Das monumentale Werk ist die erweiterte Fassung der 2013 an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenommenen Habilitationsschrift des Verfassers. Anders als für eine geschichtswissenschaftliche Habilitationsschrift üblich, ist die Arbeit kaum aus archivalischen oder gedruckten Quellen geschöpft, sondern fast ausschließlich auf der Grundlage von Forschungsliteratur geschrieben. Denn vorgelegt wird nicht eine in die Tiefe gehende Detailstudie, sondern eine Überblicksdarstellung über die gesamte Reichskirche im Verlauf von zwei Jahrhunderten, intendiert ist nicht weniger als eine "Synthese zur Geschichte der geistlichen Fürstentümer" (23). Um einen solchen Überblick bei einigermaßen gleichmäßiger Berücksichtigung des gesamten Zeitraums und des gesamten Reichs aus archivalischen Quellen zu schreiben, würde ein Forscherleben nicht ausreichen - insofern lässt sich der Verzicht auf die Arbeit mit Archivalien gut begründen.
Angesichts der Dimension des Unternehmens ist es um so wichtiger, mit einem klar definierten Fokus an das Material heranzugehen. Dieser Fokus wird im Titel mit den drei Begriffen Dynastie, Region und Konfession benannt. Der Faktor Konfession gewinnt seine Bedeutung selbstverständlich erst ab dem dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, seine Einbeziehung bedarf dann aber keiner weiteren Begründung. Wichtig hervorzuheben ist freilich, in welcher Form Konfession in dem vorliegenden Werk eine Rolle spielt. Es geht durchweg um die politische Dimension von Konfession, also um Konfessionspolitik, um die staatliche Seite der Konfessionalisierung. Was der Autor unter (katholischer) Konfessionalisierung versteht bzw. welche Seiten dieses Prozesses er beleuchten will, begründet er eigenartigerweise erst in einer Fußnote auf Seite 923. Hier wird dezidiert mit einer etatistischen Engführung des Konfessionalisierungsbegriffs gearbeitet. Prozesse wie die Entwicklung spezifischer Konfessionskulturen und die Ausbildung konfessionell distinkter Frömmigkeitsformen werden bewusst ausgeblendet. Die Einführung der Kategorie "Region" geht davon aus, dass sich die Geschichte der einzelnen Hochstifte nur in ihren regionalen Bezügen verstehen lasse. Haag hebt seine Vorgehensweise dabei explizit von Eike Wolgasts "Hochstift und Reformation" ab [1], der die einzelnen Hochstifte quasi als Solitäre nebeneinandergestellt hatte. Stattdessen knüpft Haag an die Einteilung des Reichs in politische Landschaften und deren Charakterisierung als königsnah, -offen oder -fern durch Peter Moraw an und identifiziert davon ausgehend verschiedene Bistumslandschaften, wobei er die terminologische Frage "Region" oder "Landschaft" freilich nicht näher diskutiert. Diese Regionen wurden - so Haag - jeweils von einer Dynastie dominiert, womit die dritte forschungsleitende Kategorie ins Spiel kommt. Haag geht von der Prämisse aus, dass die Dynastien für die Hochstifte eine immer größere Rolle spielten, und zwar nicht erst seit der Reformation, sondern bereits im Spätmittelalter beginnend, und das unabhängig davon, ob die Hochstifte bei der alten Kirche verblieben oder zur Reformation übergingen. Denn - so die zentrale These der Arbeit - die Aktionsmöglichkeiten der Dynastien im System des Reichs hätten letztlich über die konfessionelle Zugehörigkeit der Hochstifte entschieden und darüber, in welchem Ausmaß sie in den allgegenwärtigen Dynastisierungsprozess einbezogen worden seien (7). Die Dynastien fungieren damit als die zentralen Akteure des Werks, wobei die Kaiser zwischen ihrer dynastischen und ihrer "reichisch-kaiserlichen" Rolle oszillieren.
