sehepunkte 18 (2018), Nr. 12

Philipp Walter: Universität und Landtag (1500-1700)

Wer in der Frühen Neuzeit als Stand Zugang zu einem Landtag hatte, nahm an der politischen Partizipation teil. Nun war dieser Zugang keineswegs allein auf Adel, Prälaten, Ritterschaft oder Städte beschränkt, sondern wurde teilweise seit dem 15. Jahrhundert auf den Kreis der Universitäten erweitert. In welchen quantitativen und qualitativen Dimensionen diese Ausweitung vonstattenging, geht Philipp Walter in seiner Dissertation "Universität und Landtag (1500-1700). Akademische Landstandschaft im Spannungsfeld von reformatorischer Lehre, landesherrlicher Instrumentalisierung und ständischer Solidarität" nach.

Völlig zurecht konstatiert Walter, dass in der bisherigen Forschung universitäre Landstandschaft lediglich mit dem allgemeinen Hinweis der Fundierung pauschal begründet wird. Eine intensivere Beschäftigung dieser verfassungsgeschichtlichen Komponente hinsichtlich Ursachen, Gestalt, Auftreten, personeller Träger und politischer Partizipation blieb bisher jedoch ein Desiderat. Diese Lücke will der Autor mit seiner Schrift schließen. Ohne Zweifel kann dieses weite Forschungsvorhaben nur durch ein stringentes Vorgehen bewältigt werden, wie es Walter sehr eindrucksvoll in seinem monumentalen Werk (einschließlich Anhang umfasst es fast 1000 Seiten) gelingt. In zwei recht eigenständige Hauptteile gliedert er seine Arbeit, wobei er die bisherige Forschungsthese Ständeschaft durch Fundation überprüft und nach Kennzeichen einer Typologie universitärer Landstandschaft sucht. Im ersten Teil konzentriert er sich vergleichend auf die Landstandschaft der mitteldeutschen Universitäten in Leipzig, Wittenberg und Jena, da die Ständeherrschaft in diesen Territorien in der Frühen Neuzeit herausragend und weit bis ins 18. und 19. Jahrhundert politisch wirkmächtig war. Mit Blick auf die politisch-konfessionelle Entwicklung Kursachsens und der ernestinischen Lande stellt Walter die jeweilige Gründung, Fundierung und Universitätsökonomie ausführlich dar, wobei die aufgrund der beiden Jubiläen in Leipzig und Jena erschienenen Studien eine große Stütze sind.

Die eigentliche politische Partizipation auf den sächsischen und ernestinischen Landtagen nahm für die drei Hohen Schulen im 16. Jahrhundert ihren Ausgang. Konnten für die Leucorea erste Hinweise zu universitärer Ständeschaft bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts festgestellt werden, so kann der Beginn für Leipzig mit 1550 und für Jena mit 1567 sehr konkret benannt werden. Hier spielen die politischen Vorgänge während des sächsischen Kurwechsels eine ursächliche Rolle, wie Walter sehr deutlich aufzeigen kann.

Landständischer Präsenz der drei Universitäten nähert er sich in zweierlei Weise. Zum einen geht er auf die Landtagspraxis anhand dreier ausgewählter Landtage sowohl in Kursachsen (1592, 1635 und 1660/61) als auch in den ernestinischen Herzogtümern (1567, 1620 und 1643) ein. Mit seiner Mischung aus politischer, verfassungsrechtlicher und alltagsgeschichtlicher Methode zeichnet Walter ein ausdifferenziertes Bild des Universitätsstandes. Dass die übrigen Stände die Universitäten als Konkurrenz sahen, letztere sich zwar wie in Kursachsen auf die tradierten Prälatenrechte beriefen, diese jedoch nie in vollem Umfang erhielten, zeigt sehr deutlich, wie stark und ausdauernd innerhalb der landständischen Kurien um die Rolle der Universitäten gerungen wurde. Dieses politische Ringen, die Bedenken der übrigen Stände, vor allem der ersten Kurie, die politischen Einflussmöglichkeiten der universitären Deputierten sowie ihr strategisches Vorgehen erörtert Philipp Walter quellenbasiert und sehr eindrücklich.

