Bedingt durch ihre Lage an der Schnittstelle zwischen Wasser und Land bilden Hafenstädte eine besondere Form des Phänomens "Stadt". In seiner Habilitationsschrift beschäftigt sich Stefan Feuser mit dieser Sonderform der Stadt in der Antike. Dabei stellt er im Kern die Frage, "welche Bedeutung die Küste und das Meer für die Physiognomie einer Stadt hatten" (2). Die Meeresküste unterliege durch natürliche und anthropogene Einflüsse einem stetigen Wandel, auf den die Hafenstadt als ein auf Dauer angelegter Ort reagieren und mit ihren Bauten antworten müsse. Über diese rein städtebauliche Fragestellung hinaus möchte Feuser grundlegend auch die Funktion und die Wahrnehmung von antiken Hafenstädten im östlichen Mittelmeerraum untersuchen.
Damit stellt er sich einer Aufgabe, die in Form einer Monographie bislang nur von Karl Lehmann-Hartleben im Jahr 1923 bewältigt wurde, ein Werk, das trotz manch veralteter Detailinformationen zurecht bis heute als eines der Fundamente der Hafenliteratur angesehen wird. [1] Neue Methoden in der Unterwasserarchäologie sowie der Geophysik und Geoarchäologie haben vor allem seit Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Fülle von Untersuchungen und Veröffentlichungen zu antiken Hafenstädten geführt. Angesichts dessen ist ein umfassender Katalog, wie Lehmann-Hartleben ihn als grundlegenden Bestandteil seiner Arbeit anfügte, kaum zu realisieren. Feusers Herangehensweise ist daher eine andere: fünf Hafenstädte wurden als Fallbeispiele untersucht und auf der Basis dieser Ergebnisse, ergänzt um zahlreiche weitere dafür relevante Informationen aus anderen Hafenstädten, die eigentlichen Fragen seiner Arbeit, soweit anhand der Beleglage möglich, beantwortet.
In der Einleitung der Arbeit (1-21) definiert er Häfen als "permanent genutzte Orte des litoralen und maritimen Schiffsverkehrs" (1), die weder zwingend bauliche Einrichtungen noch Ansiedlungen einschließen müssten, es aber bei entsprechender Topographie taten. Hafenstädte wiederum sind durch ihre Lage am Übergang zwischen Land und größerem Gewässer Schnittstellen zwischen Land- und Schiffsverkehr und damit Orte eines teilweise weitreichenden Austauschs an Waren, Informationen aber auch negativen Einflüssen (15).
Wie der Titel der Arbeit schon aussagt, konzentriert sich der anschließende Fragenkatalog auf Städtebau, Funktion und Wahrnehmung von Hafenstädten. Kriterien für die Auswahl der Fallbeispiele Milet, Alexandria, Ephesos, Caesarea Maritima und Leptis Magna sowie für die im Titel genannte zeitliche und räumliche Eingrenzung der Studie und eine kurze Einordnung in die Forschungsgeschichte folgen, bevor Feuser im Vorfeld seiner Untersuchungen eine der Herausforderungen in der Arbeit mit antiken Hafenstädten thematisiert: die schwierige Frage der Kategorisierung von Hafenstädten löst er für seine Arbeit durch eine Einteilung nach der Größe des Hinterlandes in kontinental/halbkontinental, regional und lokal bedeutsame Zentralorte.
Bei den fünf Fallstudien (23-228) wird jeweils zunächst die litorale Topographie und ihre Entwicklung beschrieben, bevor in für die jeweilige Stadt sinnvollen Zeitabschnitten ein ausführlicher Überblick über die bauliche Entwicklung mit Bezug zum Hafen gegeben wird. Es folgt eine Untersuchung der Bedeutung von Hafen und Meer für die Stadt auf Basis der inschriftlichen Belege, eine Betrachtung der mit dem Meer verbundenen Riten und Prozessionen und eine kurze Zusammenfassung.
