sehepunkte 21 (2021), Nr. 1

Nicola D'Elia: Giuseppe Bottai e la Germania nazista

Im Dezember 1941 notierte Joseph Goebbels in sein Tagebuch: "Bottai ist ein kluger Mann, aber im Grunde genommen ein Gegner des Nationalsozialismus. Er stänkert nach allen möglichen Richtungen hin." [1] Besagter Giuseppe Bottai (1895-1959) war Teilnehmer am 'Marsch auf Rom', Korporationsminister, Erziehungsminister, Gründer der Intellektuellen-Zeitschriften "Critica Fascista" (CF - 1923-1943) und "Primato" (1940-1943) aber auch einer der 'Verschwörer', die im Juli 1943 gegen Mussolini votierten. Bottai gehört zweifelsohne zu den ambivalentesten und in der Forschung umstrittensten Politikern der faschistischen Führungsriege. In den vergangenen Jahrzehnten war sein Denken und Handeln Gegenstand zahlreicher Studien. Dabei diskutierten vor allem Andrea Hoffend, Meir Michaelis, Alexander De Grand oder Giordano Bruno Guerri bereits die von Goebbels aufgeworfene Frage nach der Haltung Bottais gegenüber dem Nationalsozialismus; auch und vor allem im Hinblick auf die Bedeutung für seine strenge Umsetzung der Rassegesetze als Erziehungsminister [2].

Nicola D'Elia widmet seine Studie nun dieser überaus interessanten Persönlichkeit und fragt dezidiert nach der Position Bottais und der seiner intellektuellen Weggefährten wie Mario Da Silva, Ugo Spirito, Delio Cantimori und Giaime Pintor gegenüber der NSDAP und dem 'Dritten Reich' von der Gründung seiner "Critica fascista" über die Ausrufung der 'Achse' Rom - Berlin bis zum Untergang von Mussolinis Regime: Weshalb unterstützte der gemeinhin als NS-kritisch beschriebene Bottai die prodeutsche Wende Mussolinis im Rahmen der 'Achse' und weshalb setzte er die Rassegesetze mit solchem Eifer um? Spielte das Verhältnis Bottais zum nationalsozialistischen Achsenpartner dabei eine entscheidende Rolle? Und welche Ziele verfolgte Bottai tatsächlich mit seinen kulturpolitischen Initiativen wie etwa der Gründung des Istituto di Studi Humanitatis im Jahr 1942? Zielte er auf einen konfrontativen Romanità vs. Germanesimo-Kurs oder setzte er auf einen kulturellen Austausch?

D'Elia hat seine Arbeit chronologisch angelegt und in sieben Kapitel gegliedert. Er kann zeigen, dass das Interesse Bottais, oder genauer seiner Zeitschrift "Critica Fascista" an der NSDAP mit deren Wahlerfolgen zunahm und die Artikel zwischen der Hoffnung, die Ideen des Faschismus könnten sich verbreiten, und der Ungewissheit, in welche Richtung sich die NSDAP tatsächlich entwickeln würde, oszillierten. Mit der 'Machtergreifung' setzte in der CF eine regelmäßige Berichterstattung über die Entwicklungen in Deutschland ein. Von 1933 bis zu seiner Ausweisung aus Deutschland im Juni 1935 verfasste der Berlin-Korrespondent Mario Da Silva seinen "Lettera dalla Germania". Von besonderem Interesse sind diese Berichte in Zusammenführung mit der Korrespondenz zwischen Da Silva und Bottai, die D'Elia in der Fondazione Mondadori einsehen konnte. Diese macht deutlich, dass Bottai das Deutschlandbild seiner Zeitung maßgeblich mitprägte: Bottai schlug Da Silva häufig konkrete Themen und die Stoßrichtung vor. Im Oktober 1933 forderte er ihn etwa auf, sich mit der neuesten Publikation Oswald Spenglers zu beschäftigen und fügte hinzu: "Selbstverständlich Auseinandersetzung, um sie zu verreißen." (63)

Was hatte Bottai missfallen? Die Kritik Spenglers am Korporationismus, dem "dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus, den Bottai mit ganzem Eifer nicht nur in Italien, sondern auch im nationalsozialistischen Deutschland zu verbreiten suchte. Bereits 1933 reiste er zwei Mal nach Deutschland, um diese Idee durch Gespräche, Vorträge und Publikationen zu propagieren, kehrte jedoch teils desillusioniert zurück. Das Wirtschaftsmodell, die Außenpolitik, aber auch die Frage von Religion und Rassismus im 'Dritten Reich' waren weitere Themen, die die CF kritisch beäugten. Nach Konflikten über die Österreich-Frage kam es mit dem Krieg gegen Abessinien zu einer Wiederannäherung zwischen Deutschland und Italien, die sich auch in der Berichterstattung der CF niederschlug. Fortan betonte die CF mehr die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede, auch wenn im Tagebuch Bottais weiterhin starke Vorbehalte gegenüber dem Nationalsozialismus dominierten. D'Elia vertritt die These, Bottai habe zur Intensivierung der kulturellen Zusammenarbeit der beiden Länder und zur Stärkung der Achse Rom - Berlin beigetragen und sucht dies unter anderem durch die Zusammenarbeit mit Himmlers "Ahnenerbe" oder aber dem Abschluss des deutsch-italienischen Kulturabkommens 1938 zu belegen. Die problematischen Umstände der Unterzeichnung und die schwierige Umsetzung dieses Kulturabkommens nimmt er dabei jedoch nur bedingt in den Blick. Über die postulierte enge Kooperation zwischen Rust und Bottai hätte die Rezensentin gern mehr erfahren. Schließlich beklagte sich Bottai etwa noch im Mai 1939 in der deutschen Botschaft: "es sei doch etwas eigenartig, daß auf allen Gebieten zwischen Italien und Deutschland dauernd Besuche ausgetauscht würden, dieses aber auf dem Gebiete des Schulwesens, wie er sich ausdrückte, nicht möglich sein solle." [3] Auch wenn es ab 1940 zu Besuchsreisen von Rust und Bottai kam, auf die D'Elia verweist, stellt sich weiterhin die Frage, wie eng die Kooperation tatsächlich war. Hier bleibt für weitere Forschungen noch einiges zu tun.

