sehepunkte 21 (2021), Nr. 5

Andreas Bihrer / Miriam Czock / Uta Kleine (Hgg.): Der Wert des Heiligen

Der vorliegende Sammelband ist aus der vom "Arbeitskreis für hagiographische Fragen" im April 2018 in Weingarten organisierten Tagung, unter identischem Titel wie die Veröffentlichung, entstanden.

In der Einführung betont Miriam Czock, die kurz vor Erscheinen der Veröffentlichung verstarb, weshalb ihr der Band postum gewidmet ist, dass sich die wissenschaftliche Forschung der Konzeption von Sakralität im Mittelalter in den letzten Jahren auf vielen Ebenen zugewandt hat. Heiligkeit bildet eine Kategorie, die eine eindimensionale Definition nicht zulässt. Rudolf Otto und Mircea Eliade gelten als Vertreter des etablierten Heiligkeitsverständnisses, welches nicht an innerweltliche Kategorien gebunden, sondern nur emotional erfahrbar ist, und dabei 'heilig' von 'profan' unterscheidet. Aber nicht nur Heiligkeit ist hochkomplex. Auch deren Wert ist semantisch weit gespannt, wie bereits das Grimmsche Wörterbuch betonte. Über den Begriff 'Wert' und dessen Sinnhorizont ergeben sich Bezüge zum Heiligen, sowie zum Preis, womit die eindeutig ökonomische Dimension ins Spiel kommt. Die Ambivalenz, die dem Wertbegriff zu Grunde liegt, kann als inhärentes Merkmal von Heiligkeit verstanden werden. Anders als Otto, für den Heiligkeit als unermesslich gilt, definiert Czock für den vorliegenden Band das Sacrum als transzendentale, immanente, spirituelle und materielle Kategorie. Wie der 'Wert' ist sie ein Abstraktum, das sich gleichwohl nur materiell bzw. konkret fassen lässt.

Sehr anschaulich zeigt sie die gedanklichen Zusammenhänge am Beispiel mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Schenkungen für das Seelenheil auf, die als Fallbeispiel näher untersucht werden. Die neuere Forschung wendet sich gegen die Auffassung der frühmittelalterlichen Hinwendung zur Materialität als einem eher formalen religiösen Ausdruck, bei dem die Zählbarkeit von Frömmigkeit in den Mittelpunkt gestellt wurde. Vielmehr betont man aktuell, dass der Blick zur materiellen Welt nicht auf rein äußerem Formalismus beruht, sondern in ein theologisches Symbol- und Denksystem von spirituellen Zuständen, transzendenter Wirklichkeit sowie heilsgeschichtlichen Vorstellungen eingebettet wird. Schenkungen wurden als Almosen, damit als gutes Werk, das zur Erlösung beiträgt, verstanden. Folgerichtig wurde die Trennung zwischen materiellem und spirituellem Wert nicht gezogen. Interessanterweise hat Karl der Große 789 in der 'Admonitio generalis' die grundlegenden Verfügungen christlicher Lebensführung, die Sündenvergebung mit dem Geben von Almosen verknüpft. Hrabanus Maurus verweist auf verschiedene Arten der Heilsökonomie, in dem er Heil und Gnade in das Wechselspiel von Spiritualität, Materialität und konkretem Handel spannt. Daraus ergibt sich letztendlich die Wertbestimmung des Heiligen. Der Blick auf die aktuelle Literatur zeigt jedoch, dass das Verhältnis von materiellen und spirituellen Aspekten bei der materiellen Inwertsetzung des als immateriell geltenden Heiligen relativ wenig Beachtung gefunden hat. Genau diese Forschungslücke sollten die der Veröffentlichung vorangegangene Tagung und die vorliegende Druckfassung beleuchten und mit verschiedenen Ansätzen dem Spannungsverhältnis von Heiligkeit und Wert nachspüren.

Jede der vier Sektionen des Buches wird durch einen Kurzessay eingeleitet, der im Buch als impulshafte 'Anmoderation' verstanden wird. Die erste Sektion verschreibt sich den Prozessen und Diskursen der 'Valuierung' (sic!). Claudia Alraum nimmt das 'Maß der Heiligkeit' im Essay auf, Uta Kleine erforscht die Facetten des vormodernen Wirtschaftsdiskurses, und Philip Zimmermann setzt sich mit dem Heiligkeitsideal der Armut im Werk des Venantius Fortunatus (ca. 540-600) auseinander.

