Dies ist eine Festgabe der besonderen Art. Mit Pierre Briant wird nicht nur ein ausgewiesener Experte des achaimenidischen Irans geehrt, sondern ein Pionier, den man mit Fug und Recht als "one of the greatest and most influencial scholars of our era" (95) bezeichnen mag. Briant, der sein Studium 1960 in Poitiers begann und seit 1999 den Lehrstuhl für 'Histoire et civilisation du monde achéménide et de l'empire d'Alexandre' am Collège de France zu Paris innehatte, erkannte als einer der Ersten, dass die Geschichte und Kultur des Achaimenidenreiches allein auf breiter Quellenbasis und durch interdisziplinäre Forschung erschlossen werden kann. Und als einer der Ersten nahm er zudem das forschungsrelevante Potenzial wahr, das einem heute allgegenwärtigen Medium innewohnt: dem Internet. Bereits im Jahr 2000 wurde auf seine Initiative hin die Website 'achemenet.com' ins Leben gerufen, und zwar mit dem erklärten Ziel, das Quellenkorpus und das kulturelle Erbe des Achaimenidenreiches allgemein zugänglich zu machen. Mit 'achemenet.com' schuf Briant - gleichsam als einen "digital antiquity"-Vertreter (XVI) der ersten Stunde - eine gemeinsame, frei zugängliche Plattform, die heute täglich 10.000 neue Besucher aus 40 unterschiedlichen Ländern verzeichnet (V). Diese Zahlen dokumentieren eindrücklich den immensen Erfolg des 'Programme Achemenet', zu dem neben der Internetseite die Zeitschrift ARTA (Achaemenid Research on Texts and Archaeology) und die Reihe 'Collection Persika' zählen.
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens von 'achement.com' widmen Kollegen und langjährige Freunde Briants dem Jubiliar ein "volume de mélanges" (V). Alle 27 Artikel, darunter neun französische, 15 englische, zwei deutsche und ein italienischer Beitrag, berühren - den Forschungsschwerpunkten Briants gemäß - die achaimenidische Zeit oder die makedonische Eroberung durch Alexander III. Davon abgesehen haben die Herausgeber keine thematischen Vorgaben gemacht (VI). Die Reihenfolge der Beiträge, die jeweils ein eigenes Literaturverzeichnis enthalten, erfolgt daher alphabetisch nach den Nachnamen der Verfasser. Der Band schließt mit einem in antike Personennamen, Toponyme und Quellen gegliederten Index. Die Festgabe soll einerseits der von Briant stets eingeforderten Interdisziplinarität und fächerübergreifenden Methodik Rechnung tragen; zugleich wird, so der Anspruch, geographisch der achaimenidische 'orbis' vom Indus über Zentralasien bis zum ersten Nilkaterakt abgedeckt (VI).
Der Band wird beiden Anforderungen gerecht. Das Vorwort der Herausgeber (V-VIII) und die sich anschließende Würdigung Pierre Briants von Matthew W. Stolper (IX-XV) akzentuieren unter anderem das Bestreben des Jubiliars, das Achaimenidenreich in ein größeres vorderorientalisches Kontinuum, eine 'longue durée', einzuordnen - "between the Neo-Assyrian and Neo-Babylonian Empires from which it borrowed much and the Seleucid Empire to which it transmitted much." (XIV) Die spätere Forschungsentwicklung hat Briant Recht gegeben. Neben der prägenden Rolle Assyriens und Babyloniens rückte dabei in den letzten Dezennien zunehmend die eminente Rolle Elams für die Konstituierung des frühen Perserreiches in den Fokus. [1] Entsprechend werten drei Beiträge (Henkelman / Stolper; Potts / Henkeman; Garrison) spezifische Befunde des Persepolis Fortification Archive aus. So setzt sich Mark B. Garrison (143-168) mit einem speziellen Typ von Siegelabdrücken auseinander, deren Ikonographie sich sowohl von assyrischen als auch von elamischen Traditionen inspiriert zeigt. PFUTS 150 stellt ein erhellendes Beispiel für die Wiederverwendung ("re-fashioning", 162) überkommener, von Garrison als "heirloom seals" (143; 144) bezeichneter Siegel dar. Motivisch weist das zwei Musikanten abbildende Siegel, das Garrison ins siebte Jahrhundert v. Chr. datiert, frappante Parallelen zur sogenannten 'Gartenszene' im Nordpalast Assubanipals zu Ninive auf, lässt sich jedoch auch mit der visuellen Kunst Elams, zumal den Felsreliefs von Kūl-e Farah, in Verbindung bringen. Hier zeigt sich einmal mehr, inwieweit gerade auch Kleinfunde unser Verständnis über die vielfältigen assyrisch-elamisch-persischen Akkulturationsprozesse in der Anfangshase der persischen Reichsbildung zu erweitern und zu vertiefen vermögen.