Unter der Überschrift "Städtebau" untersucht Feuser die speziell für Hafenstädte interessanten städtebaulichen Aspekte, wie hafenspezifische Bautypen (Molen, Wellenbrecher, Kaianlagen), die bauliche Gestaltung der Übergänge zwischen Meer und Hafenbecken, bzw. Hafenbecken und Stadtgebiet und die Beziehung der öffentlichen Bauten zum Meer (229-282). Er konstatiert einen Wandel bei der Integration des Hafens in den Stadtraum im Untersuchungszeitraum. Während der Hafen in der hellenistischen Zeit größtenteils sehr eng mit der Agora der Stadt verbunden gewesen sei, habe sich diese Verbindung in der Kaiserzeit zunehmend gelöst. Insbesondere mittels repräsentativer Torbauten und Prachtstraßen sei eine Art Scharnier zwischen den Häfen und den zentralen Plätzen der Stadt geschaffen worden, die neben aller Repräsentation auch ganz pragmatisch eine Steuerung der Verkehrs- und Warenflüsse ermöglicht habe. Der Hafen sei von einem zentralen Bestandteil der Stadt zu einem vom Zentrum abgetrennten Randbestandteil geworden.
Das vierte Kapitel, "Funktion. Die Hafenstadt als Lebensraum" (283-322), beschäftigt sich mit den epigraphischen Belegen für mit dem Seehandel verbundenen Handel, Handwerk und Gewerbe, wie auch mit dem häufig nur am Rand erwähnten Aspekt der Entsorgung von Abwasser und Müll in den Hafenbecken. Zudem beleuchtet dieser Abschnitt ausführlich die Funktion in der herrscherlichen, städtischen oder privaten Repräsentation, die einem Hafen zukommen konnte. Er habe als Standort für Tempel und Ehrenmonumente gedient, Möglichkeiten für Euergetismus geboten, mancherorts eine prachtvolle Perspektive auf die Stadt geboten und sei als Panorama für Paläste und Villen genutzt worden.
In dem fünften Kapitel, "Ästhetik und Wahrnehmung von Hafen und urbanem Litoral" (323-340), wird sowohl die Gestaltung und Integration des städtischen Küstenraumes als auch die Wahrnehmung des Hafens als Erinnerungsort, als Teil der städtischen Sakraltopographie und die Spiegelung dieser Wahrnehmung in bildlichen Darstellungen besprochen. Eine Zusammenfassung, ein umfangreiches Literaturverzeichnis, zahlreiche Pläne und Abbildungen sowie kurze Indices vervollständigen die Arbeit.
Mit seiner Habilitationsschrift legt Feuser eine breit gefächerte Grundlage vor, anhand derer man eigene Ergebnisse zu einzelnen Hafenstädten einordnen und positionieren kann. Auf dieser Basis findet man Vergleichsbeispiele und Gegenbeispiele, kann Gemeinsamkeiten und Unterschiede der teils sehr verschiedenen Hafenstädte herausarbeiten und Stellungnahmen diskutieren. Insgesamt bietet er eine dringend notwendige, aktuelle Ergänzung der Hafenliteratur, die die städtebaulichen und sozialen Aspekte von Hafenanlagen in ihrer Gesamtheit beleuchtet und durch den Überblick eine Einordnung in größere Phänomene ermöglicht. Eine Einbeziehung der Hafenstädte im westlichen Mittelmeerraum über Ostia/Portus hinaus bleibt allerdings weiterhin ein Desiderat.
Anmerkung:
[1] K. Lehmann-Hartleben: Die antiken Hafenanlagen des Mittelmeeres. Beiträge zur Geschichte des Städtebaus im Altertum, Leipzig 1923.
Stefan Feuser: Hafenstädte im östlichen Mittelmeerraum vom Hellenismus bis in die römische Kaiserzeit. Städtebau, Funktion und Wahrnehmung (= Urban Spaces; 8), Berlin: De Gruyter 2020, IX + 391 S., ISBN 978-3-11-058032-7, EUR 119,95
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