sehepunkte 18 (2018), Nr. 3

Simon Elliott: Empire State

Die Studie Simon Elliotts ist denjenigen Pflichten der römischen Armee gewidmet, die außerhalb der militärischen Aufgaben im engeren Sinn lagen, den "non-conflict related duties" (IX) in den Worten des Autors. Das ehrgeizige Programm der Arbeit umfasst eine Skizze der Grundlegung des Prinzipats, des Transportnetzwerks und der "Natur der römischen Ökonomie" (Kapitel 1), sodann im zweiten Kapitel "a detailed consideration of all aspects of the Roman military" (IXf.), eine Darstellung der Befehlshierarchien im Imperium Romanum sowie "die erste detaillierte Untersuchung" (first detailed scrutiny) der Armee als Verwaltungs- und Polizeiapparat (Kapitel 3). Kapitel 4 und 5 sind der Ingenieurstätigkeit ("of all levels and kinds": X) von Soldaten gewidmet, Kapitel 6 und 7 behandeln den Einsatz von Soldaten in der "Industrie" (gemeint ist in erster Linie Berg- und Tagebau) bzw. in der Agrarwirtschaft. Dies ist ein Programm, dessen Umsetzung leicht mehrere umfangreiche Bände füllen könnte. Schon der schmale Umfang der Studie lässt ahnen, dass der Verfasser ihm nicht gerecht werden konnte.

Die einführenden Kapitel (1-3) wenden sich offenkundig an Leser ohne historische Vorkenntnisse, enthalten aber so viele Ungenauigkeiten und Fehler, dass die Lektüre für Anfänger nicht ratsam ist. Als ein Beispiel sei nur die Skizze der Prinzipatsverfassung (37f.) herausgegriffen. Hier werden dem Leser in dichter Sequenz folgende "Erkenntnisse" zugemutet: Vespasian sei der erste princeps gewesen, der sich imperator genannt habe. Die vier Abteilungen des vorsenatorischen Vigintivirats hätten unter Augustus die Stadt Rom verwaltet ("[...] the four boards (the vigintiviri) through which the city of Rome was run": 37). Kraft der tribunicia potestas habe Augustus ein imperium consulare besessen. Schon in augusteischer Zeit seien die Finanzen des Reiches über den "imperial fiscus", der von einem "rationalis (high ranking financial officer)" geleitet worden sei, zentral kontrolliert worden. Das "Gewaltmonopol" in Rom habe seit augusteischer Zeit bei den Prätorianern gelegen. In dem etwa eine Seite füllenden Abschnitt "Imperial Rule", aus dem diese Aussagen stammen, finden sich noch weitere Fehler dieser Art, aber die Auswahl illustriert die Problematik von Elliotts Studie wohl zur Genüge: Der Verfasser hat sich nicht genügend mit römischer Geschichte, den römischen Institutionen und vor allem: mit den Quellen vertraut gemacht, um die von ihm in Angriff genommene Aufgabe zu meistern.

Die Abschnitte, in denen sich der Verfasser konkreten Tätigkeitsfeldern der römischen Armee widmet, sind im Allgemeinen informativer und von verhältnismäßig größerer Sachkenntnis geprägt, zeichnen sich allerdings durchweg durch sporadische Heranziehung von Sekundärliteratur und vor allem Quellenferne aus. Papyri, Ostraca oder Inschriften, die die Verwendung von Militär im zivilen Aufgabenbereich dokumentieren, werden praktisch gar nicht verwendet, und wenn es einmal geschieht, dann in der allgemeinen Form des Typs: "Inscriptions show that a wide variety of military vexillations were used for building the structure and then its maintenance" (75), ohne Nachweis der betreffenden Texte. Gewöhnlich geht der Autor davon aus, dass die Existenz eines Bauwerkes unter bestimmten Bedingungen (etwa in Regionen, wo es nicht genügend andere als militärische Arbeitskräfte gegeben habe, oder aufgrund der Zweckbestimmung der Konstruktion) zur Genüge ausweise, dass es von militärischen Ingenieuren entworfen oder von Soldaten errichtet worden sei.

