"Die Welt ist eine Bühne, jeder spielt seine Rolle und bekommt, was er verdient" [1] ist ein bekanntes Zitat des niederländischen Dichters und Dramatikers Joost van den Vondel (1587-1679). Die Metapher der Bühne und des Theaters ist in der Geschichtsschreibung keine Seltenheit, wenn es darum geht, das ferne Land der Vergangenheit wahrzunehmen: Historische Figuren und Körper werden als Schauspieler, Epochen als Schauplätze, Orte als Bühnen dargestellt, um eine vielschichtige und zusammenhängende und daher komplexe historische Entwicklung zu veranschaulichen. Dieser Ansatz wird auch in diesem neuen Buch über die Jahre 610-630 der Herrschaft des spätrömischen Kaisers Herakleios (610-641) angewendet. Der Zeitraum 610-630 wird von Theresia Raum als eine Periode der Transformation des römischen Kaisertums betrachtet, insbesondere im Verhältnis zwischen dem Kaiser und der Stadt Konstantinopel. Mit ihrem Augenmerk auf die verschiedenen Gruppen und Personen, mit denen sich der Kaiser auseinandersetzen musste und von denen er abhängig war, sowie auf seinen Handlungsspielraum verfolgt Raum einen anderen Ansatz als das Standardwerk über Herakleios von Walter Kaegi. [2] Während Kaegi in seiner biographischen Studie den Kaiser selbst in den Mittelpunkt stellt und seine Misserfolge und Erfolge als persönliche Leistungen präsentiert, konzentriert sich Raum auf die Akteure im Umfeld von Herakleios und die Ereignisse, mit denen er konfrontiert wurde und die für seine Herrschaft wesentlich waren. Der Schwerpunkt dieser Studie liegt daher auf den verschiedenen Akteuren und nicht auf Herakleios selbst.
Nach einer Einleitung, in der Raum die verschiedenen Quellen, den Forschungsstand und die wissenschaftlichen Perspektiven auf die Herrschaft des Herakleios sowie ihre eigene Herangehensweise an das Thema erörtert, öffnet sich der Vorhang für den ersten Akt bzw. das erste Kapitel. Dieses Kapitel kann besser als Vorspiel bezeichnet werden, da es den Aufstand Herakleios des Älteren, des Exarchen von Karthago und Vaters des späteren Kaisers, gegen den Kaiser Phokas in den Jahren vor 610 beschreibt. Die Situation von Phokas verschlechterte sich, und in verschiedenen Teilen des Reiches kam es zu Unruhen, die teilweise durch die eindringenden Perser verursacht wurden. Phokas verlor die Unterstützung des Senats in Konstantinopel, und auch die Zirkusfraktion der Grünen wandte sich gegen ihn. In diesen Wirren gelang es Herakleios, über dessen Leben vor seiner Erhebung zum Kaiser so gut wie nichts bekannt ist, im Jahr 610 die kaiserliche Macht zu erlangen.
Macht zu erlangen ist eine Sache, sie zu behalten dagegen eine andere. Ein römischer Kaiser regierte nicht allein; seine Beziehungen zum Heer, zu den militärischen und zivilen Eliten, zu den Hofbeamten, zum Senat, zur Stadtbevölkerung und zur Kirche waren für seine Stellung als Herrscher und seinen politischen Handlungsspielraum unerlässlich. Darüber hinaus war seine Machtfülle von den militärischen Ereignissen und wirtschaftliche Bedingungen abhängig. Der nächste Akt beschreibt die Jahre 610-622. Nach einem historischen Überblick über diese Jahre geht Raum detailliert auf die verschiedenen Personen und Gruppen ein, von denen er abhängig war. An erster Stelle steht der Patriarch Sergios, der Herakleios gekrönt hatte und am Hof und in der Bevölkerung der Stadt über großes Ansehen und Einfluss verfügte. Zudem war die wirtschaftliche Stärke der Kirche wichtig für den Fortbestand der Herrschaft des Herakleios. Weitere Personen, die untersucht werden, sind die Generale Komentiolos und Priskos sowie Niketas, General und Cousin des Herakleios. Auch der Senat und die Stadtbevölkerung finden besondere Beachtung, ebenso wie die Frauen des Kaiserhauses. Die Jahre 610-622 waren eher von Passivität geprägt, was die Aktionen und Bewegungen von Herakleios betrifft. Militärische Rückschläge gegen die Perser und die Awaren, die schlechte wirtschaftliche Lage (Inflation, Bevölkerungsrückgang), die problematische Lebensmittelversorgung Konstantinopels sowie den zunehmenden Präsenz des Patriarchen von Konstantinopel und der Kirche im Allgemeinen im politischen und öffentlichen Leben schränkten Herakleios in seinen politischen und militärischen Handlungsmöglichkeiten deutlich ein.