Der zweite Abschnitt geht Handlungen (Kaufen, Verkaufen, Verhandeln, Ansammeln und Verschenken) nach, womit der materielle Wert eines als heilig erachteten Objekts und dessen spiritueller Überschuss bemessen wurde. Felicitas Schmieder führt in die Thematik ein, Stefan Esders zeichnet einerseits die Entstehungsgeschichte des Patronats seit der Spätantike und umschreibt andererseits grundherrliche Abhängigkeitsverhältnisse sowie die Säkularisierung des Kloster- bzw. Heiligenbesitzes. Franziska Quaas wendet sich der Betrachtung merkantiler Semantiken von Spätantike bis ins Mittelalter mit der engen Verbindung von ökonomischer und religiöser Sphäre zu. Dabei stellt sie Zusammenhänge her zwischen sacrum und commercium, zwischen Theologie und Ökonomie, als keinesfalls getrennte Felder, sondern über den Marktbegriff miteinander in Verbindung stehend. Den Facetten des Marktes ordnet sie unterschiedliche Vorstellungen des 'Tausches' zu.

Um Sinngebung, Wandel und Kritik an zeit- und milieuspezifischen Wertzuschreibungen dreht sich der dritte Buchabschnitt, von Klaus Herbers eingeleitet. Cordelia Hess fragt nach dem 'Erfolg' von Heiligenkulturen am Beispiel verschiedener Heiliger des skandinavischen Raums. Die spätmittelalterliche Ablasskritik, die nicht erst mit der Reformation begann, stellt Volker Leppin in seinem Beitrag vor. Er zeigt, dass die Kritik an der gesteigerten Form von Buß- und Ablasspraxis sich nicht nur gegen materielle Aspekte des Ablasshandels als Instrument der Bereicherung der Kirche richtete. Vielmehr ging es in erster Linie um theologische Fragen, die bei gesteigerter Frömmigkeit und Wirksamkeit um eigene Werke im Heilsprozess kreisten.

Den Formen der Hantierung konkreter Repräsentationsobjekte, dem Herstellen, Sammeln, Ver- und Enthüllen und Schenken widmet sich der vierte Buchteil. Andreas Bihrer befasst sich mit den 'Schätzen des Heils'. Gia Toussaint richtet den Blick auf Bücher, die aus dem Besitz von Heiligen stammten, deren Wert durch Erzählungen in Viten und Legenden sowie der liturgischen Memoria begründet und gesteigert wurden. Stefan Laube lenkt das Interesse zuvorderst auf die Wertigkeit der Heiligkeit durch Akkumulation in Heiltumssammlungen. Im Laufe der Zeit wandelten sich diese zu Kunst- und Wunderkammern (Beispiele: Wettiner Kurfürst Friedrich III., Kardinal Albrecht aus dem Haus Hohenzollern). Die Reliquien wurden in kostbare Gefäße gefasst, die einen materiellen, damit monetären Wert besaßen. Infolge des spirituellen Wertes erhöhten sie den politischen Einfluss der Besitzer. Wenn es gelang, die Sammlung in einem Wallfahrtsort zu etablieren, wandelte sich der spirituelle zum ökonomischen Wert.

In der Schlussbetrachtung des sehr lesens- und empfehlenswerten, zugleich anregenden Tagungsbandes, nennt Ludolf Kuchenbuch als 'Nachhaltgedanken', nicht als 'Zusammenfassung', weiterführende begriffliche und methodische Perspektiven. Damit begegnet er der Hoffnung und dem Wunsch Miriam Czocks, dass das Buch Diskussionen um die Wertbezüge des Sacrum im Spannungsfeld von Spiritualität, Materialität und Ökonomie anstoßen möge. Der Rezensent stimmt diesem Anliegen ausdrücklich zu und verbindet damit die Hoffnung, dass die klein gewordene Zahl der Lehrstühle für Wirtschaftsgeschichte sich diesem Forschungsfeld ebenfalls öffnen möge. Im Buchanhang finden sich 15, zumeist farbige Abbildungen.

Finanziell gefördert wurden Konferenz und Druckfassung von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, dem Lehrstuhl Geschichte und Gegenwart Alteuropas der FernUniversität in Hagen sowie der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Rezension über:

Andreas Bihrer / Miriam Czock / Uta Kleine (Hgg.): Der Wert des Heiligen. Spirituelle, materielle und ökonomische Verflechtungen (= Beiträge zur Hagiographie; Bd. 23), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 234 S., 15 Farbabb., ISBN 978-3-515-12680-9, EUR 46,00

Rezension von:
Klaus Wollenberg
Hochschule München
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Wollenberg: Rezension von: Andreas Bihrer / Miriam Czock / Uta Kleine (Hgg.): Der Wert des Heiligen. Spirituelle, materielle und ökonomische Verflechtungen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 5 [15.05.2021], URL: https://www.sehepunkte.de/2021/05/35142.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.