sehepunkte 21 (2021), Nr. 2

Forschungen zum Mamlukenreich (1250-1517) V

Einführung

Von Stephan Conermann / Anna Kollatz

Die erste Ausgabe der Islamischen Welten im Jahr 2021 ist einmal mehr der Mamlukenzeit gewidmet - denn auch nach über einem Jahrzehnt der Vernetzung in verschiedenen Forschergruppen und Projekten bleiben viele neue Wege in der Mamlukenforschung zu beschreiten. Dieses FORUM konzentriert sich auf drei solcher Themenbereiche, die nun mit jeweils einigen neuen Studien stärker in den Vordergrund treten: Gelebte Buchkultur ist in den letzten Jahren zu einem Schwerpunkt geworden, der das Interesse an Elitenkultur quasi nahtlos überleitet in eine neu gewichtete Beschäftigung mit der Stadt als Lebenswelt einer vielgestaltigen 'Mittelschicht'. Besonders froh sind wir darüber hinaus über die wachsende Anzahl von Publikationen, die sich mit dem ländlichen Leben der Mamlukenzeit befassen.

Auch in der Mamlukenforschung, wie in der Islamwissenschaft insgesamt, sahen und sehen wir uns weiterhin der Notwendigkeit gegenüber, philologische Grundlagenarbeit zu betreiben. Immer noch verbleibt ein Großteil relevanter Quellentexte in Manuskriptform und auch wesentliche Quellenbestände etwa in Form von Archivmaterial bedürfen weiterer Aufmerksamkeit. Bislang konzentrierte sich diese Grundlagenforschung, ebenso wie die darauf aufbauende Analyse, stark auf Textquellen, die dem städtischen, elitären - herrschaftsnahen Umfeld zuzurechnen sind. In den letzten Jahren hat sich dieses Bild etwas gewandelt. Neu hinzu tritt die Einbeziehung bisher weniger benutzter Quellengattungen, etwa von Urkundenmaterial, die eine neue Perspektive auf die Gesellschaft als Ganzes, aber auch auf die bisher im Vordergrund stehenden 'Schichten' der mamlukenzeitlichen Stadt erlauben und damit immer mehr zu der Erkenntnis leiten, dass wir es in dieser Zeit mit einer wesentlich fluideren und sozial mobileren Gesellschaft zu tun haben, als zuvor beobachtet. Insbesondere sind es allerdings materielle Quellen, seien es (doch wieder) Bücher, Architektur oder Kunst, und schließlich vor allem archäologische Ergebnisse, die nun zunehmend nicht nur Interesse für, sondern auch Einblicke in die mittleren und unteren Schichten dieser Gesellschaft, und den ruralen Bereich erlauben.

Auch urbane Geschichte verdient unter diesen neuen Gesichtspunkten eine Neubetrachtung. Drei der hier besprochenen Monographien und Sammelbände sind diesem Spektrum zuzurechnen. Miriam Kühns (von Nur Güneş besprochene) kunsthistorische Studie zu mamlukischen Predigtkanzeln verfolgt zum Beispiel auch Vernetzungen zwischen Stiftern und Künstlern. Der Band von Daisuke Igarashi und Takao Ito (besprochen von Stephan Conermann) ist gleichzeitig auch ein Ausweis für die vielfältige internationale Vernetzung, die die Familie der Mamlukenforscher:innen auszeichnet. Aufbauend auf einem von den Herausgebern organisierten Panel im Rahmen der 4. School of Mamluk Studies Conference haben Igarashi und Ito in einem Themenheft des Journal of the Society for Near Eastern Studies in Japan neun Beiträge zur Sozialgeschichte von Frauen und Familien zusammengestellt. Der Band spiegelt nicht nur die lebendige japanische Mamlukenforschung, sondern geht mit seinen Themenschwerpunkten zu Dokumenten und literarischen Quellen, sowie einem sozialgeschichtlichen Block zu Heiratsstrategien, ebenfalls den Weg der zunehmenden Diversifizierung von Quellen und Ansätzen. Schließlich ist mit Boaz Shoshans 2020 erschienener Monographie (ebenfalls von Stephan Conermann besprochen) eine Studie mit an Bord, die mit Ibn Ṭawqs tagebuchartigen Aufzeichnungen nicht nur ein faszinierendes Egodokument weiter beleuchtet, sondern dies zum Ausgangspunkt für eine wirtschafts- und sozialgeschichtliche Annäherung an städtische Mittelschichten in Syrien, insbesondere an Damaskus nimmt.