Die Gründe für den entschiedenen Eifer, mit dem Bottai die antisemitische Politik umsetzte, sieht D'Elia weniger durch den deutschen Achsenpartner beeinflusst. Im Gegensatz etwa zu Meir Michaelis misst er dem in nationalsozialistischen Kreisen verbreiteten Gerücht, seine Mütter sei Jüdin, dem er damit begegnen wollte, weniger Gewicht bei, sondern betont vielmehr Bottais Einstellung als linker Faschist, der in Folge der antibürgerlichen Wende und dem vermeintlich bürgerlich-jüdischen Konnex die antisemitische Politik vorangetrieben habe. Mit Kriegseintritt forcierte Bottai die Frage der europäischen Nachkriegsordnung. D'Elia hebt in seiner Arbeit das nach wie vor ambivalente, oszillierende Verhalten Bottais gegenüber dem Nationalsozialismus hervor. Einerseits widersprach er deutschen Hegemoniebestrebungen und entwickelte eigene Neuordnungsideen, andererseits sah er die Zusammenarbeit mit dem 'Dritten Reich' aber als fundamental für eine zukünftige italienische Führungsposition an und suchte so nach Übereinstimmungen mit der deutschen Kultur. Bis zu seiner Absetzung im Februar 1943 zielte er auf die Verbreitung der italienischen Kultur in Deutschland, etwa durch die Gründung des Istituto di Studi Humanitatis. So unterstreicht D'Elia den Austauschgedanken Bottais und schließt seine Arbeit mit den Worten, Bottai habe Deutschland nie aufrichtig geliebt, aber konstant versucht, fruchtbare Beziehungen auf dem Gebiet der Kultur zu etablieren. Als Gegner des Nationalsozialismus kann Bottai also nicht gelten. Ein aufrichtiger Freund war er aber sicher auch nicht.

Insgesamt bietet die Studie eine ausgezeichnete Gesamtschau der verschiedenen Deutungen zu Bottais Haltung gegenüber Deutschland und wartet mit interessanten Quellen sowie neuen Interpretationsnuancen auf. Der Fokus des Autors liegt auf den kulturpolitischen Ideen Bottais, die einen guten Ausgangspunkt für eine weiterführende stärkere Betrachtung der praktischen Umsetzung von Bottais Kulturpolitik bieten.


Anmerkungen:

[1] Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II: Diktate, Bd. 2: Oktober bis Dezember 1941, bearb. von Elke Fröhlich, München u.a. 1996, 517 f: Eintrag vom 16.12.1941.

[2] Vgl. Giordano Bruno Guerri: Giuseppe Bottai, fascista, Mailand 1996; Andrea Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf. Die Beziehungen zwischen "Drittem Reich" und faschistischem Italien in den Bereichen Medien, Kunst, Wissenschaft und Rassenfragen, Frankfurt/M. u.a. 1998; Alexander De Grand: Bottai e la cultura fascista, Rom 1978; Meir Michaelis: Giuseppe Bottai, la pretesa totalitaria e la svolta razziale. Riflessioni sui diari di un gerarca fascista, in: Rivista storica italiana 113 (2001), 457-497. Oder auch zuletzt zum Verhältnis zu Bernhard Rust: Nils Fehlhaber: Netzwerke der "Achse Berlin-Rom". Die Zusammenarbeit faschistischer und nationalsozialistischer Führungseliten 1933-1943, Köln 2019, Kap. 1.3.1.

[3] PA AA, Botschaft Rom Quirinal, 697 B, Pfeiffer an von Mackensen, 11.5.1939.

Rezension über:

Nicola D'Elia: Giuseppe Bottai e la Germania nazista. I rapporti italo-tedeschi e la politica culturale fascista (= Biblioteca di testi e studi; 1259), Roma: Carocci editore 2019, 199 S., ISBN 978-88-430-9676-3, EUR 22,00

Rezension von:
Jana Wolf
Dresden
Empfohlene Zitierweise:
Jana Wolf: Rezension von: Nicola D'Elia: Giuseppe Bottai e la Germania nazista. I rapporti italo-tedeschi e la politica culturale fascista, Roma: Carocci editore 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 1 [15.01.2021], URL: https://www.sehepunkte.de/2021/01/35461.html


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