sachlichen und zeitlichen Beschränkung ihrer Recherche verständlicherweise lediglich angedeutet. Die Frage, ob bei der Wortwahl deutscher Politiker neben pragmatischer Zielstellung auch bedingter Philosemitismus eine Rolle gespielt habe, wird nicht gestellt. Der Eichmannprozess in Jerusalem, durchaus als Zäsur für die Beschäftigung mit der Schoah sowohl in Israel als auch in beiden deutschen Staaten zu werten, wird in der Studie zwar als Hintergrund für den Israel-Besuch des Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier 1962 gewertet (77), detaillierte Information über das Stimmungsbild in der Bundesrepublik und in Israel fehlt jedoch. Interessant wäre auch eine knappe Analyse zivilgesellschaftlicher und bildungspolitischer Aktivitäten gewesen, festgemacht beispielsweise an der Aktion Sühnezeichen oder an der Wirksamkeit der Bundeszentrale für politische Bildung.
Die Geschichte der politischen, wirtschaftlichen, militärischen, kulturellen und wissenschaftlich-technischen Beziehungen zwischen der BRD und Israel ist in zahlreichen, mitunter voluminösen Publikationen beschrieben worden. Jenny Hestermanns Studie schließt infolge ihrer Fokussierung auf subjektive Seiten der vorbereitenden und begleitenden Besuchsdiplomatie eine Lücke in der Aufarbeitung und Abrundung des Themas. Ihr Band regt zweifellos dazu an, die entsprechende Problematik auch für die Zeit nach 1984 zu untersuchen und darzustellen.
Anmerkung:
[1] Steffen Hagemann / Roby Nathanson: Deutschland und Israel heute. Verbindende Vergangenheit, trennende Gegenwart?, Gütersloh 2015, 32.
Jenny Hestermann: Inszenierte Versöhnung. Reisediplomatie und die deutsch-israelischen Beziehungen von 1957 bis 1984 (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts; Bd. 28), Frankfurt/M.: Campus 2016, 290 S., 23 s/w-Abb., ISBN 978-3-593-50615-9, EUR 29,95
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