Boten waren die Kommunikatoren der Vormoderne. Sie verbanden nicht nur ferne und nahe Herrscherhöfe und andere Würdenträger durch das Überbringen von Briefen, Mitteilungen, die nicht selten auch durch mündliche Nachrichten ergänzt wurden. In den Quellen kommen sie meist nur beiläufig vor. In seiner bereits im Jahr 2010 an der Universität Osnabrück vorgelegten Habilitationsschrift belegte Volker Scior eindrücklich, dass eine umfassende Studie entsprechender Hinweise sich durchaus lohnt. Die Studie wurde nun im Peter Lang Verlag publiziert.
Im Zentrum der Untersuchung steht die Analyse der komplexen Kommunikationspraxis und der damit verbundenen Übertragungsprozesse durch Boten als Medium und Akteur innerhalb des "Dreiecks" zwischen Auftraggeber und Adressat im Zeitraum zwischen 500 und 900. Die Untersuchung weist einen kulturhistorischen Zuschnitt auf, der nach den unterschiedlichen Faktoren fragt, welche diese Kommunikation und die damit verbundene Mobilität ausmachten, und greift damit ein Thema auf, das 2001 von Michael McCormicker in einer monumentalen Studie erstmals umfassend in Bezug auf das frühe Mittelalter aufgearbeitet worden ist.
Nach einer Einleitung, die nach der Bedeutung von Kommunikation und der einschlägigen Forschung fragt (11-58), folgt in Kapitel II. die Analyse einschlägiger Termini wie missus, aber auch weniger eindeutiger Begriffe wie apocrisiarius oder mediator (59-98). Dabei arbeitet Scior vier zeitgenössische Nuancen heraus: Begriffe wie legatus bezogen sich direkt auf den Auftrag, solche wie nuntius verwiesen auf das Verkünden, Benennungen wie portator auf das physische Tragen, und Begriffe wie viator auf die physische Bewegung. Die Terminologie zur Bezeichnung von Boten sei dabei in den Briefen deutlich breiter ist als jene, die in den erzählenden Quellen zu finden sei, und sie verweise auch häufiger auf das körperliche Tragen sowie die Verpflichtung des Boten - Befunde welche die Nähe des jeweiligen Schreibers zum Boten bezeugen.
Das Herz der Arbeit besteht aus zwei Hauptkapiteln, von denen das erste nach den "Boten in Kommunikationsnetzen" (99-302) fragt. Im Zentrum stehen drei große fränkische Briefsammlungen, jene von Bonifatius und Lul, von Alkuin, und von Einhard, eine Auswahl, die aber nicht weiter begründet wird (55). Diese Sammlungen werden zuerst umfassend und jeweils mit Blick auf die Überlieferung, Kommunikationsnetzwerke, und die darin bezeugten Boten untersucht. Der Tatsache, dass es sich hierbei nicht um die einzigen möglichen Briefsammlungen handelt, wird anschließend Rechnung getragen, indem auch die merowingischen Briefe sowie weitere Briefe des 9. Jahrhunderts untersucht werden, neben einer knappen Besprechung westgotischer und angelsächsischer Zeugnisse und der Untersuchung der erzählenden Quellen. Das Kapitel zeigt auf, dass die Schreiber bevorzugt Boten beauftragten, die entweder aus dem eigenen Umfeld oder auch aus dem Umkreis des Herrscherhofs stammten, klarere Zuordnungen seien aber oft angesichts vager Bezeichnungen, wie puer, oder fehlender Zusatzangaben, schwierig. Boten waren generell ihren Auftraggebern gegenüber von nachrangigem Status, und je niedriger der soziale Rang des Boten sei, desto weniger würden wir tatsächlich über diesen erfahren - ein Umstand, den Scior als Überlieferungsproblem wertet.
