Die Jahrzehnte um 1100 gelten in der Geschichte des römisch-deutschen Reiches dies- und jenseits der Alpen als einschneidende Wendezeit, in der sich während der Verwerfungen des sogenannten Investiturstreits das politische System grundlegend änderte. Dies gilt auch für das Regnum Italiae. Während jedoch die Entstehung der Kommunen als der zukunftsweisenden Organisationsform von Herrschaft gut erforscht ist, befasst sich Alessio Fiore im hier zu besprechenden Werk, das eine leicht bearbeitete englische Übersetzung einer italienischen Version von 2017 ist, mit den ländlichen Räumen. Im Ergebnis diagnostiziert er eine radikale Wende zu einer neuen Herrschaftsform - der ländlichen Seigneurie. Zentral dafür seien - als Auslöser bzw. als Katalysator - das Versagen und der Zerfall der im Kern noch karolingischen Herrschaftsordnung während der langjährigen Kriege ab 1080. Mit dieser These reiht sich Fiore inhaltlich in die Debatten zur "mutation de l'an mil" bzw. der "feudal revolution" ein und überträgt diese hauptsächlich in der Forschung zu Frankreich entwickelte Vorstellung auf Italien.
Die Studie gliedert sich in zwei Teile. Im ersten beschreibt Fiore den Wandel der lokalen und regionalen Herrschaftsstrukturen und insbesondere die Entstehung der neuen ländlichen Herrschaften. Im zweiten Teile charakterisiert er diese neue Herrschaftsform aus der Perspektive verschiedener "political languages", dazu gehören die königliche Legitimation, Treue, Verträge und Gewalt.
Der erste Teil setzt mit einer Analyse des Bürgerkriegs, der 1080 begann und bis mindestens 1111 andauerte, und seiner Folgen ein. Fiore betont hier einerseits die ungewöhnliche Härte der Auseinandersetzungen, andererseits weist er darauf hin, dass die wirtschaftliche Erholung relativ rasch verlief. Dabei werden die Entwicklungen in den Regionen Italiens und insbesondere die Folgen für die politische Ordnung sehr differenziert betrachtet. Zusammenfassend stellt Fiore fest, dass auf eine Phase der Fragmentierung in den 1080er und 1090er Jahren eine dynamische Zeit der Neuordnung folgte. Das zweite Kapitel widmet sich der Bedeutung der salischen Kaiser seit Heinrich III. für die regionalen und lokalen Herrschaftsordnungen, die der Autor als Gradmesser für die Transformationsprozesse in Italien sieht. Dabei stellt er fest, dass die Kaiser nicht einfach versuchten, ältere Bestandteile der politischen Ordnung (wie Grafschaften, Markgrafschaften und Fiskalgüter) zu bewahren oder sie wiederherzustellen, sondern dass sie - insbesondere Heinrich V. - selbst aktiv an den Neuordnungsprozessen beteiligt waren und von ihnen zu profitieren versuchten.
In den Folgekapiteln wendet sich Fiore dann den lokalen und regionalen Verhältnissen zu und fragt zunächst danach, inwiefern sich um 1100 tatsächlich ein Bruch in der Herrschaftsausübung vor Ort erkennen lässt. Tatsächlichen seien verschiedene neue Formen ländlicher Herrschaft entstanden - territoriale Herrschaften sowie Herrschaften der ebenfalls neuen städtischen Kommunen, die ihren Zugriff auf das Umland ausbauten. Zudem existierten weiterhin einige autonome ländliche Gemeinschaften. Am ausführlichsten geht er dabei auf die neuen seigneurialen Herrschaften ein, deren Entstehung er in Kapitel drei thematisiert. Dabei kamen verschiedene Tendenzen zusammen, unter anderem eine Konzentration des zuvor verstreuten Landbesitzes, eine Verschmelzung privater und öffentlicher Funktionen und Abgaben und damit einhergehend eine Steigerung der von den Herrschaftsträgern geforderten Abgaben und Dienste. Zudem entstanden seigneuriale Zentren, Burgen und Städte, wobei Fiore darauf hinweist, dass dieser Vorgang vom "Incastellamento" des 10. und frühen 11. Jahrhunderts zu trennen ist, denn tatsächlich nahm die Zahl der dokumentierten Burgen um 1100 ab. Das vierte Kapitel thematisiert dann den Einfluss, den die Entstehung der neuen territorialen Herrschaften auf die Gesellschaft der beherrschten Räume hatte. Hier zeigt sich, dass es zu einer internen Reorganisation kam, die neue Spaltungen hervorbrachte - die vormaligen dörflichen Eliten setzten sich von der bäuerlichen Bevölkerung ab und nahmen eine ritterliche Lebensweise an, während servi und freie Leihenehmer zu einem Bauernstand verschmolzen. In den letzten beiden Kapiteln des ersten Teils befasst sich Fiore mit den anderen Formen ländlicher Herrschaft, den von den Städten dominierten Räumen und den autonomen ländlichen Gemeinschaften.