Darüber hinaus umfasst der Band ein weites Spektrum an Themen: Archäologische und linguistische Befunde sowie chronologische Fragen werden ebenso behandelt wie Bestattungsriten, Aspekte der Politik und Verwaltung, des Militärs, der Architektur, Kunst und Ornamentik sowie der Wissenschaftsgeschichte. Nicht zuletzt tragen mehrere Beiträge der Konnektivität weit auseinanderliegender Territorien und der von Briant immer wieder eingeforderten Zusammenschau unterschiedlicher (regionaler) Quellengattungen Rechnung (XIII-XIV).
Erfreulicherweise werden auch periphere Regionen, deren Integration ins Achaimenidenreich zum Teil nach wie vor Fragen aufwirft, untersucht. So geht Omar Coloru (65-72) der Frage nach, wie lange die achaimenidische Kontrolle über das Swat-Tal im Nord-Westen Pakistans und über die Indusgebiete andauerte. Die Region um Barikot scheint sich, nach dem archäologischen Befund zu urteilen, im Zuge der makedonischen Invasion Alexanders von der persischen Provinz Gandāra losgesagt und damit einem Desintegrationsprozess in den östlichen Satrapien Vorschub geleistet zu haben. Florian Knauß und Matthias Gütte (217-235) befassen sich mit jüngeren Ausgrabungen im Kaukasus und verzeichnen vor Ort eine "auffallende Konzentration" (220) achaimenidischer Bauplastik, die auf ein "besonders hohes Maß an Achaimenidisierung" (233) schließen lasse. Der Beitrag von Pierfrancesco Callieri (53-63) widmet sich den achaimenidischen Aktivitäten im Persischen Golf. Entgegen der in der Forschung häufig artikulierten Zurückhaltung hinsichtlich der achaimenidischen Dominanz über die gesamte Golfregion argumentiert der Autor zugunsten einer festen, in archäologischen und schriftlichen Quellen greifbaren Integration Bahrains und Nord-Ost-Arabiens ins Perserreich.
Spätestens seit der bahnbrechenden Publikation von Edward Said [2] ist auch der 'Orientalismus' der griechischen Quellen wiederholt problematisiert worden. [3] Entsprechend untersucht Dominique Lenfant (247-256) griechische Vorstellungen vom 'persischen Harem'. Während außer Frage steht, dass der negativ konnotierte Begriff zur Umschreibung polygamer Verhältnisse am Achaimenidenhof unangemessen ist, macht Lenfant darauf aufmerksam, dass sich in den antiken Zeugnissen kein vergleichbarer, exklusiv auf das Perserreich anwendbarer Begriff findet. Vielmehr hätten ältere und rezentere Übersetzungen die griechischen Quellen ihrerseits aus einer 'orientalisierenden' Perspektive heraus gelesen und "une idée fausse des conceptions greques" (252) vermittelt. Damit berührt Lenfant einen weiteren Forschungsschwerpunkt Briants, der frühzeitig vorherrschende Paradigmata wie die 'persische Dekadenz' infrage gestellt hatte. [4]
Die thematische Breite der Festgabe erschließt sich infolge der alphabetischen Anordnung der Beiträge zwar nicht unmittelbar; gleichwohl wird der Band den vielfältigen Forschungsinteressen Pierre Briants in jeder Hinsicht gerecht. Insbesondere die regionale und thematische Diversität der Quellen trägt dem Lebenswerk des Jubiliars Rechnung - und würdigt mithin auch die Plattform, die einen derart weitreichenden Forschungsdiskurs mit ermöglicht hat: die im Jahr 2000 von Pierre Briant ins Leben gerufene Website 'achemenet.com.'
