Der Band geht zurück auf eine Tagung des Vereins "Alte Geschichte für Europa" im September 2014 an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Ziel war es, das Potential der Alten Geschichte "in einer Zeit der Globalisierung, religiöser Konflikte und multiethnischer Schulklassen" (7) auszuloten.
Den Auftakt des ersten Teils ("Althistorische Inhalte im gegenwärtigen Geschichtsunterricht") macht ein Beitrag von Dietmar von Reeken, in dem er nach der Rolle der Alten Geschichte bei dem historischen Anteil des Sachunterrichtes in der Grundschule fragt (12-21). Für eine erfolgreiche Einbindung antiker Themen empfiehlt er entsprechende Fortbildungsangebote und Unterrichtsmaterialien.
Tobias Arand untersucht die Rolle der griechisch-römischen Antike in den nichtgymnasialen Schulformen der Sekundarstufe I (22-38). Mit Blick auf die althistorischen Inhalte in den Lehrplänen der 16 Bundesländer (nützlicher Überblick im Anhang 28-36) kritisiert er unter anderem eine zu geringe Wissenschaftsorientierung und die Beibehaltung traditioneller historisch-gesellschaftlicher Mehrheitsdeutungen, die den heutigen ethnisch und kulturell heterogenen Schulklassen nicht mehr angemessen sei. Zu seinen Forderungen gehören daher eine strengere Wissenschaftsorientierung, ein höheres Anspruchsniveau, eine Flexibilisierung der Lerninhalte sowie eine exemplarische Themenfindung.
In seinem sehr kurzen Beitrag wirft Roland Wolf einen Blick auf den Anteil der Alten Geschichte im gymnasialen Geschichtsunterricht (39-44). Er beschränkt sich dabei auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg sowie ein nicht genanntes Bundesland aus den neuen Ländern. Die knappen Bemerkungen zur Sekundarstufe I beziehen sich lediglich auf Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, die zur Sekundarstufe II nur auf Baden-Württemberg, konkret darauf, welchen Beitrag Themen aus der Alten Geschichte für die Herausbildung einer europäischen Identität liefern können. Literaturhinweise fehlen. Hier wird leider die Chance vertan, einmal einen Gesamtüberblick über den Stellenwert zu geben, den die Alte Geschichte in den Lehrplänen der 16 Bundesländer hat.
Elisabeth Erdmann widmet sich der Darstellung der Alten Geschichte in seit 2008 erschienenen Schulbüchern (45-57). Bei der Übersicht über die Schulformen in den einzelnen Bundesländern, in denen Geschichte in Fächerverbünden unterrichtet wird (47), fehlt in Nordrhein-Westfalen die Gesamtschule, wo dies zumindest zum Teil ebenso erfolgt. Bei der Analyse mehrerer Schulbücher für Geschichte als Integrationsfach konstatiert sie häufig sachliche Fehler, bei jenen für Geschichte als eigenständiges Fach ist ihr Urteil deutlich positiver. Abschließend plädiert sie im Geschichtsunterricht für eine Schwerpunktbildung, um das integrative Potential der Alten Geschichte nutzbar zu machen, statt viele Themen, diese aber nur ganz oberflächlich zu behandeln. Zu solchen Schwerpunkten sollten ihrer Ansicht nach für den Bereich der römischen Geschichte die Neuordnungen des Augustus und die Romanisierung gehören.
Den Begriff des "Epochenlobbyismus" nimmt Hans-Jürgen Pandel in den Fokus (58-66). In Bezug auf die Geschichtsdidaktik wendet er sich gegen Versuche, Epochen zu geschichtsdidaktischen Größen zu machen. Um einem didaktischen Verdrängungswettbewerb zwischen den Epochen zu entkommen, empfiehlt er statt eines chronologischen Zugriffs eine themenzentrierte Lehrplankonstruktion, in Richtung Universität fordert er eine deutlich stärkere Berücksichtigung der im Geschichtsunterricht vorkommenden Themen und von der Geschichtsdidaktik eine fachdidaktische Curriculumforschung.
In dem ersten Beitrag des zweiten Teils ("Was kann die 'Alte Geschichte' leisten? Ausgewählte althistorische Themenbereiche und ihr integratives Potential") thematisiert Konrad Vössing das integrative und aktuelle Potential des Themas römisches Bürgerrecht im Vergleich zu der modernen Konzeption von Staatsbürgerschaft (68-86).