Das zweite Hauptkapitel fragt mit Blick auf das gesamte verfügbare Quellenkorpus nach den "Dimensionen der Kommunikationspraxis mittels Boten" (IV., 303-508). Es spricht unterschiedliche Aspekte an, darunter die Authentifizierung der Boten, anhand von Empfehlungs-, Schutz- und Geleitschreiben, und deren Auswahl, aber auch das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Kommunikation mit dem Adressaten. In das Kapitel eingebunden ist auch die Besprechung der Reisetätigkeit sowie der Aufenthalte der Boten am Zielort. Die Reisen selbst wurden generell in Gruppen durchgeführt, für Unterkunft und Verpflegung habe man, wenn möglich, auf bestehende Beziehungen und bekannte Klöster zurückgegriffen. Boten verbanden mündliche, schriftliche und nonverbale Kommunikationsformen, Formen der symbolischen Kommunikation seien vor allem bei ranghohen Empfängern zu fassen. Es sei aber keine grundsätzliche Bevorzugung des Mündlichen festzustellen. Scior hebt auch die Bedeutung von Vertrauen (fides) in den Boten und dessen Fähigkeiten hervor, und verweist auf einen mit dem Botenwesen verbundenen Verhaltenscodex der gegenseitigen Verpflichtung. Dies sei auch darum von Bedeutung, da Boten nicht grundsätzlich auf das möglichst originalgetreue Übertragen einer Nachricht beschränkt waren, ihre Funktion durchaus auch eigene Initiative implizieren konnte, insofern diese aktive Parteinahme im Sinne des Absenders erfolgte.
Ein Blick in das mit 19-Druckseiten beachtliche Quellenverzeichnis belegt die breite Quellenbasis, auf der die Untersuchung fußt. Doch obwohl die Studie vor allem chronologisch einen deutlich breiteren Zuschnitt als die 2012 von Martin Gravel vorgelegte Untersuchung zur Kommunikation zur Zeit Karls des Großen und seinem Sohn Ludwig aufweist [2], ist auch die Monographie von Scior weitgehend auf den fränkischen Raum beschränkt - was so nicht aus dem Titel hervorgeht. Andere Räume werden aber immerhin durch die Untersuchung der jeweiligen Adressaten abgedeckt. Für die Publikation wurde das Manuskript, wie der Autor selbst hervorhebt, nur geringfügig überarbeitet, wodurch der Band den Charakter einer Qualifikationsschrift beibehalten hat. Eine umfassendere Revision wäre dem Band zugute gekommen, insofern die Themen und Ergebnisse stärker analytisch gebündelt worden und so ein Werk entstanden wäre, das auch einen breiteren Leserkreis angesprochen hätte. Durch die zuweilen recht langatmige Besprechung werden, dem recht engen Zuschnitt und breitem Umfang (689 Seiten) zum Trotz, manche Aspekte nicht hinreichend diskutiert. Besonders auffällig ist das Fehlen einer dezidierten Besprechung des durchaus einschlägigen Themas der Sprache und damit zusammenhängenden Kommunikationsschwierigkeiten. Obwohl die Arbeit bereits vor über einem Jahrzehnt erstmals vorgelegt wurde, wurden für die Publikation anschließend veröffentlichte Studien in den Fußnotenapparat aufgenommen. Im mehr als 70-seitigen Literaturverzeichnis fehlt aber z.B. der Hinweis auf die einschlägigen Arbeiten von Nicolas Drocourt. [3]
Diesen Monita zum Trotz, welche sich eher auf formale als auf inhaltliche Aspekte beziehen, und obwohl Scior selbst unterstreicht, dass eine "Sozialgeschichte des frühmittelalterlichen Botenwesens" durch mangelnde und heterogene Quellenlage "unmöglich" sei (512), ist ihm eine solche durchaus gelungen. Er hat eine Untersuchung vorgelegt, die das Thema des fränkischen Boten von Grund auf aufarbeitet, und uns so das frühmittelalterliche Botenwesen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln näherbringt.
Anmerkungen:
[1] Michael McCormick: Origins of the European economy. Communications and commerce, A.D. 300-900, Cambridge 2001.
[2] Martin Gravel: Distances, rencontres, communications. Réaliser l'empire sous Charlemagne et Louis le Pieux, Turnhout 2012.
[3] Zuletzt, e.g., Nicolas Drocourt: Ambassadors as Informants and Cultural Brokers between Byzantium and the West (8th to 12th centuries), in: Menschen, Bilder, Sprache, Dinge. Wege der Kommunikation zwischen Byzanz und dem Westen, hgg. von Falko Daim u.a., Mainz 2018, 81-94.
Volker Scior: Boten im frühen Mittelalter. Medien - Kommunikation - Mobilität (= Studien zur Vormoderne; Vol. 3), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2021, 689 S., ISBN 978-3-631-84954-5, EUR 109,95
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