Anmerkungen:
[1] J. Álvarez-Mon / M. B. Garrison (eds.): Elam and Persia, Winona Lake 2011; P. Briant: La perse avant l'empire: un état de la question, in: Iranica Antiqua (1984) 19, 71-118; P. Briant / W. Henkelman / M. Stolper (éds.): L'archive des Fortifications de Persépolis. État des questions et perspectives de recherches. Actes du colloque organisé au Collège de France par la «Chaire d'histoire et civilisation du monde achéménide et de l'empire d'Alexandre» et le "Réseau international d'études et de recherches achéménides" (GDR 2538 CNRS), 3-4 novembre 2006 (Persika; 12), Paris 2008; W. Henkelman: The Other Gods Who Are. Studies in Elamite-Iranian Acculturation Based on the Persepolis Fortification Texts (Achaemenid History; XIV), Leiden 2008; D. T. Potts: Cyrus the Great and the Kingdom of Anshan, in: Birth of the Persian Empire, ed. by V. Curtis / S. Stewart, London 2005, 7-28; R. Rollinger: Zur Lokalisation von Parsu(m)a(š) in der Fārs und zu einigen Fragen der frühen persischen Geschichte, in: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie (1999) 89, 115-139; F. Vallat: Nouvelle analyse des inscriptions néo-élamites, in: Collectanea Orientalia: Histoire, arts de l'espace et industrie de la terre. Études offertes en hommage à A. Spycket, éd. p. H. Gasche / B. Hrouda, Neuchâtel / Paris 1996, 385-395.
[2] E. Said: Orientalism, London 1978.
[3] E. Hall: Inventing the Barbarian. Greek Selfdefenition through Tragedy (Oxford Classical Monographs), Oxford 1989; D. Lenfant: La décadence du Grand Rois et les ambitions de Cyrus le Le Jeune: aux source perses s'un mythe oriental? Revue des Etudes Greques 87 (2001), 407-438; L. Llewellyn-Jones: Eunuchs and the Royal Harem in Achaemenid Persia (559-331 BC), in: Eunuchs in Antiquity and Beyond, ed. by S. Tougher, Swansea / London 2002, 19-49. H. Sancisi-Weerdenburg: Decadence in the empire or decadence in the sources? From source to synthesis: Ctesias, in: Sources, structures and synthesis. Proceedings of the Groningen 1983 Achaemenid History Workshop (Achaemenid History; I). ed. by H. Sancisi-Weerdenburg, Leiden 1987, 33-45.
[4] P. Briant: Histoire et Idéologie. Les Grecs et la décadence perse, in: Mélanges Pierre Lévêque 2: Anthropologie et société (Centre de Recherches d'Histoire Ancienne; Volume 82), éd. p. M. Mactoux / E. Geny, Paris 1989, 33-47; P. Briant: History and Ideology. The Greeks and Persian decadence, in: Greeks and Barbarians, ed. by T. Harrison, Edingburgh 2002, 193-210.
Damian Agut-Labordère / Rémy Boucharlat / Francis Joannès et al. (éds.): Achemenet. Vingt ans après. Études offertes à Pierre Briant à l'occasion des vingt ans du Programme Achemenet (= Collection Persika; 21), Leuven: Peeters 2021, XVII + 470 S., zahlr. Abb., ISBN 978-90-429-4510-4, EUR 87,00
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