sehepunkte 22 (2022), Nr. 4

Klaus Neitmann (Hg.): Vom ein- zum mehrkonfessionellen Landesstaat

Brandenburg-Preußen gilt gemeinhin als ein konfessionell tolerantes Territorium. Dies bot der Preußischen Historischen Kommission den Anlass, im November 2016 auf einer Tagung die Religionsfrage in den Mittelpunkt zu rücken. Dazu lag der erste Fokus auf dem aus der Reformation hervorgegangenen "einkonfessionellen Landesstaat des 16. Jahrhunderts". Danach wurden die Entstehung und das Funktionieren eines "mehrkonfessionellen Landesstaats des 17./18. Jahrhunderts" untersucht. Alle zwölf Beiträge werden in dem vorliegenden Sammelband abgedruckt und verteilen sich auf die beiden genannten Schwerpunkte.

Die erste Abteilung wird durch den letzten Beitrag von Anton Schindling eröffnet, den sein Schüler Matthias Asche nach dem Tod des Tübingers Historikers für die Drucklegung bearbeitete (15-40). Auf kleinem Raum werden sehr instruktiv und unter Verweis auf zahlreiche Literatur Modelle des Interessenausgleichs im Alten Reich zwischen 1555 und 1648 trotz der konfessionellen Spaltung vorgestellt.

Auf der Grundlage einer gründlichen und gelehrten Quellenarbeit zeichnet Andreas Stegmann "Die Formierung einer lutherischen Konfessionskultur im Kurfürstentum Brandenburg während der Regierungszeit Joachims II. (1535-1571)" nach (41-79). Ihm ist es wichtig zu betonen, dass Brandenburg konfessionell keinen Mittelweg einschlug, wie dies in verschiedenen Veröffentlichungen zu lesen ist, sondern lutherisch geprägt wurde, was er mit dem von Thomas Kaufmann stammenden Begriff der Konfessionskultur umschreibt.

Eine detailreiche Sicht auf die Konfessionalisierung oder die Durchdringung des Volkes durch das Luthertum wirft Heinrich Kaak, der dafür die Prenzlauer Chronik des Christoph Süring heranzieht, die dieser zwischen 1653 und 1670 anlegte (81-109).

Unter Verwendung neuerer ritualtheoretischer Fragestellungen untersucht Mathis Leibetseder den Prozess der dynastischen Aneignung der Stadt und des Doms in Fürstenberg im Bistum Lebus durch die Brandenburger Kurfürsten (111-145). Er setzt dafür bei der im Mittelalter beginnenden Einflussnahme der Hohenzollern auf die Besetzung des Lebuser Bischofsstuhls ein. Einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen bildete der Fürstenwalder "Pfaffensturm" 1566 im Vorfeld des ersten evangelischen Gottesdienstes im dortigen Dom.

Die reformatorischen Besonderheiten in den "evangelisch-lutherischen Bistümern des Herzogtums Preußen (1522-1587)", Samland und Pomesanien, stellt Bernhart Jähnig dar (147-168). Ihre Bischöfe bekannten sich bereits früh zur Reformation und führten das Stiftsgebiet der Säkularisation zu.

Als "Reformation von unten" beschreibt Michael Scholz die Etablierung lutherischer Gedanken in den Gemeinden des Erzstifts Magdeburg (169-194). Dabei sorgten die städtischen Magistrate und die Adligen auf dem Land für die Anstellung evangelischer Geistlicher.

Den zweiten Fragekreis eröffnet der Beitrag des Herausgebers Klaus Neitmann (197-248). Zwischen 1613 und 1615 bestanden die Stände gegenüber dem zum Calvinismus konvertierten Johann Sigismund von Brandenburg auf der Beibehaltung der lutherischen Konfession, insbesondere in den Landpfarrämtern und sogar den kurfürstlichen Patronatsstellen. Dies wurde ihnen für umfangreiche Steuerbewilligungen gewährt. Zwar wurde Johann Sigismunds Konfessionswechsel bereits oft dargestellt, aber noch nie so intensiv aus der Sicht der Landstände beleuchtet. Neitmann ordnet die Diskussionen in die Perspektive der Vorgänger des Kurfürsten ein und kommt so zu dem Ergebnis, dass das jus reformandi bereits vor 1615 aufgegeben worden war. Nun bestanden zwei Konfessionen nebeneinander, deren Verhältnis kaum durch den Begriff der Toleranz beschrieben werden kann. Eine Edition des Revers vom 5. Februar 1615, das den lutherischen kurmärkischen Ständen die Bekenntnis- und Gewissenfreiheit zusicherte, rundet den Beitrag ab.

