sehepunkte 22 (2022), Nr. 3

Hannah Marcus: Forbidden Knowledge

"Forbidden Knowledge" reiht sich in den größeren Kontext jener Kontrolle ein, mit der die Römische Kirche auf die Zirkulation wissenschaftlichen Wissens im 16. und 17. Jahrhundert Einfluss zu nehmen suchte. Mehrere Historiker, unter ihnen Adriano Prosperi, Carlo Ginzburg, Gigliola Fragnito, Paul Grendler und Marco Cavarzere erforschten die Art und Weise, wie die Römische Inquisition und die Kongregation für den Index verbotener Bücher der Ausbreitung protestantischer Texte entgegenwirkte. Während sich diese Studien jedoch auf den Gesichtspunkt der in heterodoxe Netzwerke integrierten Leserschaft konzentrieren, verlagert Hannah Marcus die Aufmerksamkeit auf die katholischen Leser. Insbesondere wird erforscht, wie katholische Ärzte jenen von der Römischen Kirche auferlegten Einschränkungen begegneten, mit denen die Verbreitung medizinischer Bücher unterbunden werden sollte. Diese Untersuchung beruht auf einer großen Bandbreite verschiedenster Quellen: Zum einen Unterlagen des Archivs der Kongregation für die Glaubenslehre im Vatikan, zum anderen im 16. Jahrhundert veröffentlichte Bücher und Briefwechsel zwischen Medizinern, die in italienischen Bibliotheken sowie in den Vereinigten Staaten aufbewahrt werden.

Neben der Einführung, welche die wichtigsten im Buch bearbeiteten Themen vorwegnimmt, umfasst der Band sieben Kapitel und ein Nachwort. Das erste Kapitel hebt hervor, dass sich die italienischen Ärzte dem ersten römischen Index verbotener Bücher hartnäckig widersetzten. 1559 unter Papst Paul III. herausgegeben, verbannte dieser Index nicht nur Werke jener protestantischen Reformatoren, die nicht mit der römischen Glaubenslehre konform gingen, sondern auch Bücher von einflussreichen nordeuropäischen Ärzten und Botanikern, die einer protestantische Konfession anhingen, wie zum Beispiel Leonhart Fuchs, Otto Brunfels, Janus Cornarius und Crato von Craftheim. Um weiterhin Zugang zu diesen verbotenen Texten zu erhalten, die sich für ihre professionelle Erziehung als unentbehrlich erwiesen, griffen die italienischen Ärzte auf ihre Netzwerke innerhalb der europäischen Respublica litterarum zurück. Darüber hinaus ersuchten sie die katholischen Behörden, Freistellungen von den Verboten zu erwirken.

Im Hinblick auf diese Anliegen entwickelte die Kirche die Expurgationsmethode. Darunter verstand sie eine Vorgehensweise, um die im Index aufgezählten naturwissenschaftlichen Bücher zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck wurden jene Buchpassagen, in denen entweder protestantische Autoren erwähnt wurden oder die Römische Kirche lächerlich gemacht wurde, eliminiert. Nach der "Bereinigung" durften die Bücher der katholischen Gemeinde wieder zur Verfügung stehen. 1596 beauftragte die Indexkongregation ein Komitee mit der Expurgation der medizinischen Bücher. Diese Kommission bestand aus Geistlichen und Ärzten. Die zuletzt genannten wurden unter den berühmtesten Professoren der Universität Padua ausgewählt. Indem die Kirche Ärzte als Zensoren einsetzte, erkannte sie stillschweigend an, dass, unabhängig von der kirchlichen auch eine Laienkompetenz existierte. Die Ärzte verfügten nämlich über theoretische und praktische Erkenntnisse, die der körperlichen Heilung dienten. Die Errichtung dieses Komitees enthüllt zudem, dass, während die katholische Kirche einerseits auf die Beseitigung gewisser Bücher (mittels Bücherzensuren sowie durch Bücherverbrennungen am Scheiterhaufen) eingeschworen war, zugleich die Diskussion über wissenschaftliches Wissen entfachte. Allerdings hatten die Ärzte der paduanischen Kommission eine rebellische Einstellung gegenüber dem von ihnen zu erfüllenden Auftrag (Kap. 2).

