In der Einleitung des anzuzeigenden Tagungsbandes steht eine lange Zeit unberücksichtigte Frage: "Were Renaissance thinkers philosophers in their own right, or do they rather belong to the history of literature and the arts? Were they essentially polemical, anti-scholastic thinkers, or did they instead contribute innovatively to the birth of modernity?" (12). In der Philosophiegeschichte wird die Epoche der Renaissance noch immer stiefmütterlich behandelt, einem Diktum folgend, dass - wie die Herausgeber herausstellen (7) - bereits Hegel exemplarisch formuliert hatte. [1] Erst im 17. Jahrhundert sei es demnach - durch Philosophen und Wissenschaftler wie Descartes und Galileo - zu einem Bruch mit den Vorgängern gekommen, wodurch die Moderne erst zu sich selbst gefunden hätte. Damit hat Hegel ein Paradigma gesetzt, gegen das die Philosophiehistoriker der Renaissance seitdem ankämpfen müssen: dass die Renaissance nichts weiter gewesen sei als der Versuch der Wiederherstellung eines antiken Bildungsideals, der für die Philosophie der Moderne aber keine Impulse gegeben habe.
Dieser Ansicht wird in diesem Buch, das die Herausgeber mit einer erhellende Diagnose über zwei falsche Vorstellungen der Philosophiegeschichte eröffnen, ausdrücklich widersprechen: Nämlich dass es eine Unterbrechung zwischen der Philosophie der Frühen Neuzeit und der Renaissance gegeben habe und, dass die Renaissance zur Philosophie der Frühen Neuzeit nichts beigetragen habe und daher von der Forschung ignoriert werden könne. Dem stellt der Band Kontinuitäten gegenüber, geht aber tatsächlich noch weiter, indem betont wird, wie sehr die Renaissance die Neuzeit nicht nur beeinflusst, sondern bereits vorweggenommen hat. Die so argumentierenden Beiträge sind jeweils in vier Sektionen zusammengefasst: 1, The Endurance of Tradition; 2, Natural Philosophy; 3, Changing Conceptions of the Human; und, 4, Moral and Political Theory. Ihnen sind jeweils nützliche Zusammenfassungen und Bibliographien beigegeben.
Der erste Teil widmet sich der Frage, "how a philosophical tradition is constructed" (14). Den Beginn macht Guido Giglioni, der sich dem Lexicon Philosophicum von Rudolph Goclenius widmet, das zwischen 1613 und 1615 entstanden ist. Dabei belegt er, dass "the contribution of seventeenth-century philosophers, with their innovative ideas about language, science and religion, cannot be properly understood without taking into account the philosophical work elaborated during the fifteenth and sixteenth century" (21). Giglioni analysiert damit durch die Terminologie, die Goclenius in seinem Lexicon aus der Renaissance übernommen hat, die Grundlage, auf der eine philosophische Tradition konstruiert wird - nämlich die Sprache. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Stephen Clucas Beitrag, der insbesondere der Anatomy of Melancholy von Robert Burton (1621) gewidmet ist. In diesem Werk hat - wie Clucas treffend zeigt - Burton eine "Theorie der Liebe" benutzt, die für den Platonismus der Renaissance charakteristisch war, wobei er nicht nur Werke von bekannten rinascimentalen Autoren wie Ficino und Leone Ebreo benutzte, sondern auch viele weitere - heute fast in Vergessenheit geratene - Texte. "Burton's work makes it clear that a history of the reception of Platonism in the seventeenth century needs to consider the various milieux of European general scholarship" (41). Lodi Nauta untersucht dann die Hinterlassenschaft der Renaissance "in the long tradition of the critique of scholastic language, voiced by humanists and early-modern philosophers alike" (59): Valla, Vives, Sanches, Gassendi, Hobbes und Leibniz hätten trotz aller Unterschiede doch über die Epochengrenze hinweg die Überzeugung geteilt, dass die Sprache der Scholastik "artificial, unnatural, uninformative, ungrammatical, and quasi-precise" (59) gewesen sei. Sarah Hutton thematisiert schließlich die ambivalente Sicht Henry Mores auf seinen bekannten italienischen Vorgänger Girolamo Cardano.
Der zweite Teil konzentriert sich auf Kontinuitäten und Veränderungen in der Naturphilosophie der Renaissance und der Frühen Neuzeit: Silvia Manzo betrachtet verschiedenen Erklärungen der Veränderung von Materie von Girolamo Cardano bis zu seinen Lesern im 17. Jahrhundert, wobei sie den Schwerpunkt auf Francis Bacon legt. Daniel Garber zeichnet die Wirkungsgeschichte eines Autors der Renaissance nach, der in der Neuzeit häufig vergessen wurde: Bernardino Telesio, den Francis Bacon in seinem Werk De principiis et originibus als "an important interlocutor" gesehen hat und der für Bacon "in a way the father of modern philosophy" (126) war. Natacha Fabbri thematisiert schließlich die Veränderungen einer der wichtigsten Spekulationen in der Renaissance, die Diskussionen über einen erdgleichen Mond, in den Werken von Patrizi, Bruno, Maestlin, Gilbert und Wilkins.