Detaillierter und archäologisch dokumentiert sind die Fallstudien zu den Eisenerzabbaugebieten im Wealden Distrikt (Kent) und zum Abbau von ragstone (oder Kentish rag, einem grau-blauen Kalkstein) im Upper Medway Valley (Kent), eines der wichtigsten Abbaugebiete für den Steinbau in Britannien (101-108 bzw. 108-119). Elliott gibt hier (partiell aus der reichen Forschungsliteratur entnommene, partiell aus eigenen archäologischen Forschungen stammende) interessante Informationen unter anderem zur Größe der jeweiligen Abbaugebiete und zu den Arbeitsabläufen vor Ort. Darüber hinaus stellt er Überlegungen bezüglich der Transportwege zu den Verwendungsorten der Baumaterialien an. Diese Fallstudien sind weitaus gründlicher dokumentiert als die allgemeinen Kapitel im Hauptteil des Buches, was seinen Grund einfach darin hat, dass sie auf der Dissertation [1] des Verfassers beruhen. Diese Untersuchungen haben ihren bleibenden Wert, auch wenn ihre Verwendung als zentrale Fallstudien in einer Arbeit über den nicht-militärischen Einsatz der römischen Armee insofern problematisch ist, als der Einsatz von Soldaten in den Abbaugebieten von Kent mehr erschlossen als bewiesen und für die Kalksteinabbaugebiete ganz unsicher ist (vgl. 119).

Dem Verfasser ist darin zuzustimmen, dass eine Monografie über die römische Armee als Verwaltungsinstrument und Arbeitskräftereservoir ein Desiderat ist. Daran hat sich mit der Publikation seiner Studie allerdings nichts geändert. Vielleicht hätte er seine eigene Pionierleistung etwas weniger hervorgehoben (vgl. bspw. IX, 109, 113f.), wenn die einschlägige Literatur, zumal die nicht-englischsprachige (die keine Berücksichtigung findet), sorgfältiger bibliografiert und zu Rate gezogen worden wäre. [2]


Anmerkungen:

[1] Change and Continuity in the Exploitation of Natural Resources (such as Stone, Iron, Clay and Wood) in the Principal Areas of Industrial Activity in Kent (namely the Weald, Folkestone Region and Upper Medway Valley) During the Roman Occupation, Diss. Kent 2017.

[2] Aus der Fülle der Literatur sei nur herausgegriffen: Patrick Le Roux: Exploitation minière et armées romaines. Essai d'interprétation, in: Claude Domergue (éd.): Mineria y Metallurgia en las Antiguas Civilizaciones Mediterraneas y Europeas (Coloquio Internacional Asociade, Madrid, Oktober 1985), Madrid 1989, vol. II, 171-182; Hélène Cuvigny: La route de Myos Hormos: l'armée romaine dans le désert oriental d'Égypte. Praesidia du désert de Bérenice, vol. 1, Cairo 2003 (als ein Beispiel für ein von der Armee erschlossenes und verwaltetes Gebiet); Cédric Brélaz: La sécurité publique en Asie Mineure sous le Principat (Ier-IIIème s. ap. J.-C.). Institutions municipales et institutions impériales dans l'Orient romain, Basel 2005; Soazick Kerneis: Armée romaine et procédure administrative. L'apport de l'épigraphie britannique, in: REMA 4 (2007), 93-122; Jérôme Bardouille: L'importance du génie militaire dans l'armée romaine à l'époque impériale, in: Revue Historique des Armées 261 (2010), 79-87 (mit Literatur). Zahlreiche einschlägige Materialien bieten die Beiträge in: Géza Alföldy u.a. (Hgg.): Kaiser, Heer und Gesellschaft in der römischen Kaiserzeit. Gedenkschrift für Eric Birley, Stuttgart 2000; Armin Eich (Hg.): Die Verwaltung der kaiserzeitlichen römischen Armee. Studien für Hartmut Wolff, Stuttgart 2010.

Rezension über:

Simon Elliott: Empire State. How the Roman Military Built an Empire, Oxford: Oxbow Books 2017, XIV + 169 S., ISBN 978-1-78570-658-5, GBP 36,00

Rezension von:
Armin Eich
Bergische Universität Wuppertal
Empfohlene Zitierweise:
Armin Eich: Rezension von: Simon Elliott: Empire State. How the Roman Military Built an Empire, Oxford: Oxbow Books 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 3 [15.03.2018], URL: https://www.sehepunkte.de/2018/03/30559.html


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