Der nächste Akt betrifft die Jahre 622-628, in denen wir erhebliche Veränderungen und einen aktiveren Herakleios als in den vorangegangenen zwölf Jahren erleben. Auch hier bietet Raum zunächst einen kurzen historischen Überblick über die Ereignisse in diesen sechs Jahren, bevor sie sich auf die Akteure konzentriert. Herakleios ist hier nun eindeutig der Hauptakteur mit wesentlich mehr Handlungsspielraum als zuvor. Sein Hauptanliegen ist es, eine Offensive gegen die Perser unter eigenem Kommando zu starten. Im Jahr 624 verlässt er Konstantinopel, um seinen Feldzug gegen den Sassanidenkönig Chosroes II. zu beginnen, dessen Position zu diesem Zeitpunkt bereits geschwächt war. Diese militärische Kampagne des Heraklios stellt einen bedeutenden Bruch mit der Tradition dar. Seit Theodosius I. (379-395) hatten die Kaiser Konstantinopel nicht mehr verlassen und die Feldzüge ihren Generälen anvertraut. Der Kaiser wurde nun wieder zum Soldaten. Die Abwesenheit von Herakleios in Konstantinopel veränderte auch das Verhältnis zwischen Kaiser und Stadt, da es keine direkte und persönliche Interaktion zwischen dem Kaiser und den verschiedenen treibenden Kräften in Konstantinopel mehr gab. Es gab nur noch eine indirekte Verbindung über seinen jungen Sohn und Repräsentanten Herakleios Konstantinos in Form von Briefen und Gesandtschaften. Die Abwesenheit von Herakleios in der Hauptstadt bot daher der senatorischen Elite und dem Patriarchen die Möglichkeit, ihren Einfluss auszubauen. Indem er sich selbst an die Spitze des Heeres stellte und selbst auf Feldzug ging, stärkte er jedoch seine Machtbasis im Heer.
Der letzte Akt des Buches betrifft die Jahre 628-630, deren Höhepunkt die Rückkehr der Kreuzreliquie (restitutio crucis) nach Jerusalem im Jahr 630 war. Im Jahr 628 hatte Herakleios mit Kavad Siroe, dem Nachfolger von Chosroes, einen Friedensvertrag geschlossen, der eine Rückkehr zu den territorialen Verhältnissen von 591 beinhaltete. Nach dem Tod von Kavad unterstützte Herakleios den persischen General Shahrbaraz, und es ist gut möglich, dass dieser die Kreuzesreliquie als Teil des mit Herakleios geschlossenen Abkommens zurückgab. Die Rückkehr des Kreuzes nach Jerusalem war eindeutig der Höhepunkt der Herrschaft des Herakleios und hatte eine große symbolische Bedeutung. Sie verband ihn mit der Herrschaft Konstantins, dessen Mutter angeblich das Kreuz gefunden hatte, erinnerte aber auch an die Herrschaft König Davids. Der Einzug des Herakleios in Jerusalem war zudem eine Parallele zum Einzug Christi am Palmsonntag. Der Einzug des Herakleios in Jerusalem sollte damit zum Neubeginn seiner Herrschaft und der Beginn eines neuen Zeitalters in der römischen Geschichte werden.
Mit dem Höhepunkt von Herakleios Herrschaft schließt Raum ihre Studie ab. Der tatsächliche Verlauf der letzten elf Jahre seiner Regentschaft sorgte allerdings dafür, dass die Erwartungen einer neuen Ära aus dem Jahr 630 nicht erfüllt wurden. Die Invasionen der islamischen Araber bedeuteten das Ende des Sassanidenreiches und führten zu erheblichen Gebietsverlusten für das römische Reich. Im Jahr 638 eroberten die Araber Jerusalem, das in weiterer Folge für viele Jahrhunderte für das Christentum verloren blieb.
Raum hat mit diesem Buch eine anregende Studie vorgelegt, in der sie sich nicht so sehr auf Herakleios selbst konzentriert, sondern auf entscheidende Akteure in seinem Umfeld und Ereignisse, die sein Kaisertum prägten. Diese Perspektive bietet hilfreiche Einblicke insbesondere in das Verhältnis zwischen den Eliten und Entwicklungen in Konstantinopel und dem Kaiser. Bedauerlicherweise geht Raum nicht auf die Jahre 630-641 ein, die den Niedergang der Herrschaft des Herakleios und des römischen Territorialeinflusses markierten. Für diese Jahre, aber auch für eine genauere Betrachtung der Herrschaft des Herakleios insgesamt, bleiben Kaegis Monographie und andere Studien unverzichtbar.
In der Geschichte des spätrömischen Reiches ist die Regierungszeit des Herakleios ein wichtiger Abschnitt. Herakleios kann als der letzte römische Kaiser angesehen werden. Große Teile seines Reiches wurden in den 630er Jahren von den islamischen Arabern erobert. Dies bedeutete das Ende der Macht des kaiserlichen Roms, wie es mehr als sechs Jahrhunderte zuvor von Augustus gegründet worden war.
Anmerkungen:
[1] "De weereld is een speel toneel. Elck speelt zyn rol en kryght zyn deel."
[2] Walter E. Kaegi: Heraclius. Emperor of Byzantium, Cambridge 2003.
Theresia Raum: Szenen eines Überlebenskampfes. Akteure und Handlungsspielräume im Imperium Romanum 610-630 (= Roma Aeterna; Bd. 9), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, 254 S., ISBN 978-3-515-12905-3, EUR 54,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.