Im Gegenteil dazu arbeiteten einige Ärzte mit der Indexkongregation zusammen. So etwa Girolamo Rossi aus Ravenna (1539-1607), der Expurgationen für medizinische Bücher vorschlug und seine medizinischen Fähigkeiten zur Unterstützung des durch den gegenreformatorischen Katholizismus geförderten Programms zur Wissensreformation nutzte (Kap. 3). Die von Rossi vorgenommenen und im Index Expurgatorius (1607) verzeichneten Expurgationen werden im vierten Kapitel diskutiert.

Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts durften Ärzte hunderte verbannte Bücher lesen. Die Ansuchen der Ärzte um Leseerlaubnis basierten auf dem Konzept des Nutzens des medizinischen Wissens. Dieses wissenschaftliche Kapital kam sowohl ihrer beruflichen Fortbildung als auch der Gesundheit der ganzen christlichen Gesellschaft zugute. In diesem Zusammenhang betont Marcus, dass der Begriff der Nützlichkeit in Verbindung mit wissenschaftlichen Wissen nicht auf die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts beschränkt war, sondern schon lange vor den empirischen Theorien Francis Bacons (1561-1626) verwendet wurde (Kap. 5).

Das sechste Kapitel beleuchtet die Methoden, die angewandt wurden, um gedruckte Bücher zu expurgieren: Textabschnitte wurden mit einem Schreibrohr durchgestrichen, Wörter mir einem Messer abgekratzt, Seiten geschnitten, Papierstücke wurden auf zweifelhafte Textpassagen geklebt oder mit Tinte abgedeckt. Die Leser wurden bewilligt, die Bücher auch selbständig zu expurgieren. Die Vielfalt der dazu benutzten Techniken deutet darauf hin, dass die Bücher sowohl von den katholischen Autoritäten als auch den Lesern als Gegenstände angesehen wurden, die verfälscht werden durften. Daraus lässt sich schließen, dass die Grenze zwischen "Buchvernichtung" und jenem von "Buchbewahrung" fließend war.

Die expurgierten Bücher hielten Einzug in drei große italienische Bibliotheken: die Biblioteca Ambrosiana in Mailand, die Biblioteca Marciana in Venedig und die Biblioteca Apostolica Vaticana. Einerseits mussten sich diese Einrichtungen an die in Italien bestehenden kulturellen Zensurregeln anpassen. Andererseits strebten sie an, das Konzept der bibliotheca universalis zu verwirklichen. Daher bemühten sie sich, Bücher von protestantischen Physici in ihre Bestände aufzunehmen. Dieses Ziel spiegelt das Interesse an der Sammlung von enzyklopädischem Wissen während der Spätrenaissance wider (Kap. 7).

Im Nachwort wird das Konzept des Nutzens des wissenschaftlichen Wissens in Zeiten von Zensur weiter vertieft und als Ergebnis der Aushandlung zwischen geistlichen Behörden und gelehrten Ärzten verstanden werden. Die Römische Kirche kam den beruflichen Notwendigkeiten der Ärzte entgegen und erkannte deren Fähigkeiten als eigenständige und von den geistlichen Kompetenzen getrennt an. Aus dieser Perspektive sollte auch die Überzeugungen Galileo Galileis interpretiert werden, wonach das durch eine empirische Methode erworbene Wissen über Natur die Auslegung der Heiligen Schriften beeinflusse.

Die von Marcus durchgeführte Analyse ist reich an kritischen Ansätzen. Indem sie erforscht, wie die Römische Kirche das medizinische Wissen ohne Rücksicht auf den Index interpretierte, beweist sie, dass das Verbotssystem letztendlich seine eigenen Verbote relativierte. Außerdem zeichnet Marcus die Wechselbeziehungen zwischen Ärzten einerseits und der katholischen Macht andererseits nach und zeigt so, wie Ärzte ihre intellektuellen und beruflichen Ansprüche geltend machten. Angesichts der vorliegenden Literatur erweisen sich das Kapitel über die Expurgationstechniken wie auch jenes zur Buchaufnahme in die Bibliothekbestände besonders bahnbrechend.

Rezension über:

Hannah Marcus: Forbidden Knowledge. Medicine, Science, and Censorship in Early Modern Italy, Chicago: University of Chicago Press 2020, XII + 356 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-0-226-73658-7, USD 45,00

Rezension von:
Alessandra Quaranta
Institut für Geschichte, Universität Wien
Empfohlene Zitierweise:
Alessandra Quaranta: Rezension von: Hannah Marcus: Forbidden Knowledge. Medicine, Science, and Censorship in Early Modern Italy, Chicago: University of Chicago Press 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 3 [15.03.2022], URL: https://www.sehepunkte.de/2022/03/35113.html


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