Während es in katholischen Kolonien gang und gäbe war, Sklaven zum Katholizismus zu 'bekehren', wurde das Konvertieren von Sklaven zum Christentum in den protestantischen Kolonien in Nordamerika und der Karibik lange Zeit sehr viel skeptischer betrachtet und war in manchen Kontexten sogar höchst umstritten, wobei sich auch die verschiedenen protestantischen Gruppierungen hinsichtlich ihrer Haltung in dieser Frage z.T. deutlich voneinander unterschieden. Die Religionshistorikerin Katharine Gerbner, die an der University of Minnesota forscht und lehrt, hat eine ausgezeichnete Studie zu diesem Themenkomplex vorgelegt, in der sie sich schwerpunktmäßig mit der Missionierung von Sklaven in den protestantischen Kolonien in der Karibik im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigt und die verschiedenen Auffassungen von einer Vereinbarkeit von Christentum und Sklaverei sowie deren Auswirkungen in der Praxis sehr differenziert untersucht. Mit ihrem Buch liefert sie einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Sklavereiforschung, der nicht zuletzt durch die Detailkenntnisse der Verfasserin und die Fülle von Quellen, auf die sie sich stützt, zu überzeugen weiß.
Das von Gerbner herangezogene Quellenmaterial umfasst unterschiedliche Textsorten, zu denen neben Gesetzestexten u.a. Tagebücher, Briefe und Kirchenregister von Missionaren zählen, aber auch einige Briefe von versklavten und freien afro-karibischen Konvertiten (vgl. 6). Das bedeutet, sie hatte Zugang zu einem in der Sklavereiforschung äußerst seltenen Typus von Quellenmaterial, in dem die Stimmen der Abhängigen zumindest ansatzweise greifbar werden. Die von ihr untersuchten Texte liefern zahlreiche Informationen über das Alltagsleben und religiöse Praktiken, wie Gerbner betont: "Protestant missionaries and black Christians created an extensive, multilingual archive about slavery and Christianity in the Protestant American colonies. The Moravian sources, which are written primarily in German, Dutch, and Dutch Creole, are a particularly rich resource for understanding daily life in the Caribbean and North America." (6) Es ist unmöglich, im Folgenden alle Ergebnisse, die die Verfasserin auf der Grundlage ihrer Arbeit mit den Quellen erreicht, zu referieren. Zumindest sollen nachstehend aber inhaltliche Schwerpunkte der einzelnen Kapitel kurz vorgestellt werden.
In Kapitel 1 ("Christian Slaves in the Atlantic World", 13-30) liefert Gerbner zunächst einen konzisen, aber äußerst informativen historischen Überblick über das Verhältnis von Sklaverei und Christentum bis zum 17. Jahrhundert, wobei u.a. die unterschiedlichen Prinzipien in den katholischen und den protestantischen (d.h. vor allem britischen und niederländischen) Kolonien in ihren diachronen Veränderungen sehr prägnant erläutert werden. Ersichtlich wird aber auch, dass die Praxis der Sklavenhalter hinsichtlich ihres Umgangs mit Sklaven, die zum christlichen Glauben konvertieren wollten, durchaus erheblich von staatlichen und kirchlichen Vorgaben abweichen konnte. Letzteres gilt für die katholischen wie auch für die protestantischen Kolonien.
In Kapitel 2 ("Protestant Supremacy", 31-48) wendet sich die Autorin dann der Situation in Barbados zu. Den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bilden zwei Gesetze, die von der Assembly of Barbados im Jahr 1661 erlassen wurden: An Act for the better ordering and governing of Negroes und An Act for the good governing of Servants. Gerbner betont, dass die bisherige Forschung der Rolle der Kirche bei der Verbreitung dieser Gesetze nicht ausreichend Beachtung geschenkt habe (vgl. 31), obwohl diese schon aufgrund der Tatsache, dass die Gesetze vor oder nach dem Gottesdienst verlesen wurden, nicht unterschätzt werden sollte. Der Vergleich der beiden o.g. Gesetze zeigt, dass die Zugehörigkeit zum Christentum in dem untersuchten historischen Kontext als Differenzkriterium diente, das Sklaverei als extreme Form asymmetrischer Abhängigkeit legitimierte, wurde doch im Act for the better ordering and governing of Negroes 'Christ' systematisch als ethnische Kategorie in Opposition zu 'Negro' und 'Slave' verwendet (vgl. 45).
Kapitel 3 ("Quaker Slavery and Slave Rebellion", 49-73) beschäftigt sich mit einer protestantischen Gruppierung, die oft in erster Linie mit Initiativen zur Abschaffung der Sklaverei in Verbindung gebracht wird. Wenngleich sie sich im 17. Jahrhundert noch nicht für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten, vertraten die Quaker insofern eine ungewöhnliche Position im protestantischen kolonialen Diskurs über Sklaverei, als sie sich dafür aussprachen, Sklaven zum Christentum zu bekehren (vgl. 50), und vom Prinzip einer "spiritual equality" (53) zwischen Sklaven und deren Besitzern ausgingen. Nach einem gescheiterten Sklavenaufstand auf Barbados im Jahr 1675, so zeigt Gerbner auf, sah sich die Mehrheit der Sklavenhalter auf der Insel in der Ablehnung einer Christianisierung der Sklaven bestätigt. Dies führte u.a. zum Erlassen eines Gesetzes, das es den Quakern untersagte, Sklaven zu ihren Versammlungen mitzubringen (vgl. 66f.).
