Seit einigen Jahren befasst sich die Historiografie zu Ostmitteleuropa vor 1918 verstärkt mit konfessionsübergreifenden Kommunikationsräumen und Beziehungsgeflechten, und auch Tod und Sterben sind neuerdings häufiger von den Geisteswissenschaften beachtet worden. Diese beiden Themenkomplexe bestimmen das Buch von Kathrin Krogner-Kornalik, das aus einer an der Ludwig-Maximilians-Universität im Wintersemester 2013/14 eingereichten Dissertation hervorgegangen ist. Die Autorin analysiert darin eingehend und nuanciert die Interaktionen zwischen den religiösen Institutionen sowie den Staats-, Landes- und Stadtbehörden in den Handlungsfeldern Bestattungswesen und Totenfeier in Krakau während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kontext des urbanen und politischen Wandels. Dabei arbeitet die Studie auch Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Religionsgemeinschaften heraus. So ist Krogner-Kornaliks Blick stark differenziert, wodurch sie oftmals noch vorherrschende schematische Konzepte von den Figurationen der im östlichen Europa ansässigen Religionsgemeinschaften herausfordert.
Die in zwei Teile gegliederte Untersuchung fokussiert auf die Reaktionen der Krakauer Christen und Juden auf die Bürokratisierung, Säkularisierung und Technisierung des Bestattungswesens und analysiert den politischen Totenkult, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Krakau ausbildete. Die Autorin greift auf Dokumente der verschiedenen städtischen und kirchlichen Einrichtungen sowie der jüdischen Gemeinde zurück, zudem stützt sie ihre Aussagen auf Akten der Friedhöfe und Bestattungsunternehmen. Für die Analyse von politischen Einstellungen sowie für die Rekonstruktion der Ereignisse zieht sie zeitgenössische Parteizeitungen und Memoiren heran.
Das Bestattungswesen bildete in Krakau ein spezifisches soziokulturelles Handlungsfeld, in dem Christen wie Juden agierten. Daher eignet es sich besonders gut für eine Untersuchung im Sinne einer shared history, wie Krogner-Kornalik hervorhebt. Im ersten Teil des Buchs geht sie der Frage nach, in welcher Weise die tradierten Totenrituale der Christen und Juden von den gesundheitspolitischen und sozialen Leitlinien, die auf den Prinzipien der Aufklärung beruhten und seit Ende des 18. Jahrhunderts im österreichischen Bestattungswesen obligatorisch waren, berührt wurden. Bereits zuvor, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, hatten die Krakauer Stadt- und galizischen Landesbehörden ebenso wie der Vierjährige Sejm sanitärpolitische Reformen des Friedhofswesens anvisiert, und in Lemberg und Warschau waren Friedhöfe in die Peripherie verlegt worden. So beschreibt die Studie die Verlegung der Krakauer Begräbnisstätten nach außerhalb der Stadtmauern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Auflassung der bisherigen Nekropolen, aber auch die dadurch vollzogene Veränderung der Krakauer Topografie. Dabei wird jedoch die Frage übergangen, ob die diesbezüglich übereinstimmenden Positionen der galizischen und Krakauer Behörden sowie des Josephinischen Reformdekrets von 1784 auf einem Ideentransfer oder auf gemeinsamen aufklärerischen Vorstellungen beruhten. Indem die Untersuchung der Umsetzung der Reform aber Verflechtungen zwischen Regionalem und Überregionalem zutage bringt, trägt sie implizit der new imperial history Rechnung, welche die Beziehungen zwischen Imperium und lokalen Konstellationen in den Blick nimmt.
Die katholische Geistlichkeit akzeptierte die Neuanlage eines allgemeinen, überkonfessionellen Friedhofs ebenso wie die Forderung, auf opulente Beerdigungen zu verzichten. Auch die jüdische Gemeinde sah in der Neuanlage eines jüdischen Friedhofs ihre Bedürfnisse erfüllt. Die Studie lässt erkennen, dass die Behörden gegenüber der jüdischen Gemeinde allein durch den Willen, die öffentliche Hygiene zu verbessern, und nicht durch zivilisatorisches Sendungsbewusstsein geleitet waren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte sich die jüdische Gemeinde teils erfolgreich der behördlichen Einmischung in ihre Begräbnisriten widersetzen, wie es auch der katholischen Geistlichkeit gelang, eine partielle Verfügungsgewalt über das Bestattungswesen auszuhandeln und auf dem neuangelegten Friedhof katholische Bräuche wiederzubeleben. Dass der allgemeine Krakauer Friedhof - der Rakowicki-Friedhof - nach Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend als exklusiver Ort des Totengedenkens wahrgenommen wurde, belegt die Autorin durch zeitgenössische Zeitungsartikel, Erinnerungsliteratur und Korrespondenzen von Geistlichen.