Den dritten Teil des Bandes eröffnet Emmanuel Faye, der sich auf den Begriff der "Vollkommenheit des Menschen" bei René Descartes in Kontinuität zu dessen Vorgängern in der Renaissance konzentriert. Emanuela Scribano führt die Verbundenheit zwischen der cartesianischen Tradition und der Renaissance weiter: sie zeigt, dass das Erbe von Campanellas Vitalismus im Zentrum der Diskussion über die Fähigkeiten der Tiere in der Frühen Neuzeit stand. Die Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren wird auch im Beitrag von Cecilia Muratori thematisiert. Sie argumentiert, dass der anonyme Theophrastus redivivus verschiedene Quellen der Renaissance miteinander verbindet (vor allem Cardano, Vanini und Campanella), um den Sinn für die Kontinuität aller Lebewesen zu verstärken, wobei der Anonymus diese Autoren jedoch umdeutet, um zu betonen, dass der Mensch die Sonderrolle, die er im Kosmos innehatte, verloren habe (185).
Der vierte Teil erkundet schließlich die Einflüsse der Renaissance auf die Theorien der Politik und der Moral der Frühen Neuzeit. Annalisa Ceron weist zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen Francis Bacons Essays und der moralphilosophischen sowie politischen Literatur der Renaissance bis zurück zu Niccolò Machiavellis Principe nach. Sie zeigt, wie gerade Bacons Begriff der "Freundschaft" zutiefst mit dem Hintergrund der Renaissance verbunden ist. Gianni Paganinis Beitrag wirft ein sehr erhellendes Licht auf die Renaissancequellen, die man bei der Betrachtung des Hobbes'schen Entwurfs der Tugenden in Betracht ziehen muss. Deutlich wird hier gegen eine "ethicist' interpretation of Hobbes' theory of morals" (221) argumentiert, die gerade die Renaissancequellen - vor allem Valla - außer Acht lässt, die zu einer historisch falschen Interpretation des Hobbes'schen Entwurfs der Ethik führt (221). Der Hobbes'sche Antiaristotelismus auf dem Gebiet der Moral, den er - wie Paganini sehr gut deutlich macht - mit Bodin geteilt hat, lässt sich nur schwer mit dem politischen Aristotelismus vereinbaren, den ihm Leo Strauss zugeschrieben hat. Hier hilft vielmehr der Verweis auf Valla deutlich weiter, der einige Verwirrungen aufklärt, die die Forschung über Hobbes bis heute belastet haben. Sara Miglietti widmet sich sodann dem Begriff der "grandezza", um einerseits den Wechsel der Perspektive auf den Staat zwischen Machiavelli und Burton deutlich zu machen, andererseits aber auch erstaunliche Anknüpfungspunkte zwischen der Renaissance und der Frühen Neuzeit bezüglich dieser Konzeption aufzuzeigen. John Christian Laursen beschreibt abschließend den intellektuellen Werdegang von John Upton (1707-1760) und eröffnet damit einen Ausblick auf das 18. Jahrhundert und eine Philosophiegeschichte across borders.
Waren denn nun die Denker der Renaissance eigenständige Philosophen, die zur Philosophie der Frühen Neuzeit - und darüber hinaus der Moderne - beigetragen haben? Beides kann nach der Lektüre der hier versammelten, durchweg sehr gelungenen und informativen Beiträge nur bejaht werden. Der angezeigte Band sei jedem, der sich für ein Neudenken der Epochen und eine Überwindung der artifiziellen Epochengrenzen interessiert, ans Herz gelegt. Um diese Rezension mit Petrarca zu schließen, der das Anliegen des Bandes historisch vielleicht sogar noch weiter in die Vergangenheit zu legen vermag: "Nichts ist für den Wanderer schändlicher, als nicht zu wissen, wohin er gehen will, nichts schändlicher für einen Mann, als nicht zu wissen, was er will. Umsonst wirst du die Segel setzen, wenn du das Steuer verloren hast: du wirst nämlich dahin treiben, wohin dich nicht deine Ratio, sondern Fortuna trägt. [...] Ich bitte dich, beginne gutes Mutes Eines zu wollen. Wenn du auf eine Küste den Bug deines Schiffes richtest, einem einzigen Wind dein Segel anvertraust, das Steuer in der Hand, dann wird deine Seefahrt sicher sein, dann wirst du zuverlässig fortschreiten, wenn nicht etwa, soweit du willst, so doch, soweit es dir vom Himmel gegeben ist." [2] Cecilia Muratori und Gianni Paganini haben das Ruder hier mit sicherer Hand ergriffen und mit dem Tagungsband in die richtige Richtung gewiesen. Um die Rezension im Sinne der Verständigung zwischen den Epochen zu schließen: "Multi pertransibunt et scientia augebitur." [3]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Suhrkamp Werk Ausgabe, Frankfurt 1971, Bd. 20, S. 12 f.
[2] Francesco Petrarca, Epistulae familiares XX,4, in: Le familiari, 4 Bde., hg. v. V. Rossi u. U. Bosco, Florenz 1933-1942, Bd. IV, S. 21.
[3] Francis Bacon, Neues Organon, hg. v. Wolfgang Krohn, 2 Bde., Hamburg 1990, Bd. 1, S. 1.
Cecilia Muratori / Gianni Paganini (eds.): Early Modern Philosophy and the Renaissance Legacy (= International Archives of the History of Ideas; 220), Cham [u.a.]: Springer 2016, Vi + 298 S., ISBN 978-3-319-32602-3, EUR 96,29
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