Neben der eingangs erwähnten philologisch-historischen Aufarbeitung von Quellentexten hat sich zudem bereits ein wahrnehmbares Interesse für die mit Textproduktion und -rezeption zusammenhängenden materiellen und sozialen Dimensionen etabliert. In diesen Bereich ordnen sich drei der in diesem FORUM besprochenen Arbeiten ein. So bietet Doris Behrens-Abouseif eine erste tour d'horizon zur Buchkultur im mamlukischen Ägypten - wobei hier weiter ein starker Fokus auf Kairo liegt. Elias Muhanna verbindet die Untersuchung von Buchkultur mit einer biographischen Studie zu einem der zentralen Quellentexte der Zeit, während Konrad Hirschlers Monographie Analyse und Edition eines raren Schatzes aus den Tiefen syrischer Buchkultur vereint: Hier reichen sich exemplarisch aufgearbeitete Sozialgeschichte, die Erschließung bisher unbekannter Quellen und ein stärkeres Interesse für die eben nicht-elitären Schichten der mamlukenzeitlichen Gesellschaft die Hand (alle drei genannten Studien werden von Anna Kollatz besprochen).

Zwei Besprechungen in diesem FORUM repräsentieren jeweils einen eigenen Themenblock: Bethany J. Walkers Rezension zu Yossef Rapoports Doppelpublikation steht in diesem Forum stellvertretend für das steigende Interesse an ruraler Geschichte in der Mamlukenzeit. Mit Rapoports Studie und der begleitenden, von ihm zusammen mit Ido Shahar herausgegebenen Edition und Übersetzung der Taʾrīkh al-Fayyūm wa-bilādihi von al-Nābulusī liegt uns nicht nur erstmals eine mikrohistorische Studie zum ländlichen Wirtschafts- und Steuersystem in einem der wichtigsten Zentren landwirtschaftlicher Produktion der Mamlukenzeit vor. Zusätzlich bietet die philologische Grundlagenarbeit in Edition und Übersetzung eine hervorragende Grundlage für weitere Forschung in dieser Richtung - und auch für die Verknüpfung von archäologischer und textwissenschaftlicher Annäherung an die Mamlukenzeit. Insofern dürfen wir wohlgemut davon ausgehen, dass die Forschung in diesem faszinierenden Feld uns auch in Zukunft mit spannenden Ergebnissen versorgen wird.

Ob bislang weniger präsente thematische Zuspitzungen, die Neuentdeckung und -bewertung von Quellenmaterial, oder die sich immer stärker abzeichnende Hinwendung zu nicht-elitären urbanen und ruralen Schichten: Auch im Jahr 2021 ist die Mamlukenforschung ein äußerst lebendiges Feld. Davon legen zahlreiche internationale Formate des Austauschs Zeugnis ab: Wir wollen hoffen, dass die siebte School of Mamluk Studies Conference, die wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben wurde, nun im Juli wie geplant stattfinden kann. [1] Seit dem Sommer 2020 führt das Annemarie Schimmel Kolleg die ehemals in Bonn beheimatete Vortragsreihe der Ulrich Haarmann Memorial Lectures nun online weiter [2], was gerade in Zeiten der Kontaktreduzierung die internationale Community aufs Neue zusammengeschweißt und um einige neue Stimmen vergrößert hat. Schließlich sind wir mit der online-Konferenz "In search for a hidden group: Where are the awlād al-nās?" [3], die im Dezember 2020 im Rahmen des Annemarie Schimmel Kollegs stattfand, ebenfalls einen weiteren Schritt in Richtung eines besseren Verständnis der mamlukenzeitlichen Sozialgeschichte gegangen: Die von Stephan Conermann und Anna Kollatz organisierte Konferenz, aus der ein Sammelband hervorgehen wird, befasste sich erstmals überhaupt im internationalen Austausch mit der Gruppe der Mamluken-Nachfahren, deren Rolle in der ägyptischen und syrischen Gesellschaft bislang kaum erforscht ist. Es bleibt also viel zu tun in der Mamlukenforschung, und wir können uns in den kommenden Jahren sicher auf weitere spannende Aktivitäten auf diesem Gebiet freuen.

Anmerkungen:
[1] Für weitere Informationen siehe die Konferenz-Website: https://mamluk.uchicago.edu/sms-conference.html
[2] Die UHML online findet im zweimonatigen Rhythmus donnerstags von 16.00 - 17.00 Uhr online statt. Der nächste Termin ist der 11. März 2021. Kontakt: anna.kollatz@uni-bonn.de
[3] Das Konferenzprogramm ist abrufbar unter https://www.menalib.de/news/community/konferenz/video-konferenz-untersucht-die-awlad-al-nas/


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