In Kapitel 4 ("From Christian to White", 74-90) setzt sich Gerbner mit den Auswirkungen auseinander, welche die Debatten über die Christianisierung von Sklaven für die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zunehmende Bedeutung der Kategorie 'Race' hatten. In dem Maße, in dem Sklaven und ehemalige Sklaven trotz der weit verbreiteten Skepsis gegenüber einer 'Bekehrung' den protestantisch-christlichen Glauben annahmen, gewann die Konstruktion von Rassenunterschieden als dominantes Differenzmerkmal an Bedeutung: "Over the course of the seventeenth century, the meaning of whiteness expanded to include a wide range of ethnic and political attributes that far exceeded its former meaning as a physical descriptor. By 1700, whiteness had replaced Christianity as the primary indicator of freedom and mastery." (74-75) Von Gerbner wird im Detail ein diachroner Prozess nachgezeichnet, der die Verflechtungen von Religion und Rassenideologie transparent macht. Die Zusammenhänge, die am konkreten Beispiel aufgezeigt werden, ließen sich aus kulturwissenschaftlicher Sicht in gewinnbringender Weise zu den Critical Whiteness Studies in Bezug setzen. [1]
Das fünfte Kapitel ("The Imperial Politics of Slave Conversion", 91-111) zeigt vor allem am Beispiel eines Sklavenhalters, Christopher Codrington, der seit 1699 Governor-General der Inseln unter dem Winde (engl.: Leeward Islands) war, die (kolonial-)politischen und moralischen Dimensionen der ideologischen Auseinandersetzung über die Christianisierung von Sklaven auf, und das sechste Kapitel ("The SPG and Slavery", 112-137) setzt sich mit den Aktivitäten und Positionen der 1701 gegründeten Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts auseinander.
Im Mittelpunkt des siebten Kapitels ("Inner Slavery and Spiritual Freedom", 138-163) stehen die Spannungen zwischen unterschiedlichen protestantischen Gruppierungen, die insbesondere durch das Aufkommen pietistischer Strömungen virulent wurden und die, so Gerbner, die afro-amerikanische Geschichte des Christentums maßgeblich geprägt haben. Besondere Aufmerksamkeit wird in diesem Kontext der Missionsarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine (engl.: Moravian Church) geschenkt, wobei deren Tätigkeit und Überzeugungen u.a. über Briefe und Tagebuchaufzeichnungen von Missionaren beleuchtet werden, aber auch durch einen Brief des ehemaligen Sklaven Anton Ulrich aus dem Jahr 1731. Im achten Kapitel ("Defining True Conversion", 164-188) steht erneut die Missionarstätigkeit der Herrnhuter Gemeine im Zentrum. Hier beschäftigt sich Gerbner mit Entwicklungen hinsichtlich der Vorstellungen von Christianisierung und davon, was dieser Prozess beinhaltet. So reagierten die Missionare etwa auf den Druck von Plantagenbesitzern und auf die als subversiv wahrgenommene Formulierung eigener Interpretationen der Bibel durch des Lesens kundige Sklaven mit einem Verzicht auf Alphabetisierung (vgl. 167), obwohl der Unterricht bei Sklaven sowie ehemaligen Sklaven große Resonanz gefunden hatte und die Befähigung zum eigenständigen Lesen der Bibel zunächst durchaus ein Ziel der Missionierung darstellte. Hier klingt jener Nexus von Bildung, Christianisierung und Emanzipation an, der in den nordamerikanischen autobiographischen Narrativen ehemaliger Sklaven aus dem 19. Jahrhundert, wie etwa in dem wohl bekanntesten Beispiel, Frederick Douglass' Narrative of the Life of Frederick Douglass, an American Slave aus dem Jahr 1845, ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. In der protestantischen Karibik des 17. und 18. Jahrhunderts steht Christianisierung jedoch keineswegs notwendig im Zeichen einer Emanzipation der Sklaven oder einer Abschaffung der Sklaverei. Vielmehr, so zeigt Gerbner in ihrer äußerst lesenswerten Studie an vielfältigen Beispielen auf, dominieren immer wieder die Versuche, Sklaverei in einem christlichen Kontext zu legitimieren.
Anmerkung:
[1] Vgl. zum Ansatz der Critical Whiteness Studies u.a. Richard Dyer: White, London / New York 1997 sowie die Beiträge in dem von Evangelia Kindinger und Mark Schmitt herausgegebenen Sammelband The Intersections of Whiteness, London / New York 2019.
Katharine Gerbner: Christian Slavery: Conversion and Race in the Protestant Atlantic World, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2018, 296 S., ISBN 978-0-8122-5001-5, USD 24,95
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