Auf Grundlage des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich von 1855 bildete sich eine katholisch geprägte Friedhofskultur heraus. Die Studie beschreibt, dass wohlhabende Bürger durch ihre Stiftungen an der Etablierung katholischer Bräuche wesentlichen Anteil hatten und dadurch zugleich ihre soziale Position demonstrierten, sodass der Friedhof wieder zum Ort sozialer Repräsentation wurde. Es wäre sinnvoll gewesen, in Anknüpfung an den Abschnitt über den strukturellen Wandel in Krakau auf die Rolle der Herausbildung des Krakauer Bürgertums bei der Veränderung der Friedhofskultur einzugehen. Auch ein Hinweis darauf, dass die Entstehung einer von bürgerlichen Repräsentationsbedürfnissen geprägten Friedhofskultur ein europäisches Phänomen war, hätte dem explizierten Anspruch Rechnung getragen, den europäischen Kontext in die Analyse einzubeziehen. Dafür vergleicht die Studie die Krakauer jüdische Gemeinde mit den Gemeinden anderer polnischer Städte und der Berlins hinsichtlich ihres Umgangs mit den sanitärpolitischen Verordnungen. Dabei wird deutlich, dass sich speziell in Krakau die orthodoxen Juden gegenüber den fortschrittlich eingestellten durchsetzen konnten und es durch die rechtliche Besserstellung der österreichischen Juden nach 1867 für die Krakauer Juden auch einfacher wurde, die städtischen Ansprüche zumindest punktuell abzuwehren. In welcher Weise sich um 1900 das Spannungsverhältnis zwischen rational-wissenschaftlichem und religiösem Zugang zum Tod zuspitzte, erhellt die Analyse der Positionen zur Feuerbestattung. Demnach gab es bei den Krakauer Katholiken ein liberal eingestelltes Lager, das in der Feuerbestattung ein Mittel sah, den Einfluss der Kirche auf das Leben der Individuen zurückzudrängen. Die Verdiesseitigung des Todes und die Technologisierung der Begräbnisse schuf indes auch die Voraussetzung für die Entstehung privatwirtschaftlicher Bestattungsunternehmen.
Der zweite Teil widmet sich der Inszenierung von Begräbnissen prominenter Persönlichkeiten, die auf politischem beziehungsweise kulturellem Gebiet Herausragendes für Galizien oder Polen geleistet hatten. Dabei wird auch die Rolle Krakaus und des Wawels als zentraler Ort nationaler Trauer in Polen charakterisiert. Leitfrage ist, in welcher Weise die nationalen Einstellungen, die Positionen gegenüber Kirche und Gesellschaft sowie die politischen und religiösen Spannungen in Galizien auf den politischen Totenkult und die Festkultur in Krakau eingewirkt haben. Dabei bildet die Verknüpfung der Mikro- und Makroebene eine wichtige Methode: Die Beweggründe und Entscheidungen der individuellen und kollektiven Akteure beleuchtet die Autorin vor der Folie der politischen Lage Galiziens beziehungsweise Polens, der Autorität und der Grundsätze der katholischen Kirche sowie der herrschenden religiös-moralischen Vorstellungen. Gezeigt wird, in welcher Weise die verschiedenen Gruppen versuchten, die jeweilige Totenfeier für ihre ideellen Zwecke zu nutzen sowie auf deren Inszenierung und symbolische Bedeutung einzuwirken. Im Vordergrund steht der Streit, der sich zwischen den weltlichen und religiösen Institutionen um die Deutungshoheit entspann und bei dem zugleich der symbolische Gehalt der Feier verhandelt wurde, mit dem ihr konfessioneller beziehungsweise konfessionsübergreifender Charakter verknüpft war: Von der Krakauer Öffentlichkeit zelebrierten nationalen Begräbnissen wohnte ein identitäts- und gemeinschaftsstiftender Charakter inne, und sie wurden von allen in Galizien ansässigen Religionsgemeinschaften gefeiert. Die Arbeit gelangt aber auch zu dem Ergebnis, dass die Kirche in dieser Zeit bei relativ großen Teilen der urbanen Gesellschaft das Monopol auf die Vermittlung national-kultureller Inhalte eingebüßt hatte: Bei Bestattungen von Intellektuellen, die gegenüber der Kirche distanziert eingestellt waren, wurde offenbar, dass um 1900 für viele Krakauer herausragende wissenschaftliche, humanitäre beziehungsweise künstlerische Leistungen stärker ins Gewicht fielen als ein Mangel an Kirchentreue.
Die im erzählerischen Duktus verfasste Studie leistet zweifellos einen wichtigen Beitrag zur Geschichte urbaner Mentalität im östlichen Mitteleuropa um 1900. Ihr Transfer liegt in der spezifischen Verbindung der Zugänge: der Verflechtungsgeschichte, die sich auf das Geflecht kommunaler, staatlicher und kirchlicher Politik sowie jüdischen Agierens im urbanen Raum konzentriert, der Wissenschaftsgeschichte, welche die Verwissenschaftlichung in den Blick nimmt, und der Religionsgeschichte. Durch die Vielfalt der Perspektiven deckt die Studie die Tiefenstruktur urbanen Geschehens auf und erzählt zugleich die Geschichte der Krakauer Christen und Juden mit einem integrativen Blick.
Kathrin Krogner-Kornalik: Tod in der Stadt. Religion, Alltag und Festkultur in Krakau 1869-1914 (= Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit; Bd. 5), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 310 S., ISBN 978-3-525-31026-7, EUR 70,00
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