Der zweite Teil des Buchs wendet sich dann den "political languages" der neuen seigneurialen Herrschaftsform zu. Damit bezeichnet Fiore spezifische Bündel von Diskursen und Praktiken, die mit den ländlichen Herrschaften verbunden sind. Er beginnt mit einem kurzen Kapitel zur (schwindenden) Rolle der königlichen Legitimation lokaler Machtpositionen im 11. Jahrhundert. Als Bestandteil dieses konkreten "Sprachbündels" wertet Fiore vor allem Königsurkunden und mit ihnen verbundene Praktiken wie die Ausstellung solcher Urkunden und ihre rituelle Vorführung im Konfliktfall (ostensio cartae). Das folgende Kapitel befasst sich mit der fidelitas, die im Gegensatz zur Legitimation durch den König als Argumentationsfigur an Bedeutung gewann und zunehmend in (lehns-)rechtliche Formen gegossen wurde. Da die Bindungskraft der Treueverhältnisse in den fluiden neuen Herrschaften nicht ausreichte, wurden Verpflichtungen auch vertraglich geregelt, wie das nächste Kapitel zu Pakten zeigt. Dabei finden sowohl Verträge zwischen Herren und den Einwohnern ihrer Herrschaften als auch zwischen Adligen Berücksichtigung. Die zum Teil in diesen Verträgen festgeschriebenen consuetudines bzw. der bonus usus sind das Thema des Folgekapitels, das sich insbesondere auf die Bedeutung der Rituale zur Festlegung örtlicher Gebräuche, Weistümer also fokussiert. Im letzten Kapitel kommt Fiore dann zu dem Element, dass er implizit für den entscheidenden Baustein der ländlichen Herrschaften hält: Gewalt. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Herren exzessive Gewalt als Mittel nutzten, um ihre Herrschaft durchzusetzen, zu festigen und die Hierarchie zwischen ihnen und der Bevölkerung zu demonstrieren. Das Buch schließt mit einer knappen Zusammenfassung und einer Einordnung der Befunde in die europäischen Zusammenhänge.
Alessio Fiore ist ein wichtiger und origineller Beitrag zu der an seit langem andauernden Forschungsdebatte um eine (vermeintliche) Feudalisierung gelungen, der ihr neue Impulse bringt sowie sie erweitert. Bei aller Differenzierung, mit der Fiore seine Befunde präsentiert, so stellt er doch einen krassen und abrupten Bruch in der politischen Ordnung des Regnum Italiae nach 1080 fest. Damit setzt er sich von der aktuellen Forschung zu Frankreich ab, die den Wandel inzwischen zumeist als einen langsamen Vorgang versteht. Er tut dies allerdings mit guten Argumenten, denn das Ausmaß der Bürgerkriege ist - anders als die vermeintliche Krise des Millenniums in Frankreich - gut dokumentiert.
Deutlich zeigt Fiores Arbeit aber auch, wie fremd sich die Forschungstraditionen Deutschlands und Italiens bis heute geblieben sind. Insbesondere gilt dies für die Rolle der Kirchenreformen, die in der deutschen Forschung zum Zeitalter des Investiturstreits stets zentral sind und die inzwischen auch in der französischen Feudalisierungsforschung immer mehr Berücksichtigung finden (vor allem bei Florian Mazel). Für Fiore spielen sie nur insofern eine Rolle, als sie den Auslöser und Hintergrund des Bürgerkriegs zwischen den Anhängern und Gegnern Heinrichs IV. bildeten. Dagegen zeigt Fiore ein großes Bewusstsein für soziale Dynamiken und auch wirtschaftliche Prozesse, das in der deutschen Forschung zu dieser Zeit selten ist und berücksichtigt Akteure aller sozialen Niveaus von den Unfreien bis hin zu Kaiser und Papst. Nicht nur deshalb reicht die Bedeutung dieses Buchs über die Forschung zu Italien hinaus.
Alessio Fiore: The Seigneurial Transformation. Power Structures and Political Communication in the Countryside of Central and Northern Italy, 1080-1130. Translated by Sergio Knipe (= Oxford Studies in Medieval European History), Oxford: Oxford University Press 2020, XXIII + 293 S., ISBN 978-0-19-882574-6, GBP 65,00
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