Methodisch ist das Werk vor allem den Forschungen von Volker Press und Peter Moraw verpflichtet. Dies impliziert zum ersten den zeitlichen Rahmen der Arbeit, der bewusst die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit transzendiert und mit dem Basler Konzil als einer für die Geschichte reichskirchlicher Vorgänge gut zu begründenden Zäsur einsetzt, die es zudem ermöglicht, gerade die länger andauernden politischen Entwicklungen zu beleuchten, die sonst häufig durch die Reformation unangemessen "zerhackt" werden. Zum zweiten verfolgt Haag konsequent die von Moraw/Press postulierte Verbindung von Reichs- und Territorialgeschichte - ein Ansatz, der gerade der Geschichte der Reichskirche, die de facto meist als eine Geschichte der einzelnen Bistümer geschrieben wird, unbedingt zugutekommt. Drittens - und das ist etwas problematischer - folgt die Arbeit dem sozial- und verfassungsgeschichtlichen Ansatz von Moraw/Press, der in den 1980er-Jahren hoch innovativ war und dazu beigetragen hat, die politische und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs auf eine neue Grundlage zu stellen, der aber - jedenfalls in der Exklusivität, wie er hier betrieben wird - etwas aus der Zeit gefallen wirkt. Denn es erscheint doch fraglich, ob man Politik- und Verfassungsgeschichte heute noch schreiben kann, ohne z.B. die Arbeiten von Barbara Stollberg-Rilinger und der von ihr begründeten Richtung - und sei es kritisch - zu verarbeiten. Selbstverständlich kennt Haag diese Arbeiten, zitiert sie auch gelegentlich, aber er bezieht diese und andere neue Ansätze nicht wirklich in seine Analyse ein. Um es an einem konkreten Beispiel zu erläutern: Bei der ausführlichen Darstellung der Auseinandersetzungen im Stift Fulda unter Balthasar von Dernbach findet sich in einer Anmerkung der Hinweis auf "die faszinierende Studie von Gerrit Walther" (1437, FN 370) [2], die freilich in die Analyse in keiner Weise eingeht. Diese Probleme sind sicherlich der extrem langen Entstehungszeit des Werkes geschuldet, sie führen aber dazu, dass die Ausführungen zu den einzelnen Fallbeispielen nicht immer den neuesten Stand der Forschung spiegeln.
Angesichts des Umfangs des Werks kann es in einer Rezension nicht darum gehen, deren Einzelergebnisse auch nur ausschnittsweise zu rekapitulieren. Zu fragen ist stattdessen nach Konzeption und Perspektive des Werks und danach, ob es den Anspruch, "eine Synthese zur Geschichte der geistlichen Fürstentümer" zu bieten, unter den vorgestellten Prämissen einlöst. Ein Vorteil des gewählten Zugriffs über die Regionen ist zweifelsohne, dass wirklich flächendeckend das gesamte Reich in den Blick gerät. Es erfolgt also nicht von vornherein eine Konzentration auf die klassischen reichskirchlichen Regionen in Westfalen, an Rhein und Main sowie in Bayern, sondern es werden, jedenfalls für die vorreformatorische und die unmittelbar reformatorische Phase, alle Regionen systematisch nacheinander abgehandelt und so Vergleichsmöglichkeiten eröffnet, die normalerweise nicht präsent sind. Allerdings geht diese das gesamte Reich berücksichtigende Perspektive je länger desto mehr verloren und macht dann doch wieder der traditionellen Konzentration Platz. Das ließe sich für den Nordosten noch durch die Mediatisierung der Bistümer rechtfertigen, wonach diese eben keine geistlichen Fürstentümer im eigentlichen Sinne mehr waren, aber z.B. das (evangelische) Fürstbistum Lübeck bewahrte seine Reichsstandschaft bis zum Ende des Alten Reichs, auch Trient, Brixen, Chur oder Basel wären hier zu nennen. Nun ist deren Bedeutung selbstverständlich nicht im Entferntesten mit der der Erzbistümer oder auch Würzburgs oder Bambergs zu vergleichen, aber für die intendierte Synthese hätten auch diese randständigen Bistümer etwas mehr Beachtung verdient gehabt, und sei es, um ihre Besonderheiten näher zu bestimmen.