Zugleich zeigt er deutlich die ambivalente Rolle der Universitäten im politischen Diskurs auf: einerseits wurden die Hohen Schulen vor allem seitens der Ritterschaft an ihrer Teilhabe auf den Landständen stark bedrängt, andererseits benötigten letztere die Universitäten als Ratgeber oder Gutachter in schwierigen Entscheidungssituationen. An diesem Punkt schließt der zweite Zugang Walters auf die Landtagspraxis an, der nicht nur für die universitätsgeschichtliche Forschung ein reicher Datenfundus ist. Ganz im Sinne des Zwahrschen Diktums von Figuren und Strukturen für die Historiographie befasst sich der Autor sowohl in einer erläuternden Statistik als auch in Biogrammen mit dem Personenkreis der universitären Deputierten zwischen 1550 und 1660, der 75 Personen umfasst. Es nimmt sich kein Wunder, dass Mitglieder der Juristenfakultät mit Abstand den höchsten Anteil an den Deputierten einnahmen - ein deutlicher Beleg für die Professionalisierung der universitären Landstandschaft. Darüber hinaus lassen sich anhand der Biogramme personelle Verflechtungen in landesherrliche oder kommunale Dienste konkretisieren, die den universitären Deputierten beispielsweise teils ganz konkrete Einblicke in die fürstliche Politik jenseits der Landtage gaben.

Wäre allein schon die ausführliche Darstellung der akademischen Landstände in Mitteldeutschland ein reiches, erkenntnisbringendes Unterfangen sowohl für die Universitätshistoriographie an sich als auch für die sächsische und thüringische Landesgeschichte sowie allgemein für die Verfassungsgeschichte, geht Philipp Walter in seiner Arbeit noch einen großen Schritt weiter. Um die Rolle der Fundierung für eine Landstandschaft sowie den Einfluss der konfessionellen Zugehörigkeit zu überprüfen, untersucht er reichsweit die 30 Universitäten nach ihrem Ständestatus. Dabei legt er seinen methodischen Zugang aus der Untersuchung der mitteldeutschen Hochschulen zugrunde: Universitätsgründung, landesherrliche und konfessionelle Entwicklung, Universitätsökonomie, Landständeentwicklung und die Rolle der entsprechenden Hohen Schule. Lediglich für acht Hohen Schulen konnten landständliche Rechte belegt werden (Leipzig, Wittenberg, Jena, Marburg, Ingolstadt, Gießen, Helmstedt und Kassel). Wohl erstaunt dieser breite, arbeitsintensive Vergleich schier an seinem Umfang, doch nur so kann Walter sehr deutlich die These der Fundierung als alleinige Begründung widerlegen. Der politische Wille des Landesherrn für eine akademische Landstandschaft war eine nicht unbedeutende Ursache. Des Weiteren war sie natürlich an die notwendigen ständischen Voraussetzungen gebunden. Zugleich belegt Walter, dass in der Regel in protestantischen Landesterritorien die Universität als Stand vertreten war.

Innovativ, modern und vielgestaltig untersucht Philipp Walter akademische Landstandschaft sowohl fokussiert auf die mitteldeutsche Bildungslandschaft als auch reichsweit und schließt hier eine wichtige Lücke in der deutschen Universitäts-, Konfessions- und Verfassungsgeschichte. Zugleich schärft er mit seiner Arbeit den Blick auf die vielgestaltige politische Rolle der Universitäten in den Territorien, ihre personelle Verflechtung in landesherrliche oder kommunale Dienste sowie beratende Funktionen für andere Stände, auf ihre Einflussmöglichkeiten, ihren Grad der Professionalisierung sowie auf die politischen Motive der verschiedenen Akteure wie Landesherren oder der übrigen Stände. Akademische Landstandschaft war immer auch ein Gradmesser für die Unabhängigkeit der Universitäten. Diese Arbeit ist daher richtungsweisend und inspirierend.

Rezension über:

Philipp Walter: Universität und Landtag (1500-1700). Akademische Landstandschaft im Spannungsfeld von reformatorischer Lehre, landesherrlicher Instrumentalisierung und ständischer Solidarität (= Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation; Bd. 8), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018, 1093 S., 10 Tbl., ISBN 978-3-412-50809-8, EUR 125,00

Rezension von:
Wenke Bönisch
Dresden
Empfohlene Zitierweise:
Wenke Bönisch: Rezension von: Philipp Walter: Universität und Landtag (1500-1700). Akademische Landstandschaft im Spannungsfeld von reformatorischer Lehre, landesherrlicher Instrumentalisierung und ständischer Solidarität, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 12 [15.12.2018], URL: https://www.sehepunkte.de/2018/12/31203.html


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