Sein Bonner althistorischer Kollege Winfried Schmitz wendet sich der athenischen Demokratie zu (87-99). Als Leitlinie für die Beschäftigung mit diesem Thema im Unterricht empfiehlt er einen strukturgeschichtlichen Ansatz und einen Vergleich zwischen antiker und moderner Demokratie auf verschiedenen Ebenen (94 / 95).
"Athen und Rom als Projektionsflächen republikanischer Geschichtserziehung in Frankreich" stellt Peter Geiss vor (100-116), allerdings ohne die Brücke zum Geschichtsunterricht in Deutschland zu schlagen, wofür sein interessanter Beitrag durchaus Anregungen liefern kann.
Für eine stärkere Einbeziehung geschlechtergeschichtlicher Ansätze bei der Behandlung antiker Themen im Unterricht plädiert Thomas Späth (117-136). Wie das allerdings - zumal im Anfangsunterricht - umgesetzt werden könnte, bliebe noch zu klären.
Andrea Kolpatzik lotet "Chancen und Grenzen der Alten Geschichte als Gegenstand kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts in der multiethnischen Gesellschaft" aus (137-154). Sie sieht dabei Sprachhandeln und (selbst-)kritische Identitätsreflexion als zentrale Dimensionen eines solchen Geschichtsunterrichts an, die beide entsprechendes prozedurales Wissen voraussetzen, dem demnach eine Schlüsselfunktion zukommt. Der Beitrag schließt mit der Vorstellung dreier problemorientiert angelegter exemplarischer Unterrichtssequenzen, bei denen für das Sach- und Sprachlernen Rüsens Disziplinäre Matrix einbezogen werden soll.
Als Auftakt zum dritten Teil ("Beispiele von Unterrichtskonzepten") beschäftigt sich Katja Brandenburger am Beispiel von drei Architekturmodellen (römische Basilica, römische Stadt und griechischer Tempel) mit den Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen den Fächern Kunst und Geschichte (156-168).
Ein ungewöhnliches Projekt, bei dem bayerische Schüler im Rahmen eines eineinhalb Jahre dauernden sogenannten P-Seminars in Kooperation mit mehreren Universitäten ein römisches Pfeilgeschütz nachgebaut haben, und die unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen, die die Schüler dabei erworben haben, stellt Marcus Altmann vor (169-185). Leider bieten die Lehrpläne der anderen Bundesländer wohl kaum die Möglichkeit, ein Projekt in ähnlicher Form umzusetzen.
Ein unterrichtspraktisches Beispiel, das den Konstruktcharakter von Geschichte auch schon für jüngere Schüler erfahrbar machen soll, ist das Thema von Carolin Hestler (186-196). Ausgangspunkt sind unterschiedliche Vorstellungen vom Erscheinungsbild des antiken Rom, die die Schüler entweder mitbringen oder die in der Einstiegsphase durch der Geschichtskultur entstammende Bilder (Rom im Asterix-Comic versus Rom im Jugendbuch) in deren Horizont gerückt werden. Die durch die so erzeugte kognitive Dissonanz aufgeworfenen Fragen werden dann mit Auszügen aus Juvenal und Strabon versucht zu beantworten.
Kevin Büttner stellt ein Unterrichtsmodul einer inklusiv gestalteten Exkursion zum Thema villa rustica vor, das in der Erstellung eines Reiseführers zu der besuchten villa durch die Schüler mündet (197-207).
Der letzte Beitrag von Sylvia Diebner hat den Versuch einer Kontextualisierung der Landkarten an der "Via dei Fori Imperiali" in Rom zum Thema und empfiehlt sie als Gegenstand für den Geschichtsunterricht (208-219). Diese unter Mussolini angebrachten und die damalige, faschistische Geschichtsdeutung widerspiegelnden fünf Karten stellen in vier Schritten das Wachstum des Imperium Romanum und auf der fünften Karte das "neue Imperium" des faschistischen Italien inklusive der Eroberungen in Afrika dar.
Der Band vereint sehr unterschiedliche Beiträge und liefert insgesamt viele Argumente und Anregungen für eine stärkere Berücksichtigung der griechisch-römischen Antike im Geschichtsunterricht. Es ist ihm zu wünschen, dass er Erfolg hat.
Tobias Arand / Konrad Vössing (Hgg.): Antike im Unterricht. Das integrative Potential der Alten Geschichte für das historische Lernen (= Forum Historisches Lernen), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2017, 224 S., 18 s/w-Abb., 4 Tabl., ISBN 978-3-7344-0588-4, EUR 23,90
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