Als Fallbeispiele aus einzelnen Landesteilen könnte man die Beiträge von Haik Thomas Porada (zu Pommern, 249-282), Michael Kaiser (zu Jülich-Kleve-Berg und Mark, 283-318) sowie Peter Baumgart (zu Schlesien, 319-333) ansehen. In den von ihnen behandelten Herrschaften bestanden andere kirchenpolitische Voraussetzungen als in Brandenburg. Während Pommern in einen lutherischen und einen Landesteil aufgeteilt war, in dem die Ansiedlung von Reformierten und die Entstehung ihrer Gemeinden gefördert wurde, gab es in den rheinischen Territorien alle drei frühneuzeitlichen Konfessionen. Als Vergleich zur brandenburgischen Konfessionspolitik dient Schlesien, wo die Habsburger den Katholizismus als alleinige Konfession durchsetzen wollten. Dies gelang aber unter anderem durch das Einschreiten Schwedens (Altranstädter Konvention von 1707) nicht.

Um 1700 tritt das Drängen auf einen "einkonfessionellen Landesstaat" in der brandenburgischen Konfessionspolitik deutlich zurück, wie Frank Göse am Beispiel Friedrichs I. und Friedrich Wilhelms I. vorführt (335-369). Kirchenpolitische Entscheidungen hatten neben den Verwaltungseliten vor allem die Pfarrer vor Ort umzusetzen, die sich aber dafür mit unterschiedlicher Intensität engagierten. Nicht nur sie bremsten die brandenburgische Konfessionspolitik aus, sondern auch Gemeinden, die großes Beharrungsvermögen beispielsweise in liturgischen Gebräuchen besaßen, oder reichspolitische Interessen, die berücksichtigt werden mussten.

Präzise und auf dem neuesten Forschungsstand berichtet Hans-Christof Kraus über den Konflikt zwischen August Hermann Francke und Christian Wolff, der 1723 Halle verlassen musste (371-409). Kraus analysiert, auf welchen Ebenen dieser Konflikt verlief und wie es zu Wolffs Rückkehr 1740 nach Halle kam. Der vorgestellte Konflikt fand innerhalb des Luthertums statt, weil sich der Hallesche Pietismus in Konkurrenz zur Philosophie Wolffs herausgefordert sah.

Der Herausgeber ließ es sich nicht nehmen, eine wiederholende Zusammenfassung der Beiträge als Nachwort beizugeben (411-460).

Die landesgeschichtlichen Beiträge des durchgehend gut lesbaren, informativen, anregenden und gut redigierten Bandes zeichnen sich durch eine Vielfalt der methodischen Zugänge aus. Dadurch werden Kontinuitäten und Brüche in der brandenburgischen Konfessionspolitik im Verlauf von etwa 200 Jahren deutlich. In Brandenburg mussten die Landesherren bereits kurz nach 1600 aus politischen Gründen auf ihr Reformationsrecht verzichten, weil sie sonst ihre Pläne zu einer territorialen Erweiterung kaum hätten umsetzen können. Dass zwei oder sogar drei Konfessionen nebeneinander bestehen mussten, kann zumindest im 17. Jahrhundert kaum unter dem Vorzeichen der Toleranz betrachtet werden. Vielmehr kam es zu Konkurrenzen. Das Nebeneinander der Konfessionen konnte nur durch die Unterstützung einer Konfession durch innerterritoriale (z.B. die Landstände) oder exterritoriale Partner aufrechterhalten werden. Das eigentliche Ziel war zumindest bis 1648 der monokonfessionelle Landesstaat. Durch die Gleichstellung der Reformierten mit Lutheranern und Katholiken durch den Westfälischen Frieden entspannte sich die Konkurrenzsituation etwas.

Rezension über:

Klaus Neitmann (Hg.): Vom ein- zum mehrkonfessionellen Landesstaat. Die Religionsfrage in den brandenburg-preußischen Territorien vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert (= Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Neue Folge; Beiheft 16), Berlin: Duncker & Humblot 2021, 460 S., ISBN 978-3-428-18174-2, EUR 129,90

Rezension von:
Stefan Michel
Institut für Evangelische Theologie, Technische Universität Dresden
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Michel: Rezension von: Klaus Neitmann (Hg.): Vom ein- zum mehrkonfessionellen Landesstaat. Die Religionsfrage in den brandenburg-preußischen Territorien vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert, Berlin: Duncker & Humblot 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 4 [15.04.2022], URL: https://www.sehepunkte.de/2022/04/36270.html


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