Damit soll nun keineswegs einer Ausweitung des ja ohnehin in seiner Fülle kaum zu bewältigenden Werks das Wort geredet werden - ganz im Gegenteil. Eine Synthese hätte gut auf zahlreiche Details verzichten können. Schon der Text erschlägt die Leser in seiner Ausführlichkeit - von dem überbordenden Anmerkungsapparat ganz zu schweigen. Ist es denn wirklich notwendig, die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens nochmals zu rekapitulieren oder die einzelnen Reichstage in ihren Verästelungen nachzuzeichnen? Und weshalb finden sich ausführliche Darstellungen der Entwicklungen in den weltlichen Fürstentümern, anstatt die dadurch präformierten Handlungsbedingungen für die dort regierenden Dynastien knapp und pointiert zusammenzufassen. So aber drohen die großen Zusammenhänge verloren zu gehen und damit auch der Überblick, wofür die ausgebreiteten Details stehen.
Insgesamt spielen die Hochstifte in der Arbeit eine erstaunlich geringe Rolle. Ausführlich thematisiert wird hingegen das konfessionspolitische Agieren der großen Dynastien, das dann eben auch Auswirkungen auf die Hochstifte in ihrem Einflussbereich hatte. Die Rezensentin hat das Werk deshalb weniger als eine Synthese der Geschichte der Hochstifte als vielmehr als eine Geschichte der Konfessionspolitik der großen Dynastien im Reich gelesen. Damit erklärt sich manche Schwerpunktsetzung, aber auch mancher blinde Fleck. Denn die Dynastisierung erfasste eben doch nicht alle Hochstifte gleichermaßen - so erscheint beispielsweise die Geschichte des Erzbistums Trier kaum in dieses Schema zu passen, auch für die fränkischen Bistümer wäre es wohl zu hinterfragen. Als eine Geschichte der Konfessionspolitik der großen Dynastien - und zwar nicht nur der katholischen, sondern auch der protestantischen - hat das Werk hingegen viel zu bieten. Allerdings macht es sein Aufbau angesichts der zahlreichen Vor- und Rückgriffe nicht immer leicht, bestimmte Sachverhalte zu finden, und das trotz des 16 Seiten umfassenden Inhaltsverzeichnisses. Hier leistet das sehr ausführliche Orts-, Personen- und Sachregister gute und in diesem Fall wirklich unverzichtbare Dienste.
Eine stärkere Fokussierung auf die Hochstifte bietet dann erst die (gut 40 Seiten umfassende) Zusammenfassung in 75 Thesen. Hier wird die intendierte Synthese wirklich greifbar, die - wollte man die Zusammenfassung nochmals zusammenfassen - wohl darauf hinausliefe, dass die beherrschenden Akteure in der Reichskirche je länger desto mehr die großen Dynastien waren. Das ist insofern bemerkenswert, als die geistlichen Staaten als Wahlstaaten lange Zeit explizit als Gegenmodell zur dynastisch-monarchischen Welt galten, ein Interpretament, auf das Haag erstaunlicherweise nicht eingeht. Dass die geistlichen Staaten keineswegs ein "dynastiefreier" Raum waren, ist Kennern der Reichskirche selbstverständlich seit langem klar. Hier aber wird der Zusammenhang von Reichskirche und Dynastie noch einmal auf eine andere Ebene gehoben. Dieser Zugang ruft geradezu dazu auf, die Bedeutung und die Ausformungen des dynastischen Elements für die geistlichen und weltlichen Fürstentümer im Reich vergleichend zu untersuchen. In diesem wie in vielen anderen Bereichen stellt das vorliegende Werk sicher alles andere als eine (auch nur vorläufig) abschließende Synthese dar. Wie Haag selbst mehrfach betont, ist die Forschungslage auf vielen Feldern recht unbefriedigend. Viele seiner Thesen können und sollten unbedingt durchaus als Anregung verstanden werden, die behaupteten Sachverhalte genauer zu erforschen.
Anmerkungen:
[1] Eike Wolgast: Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648, Stuttgart 1995.
[2] Gerrit Walther: Abt Balthasars Mission. Politische Mentalität, Gegenreformation und eine Adelsverschwörung im Hochstift Fulda, Göttingen 2002.
Norbert Haag: Dynastie, Region, Konfession. Die Hochstifte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zwischen Dynastisierung und Konfessionalisierung (1148-1648) (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 166), Münster: Aschendorff 2018, 3 Bde., LXV + 2240 S., ISBN 978-3-402-11595-4, EUR 239,00
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