Der untrennbare Zusammenhang von fachlichem und sprachlichem Lernen hat sich als Konsens in der Geschichtsdidaktik etabliert. [1] Dazu zählt die Überzeugung, dass historische Sinnbildung als narrativer und damit als sprachlich realisierter Prozess verstanden werden muss. Die Aufschlüsselung des Prozesses verdeutlicht, dass dem Narrativieren zahlreiche weitere Denk- und Sprachhandlungen inhärent sind, beispielsweise das Beschreiben, Erklären, Beurteilen und Vergleichen. Diese Handlungen, die im Geschichtsunterricht als Operatoren historische Lernprozesse initiieren und Leistung standardisiert messbar machen sollen, sind bisher nur teilweise definiert und differenziert, sodass sich die Ausbildung fachsprachlicher Kompetenz in der Praxis weiterhin herausfordernd gestaltet.
Dieser Herausforderung widmet sich Katrin Günther in ihrer im Jahr 2020 publizierten Dissertationsschrift "Historisches Vergleichen: Vergleichsaufgaben in Lehrwerken des Gesellschaftslehre- und Geschichtsunterrichts der Sekundarstufe II". Den Zugriff über den Operator wählt sie auf Grund seiner fundamentalen Bedeutung "für den Erkenntnisprozess und die Begriffsbildung" sowie "für die Verortung des Individuums in seiner Lebenswelt" (12). Günthers Ziel ist es, fachliche und sprachlich-kognitive Merkmale des Vergleichens herauszuarbeiten und daraus Vorschläge für den Umgang mit Vergleichsaufgaben im Geschichtsunterricht abzuleiten. Gezeigt werden soll, welche sprachlichen und fachlichen Teilhandlungen Lernende benötigen, um die Sprachhandlung in ihren Aufgabenlösungen erfolgreich umzusetzen.
Neben einer breiten Auseinandersetzung mit geschichtsdidaktischen und funktional-linguistischen Grundlagen des Vergleichens umfasst die Arbeit eine zweiteilige empirische Untersuchung.
In der theoretischen Annäherung wird das Vergleichen zu den "Grundkategorien Geschichtsbewusstsein und Gegenwartsorientierung" (17) in Beziehung gesetzt und anschließend in das Feld des kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts unter besonderer Berücksichtigung der Aufgabenkultur eingeordnet. Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei die Darstellung des Forschungsstandes zur Gestaltung (operatorengestützter) Aufgaben im Fach.
Es folgt eine ebenso umfangreiche Aufarbeitung linguistischer Grundlegungen, bei der die Funktionale Pragmatik als besonders gewinnbringender Zugang zum Forschungsgegenstand ausgewählt wird. Ausgehend von dem Sprach- und Wissensmodell von Ehlich und Rehbein [2] werden nicht nur grundlegende Begriffe der Linguistik eingeführt, sondern auch Überlegungen zum fachlichen und sprachlichen Lernen sinnstiftend zusammengeführt. Nur unzureichend differenziert werden die sprachlichen Register. So fehlt beispielsweise eine Abgrenzung von Wissenschafts- und Fachsprache. Problematisch ist die Folgerung, dass der Erwerb von Wissenschaftssprache für 'native speaker' keine Hürde darstelle und "als in der Regel bekannt" betrachtet werden könne, während es zu "Herausforderungen für mehrsprachige Lerner*innen" (54) komme. [3]
Merkmale des historischen Vergleichs werden, die theoretische Hinführung abschließend, aus fachdidaktischer und -sprachlicher Perspektive detailliert bestimmt. Hier leistet die Arbeit einen immensen Beitrag, indem das Vergleichen von sprachlichen Teilhandlungen über Strukturen bis hin zu sprachlichen Mitteln genau aufgeschlüsselt und im Prozess des historischen Erzählens [4] verortet wird.
Durch eine Frequenzanalyse ermittelt Günther, welche Aufgaben in Geschichtslehrwerken der Sekundarstufe II in NRW angeboten werden und ob diese Lehrende dabei unterstützen, historisches Vergleichen zu vermitteln. Im Zeitraum von vier Jahren wurden von der Autorin 26 Lehrwerke ausgewertet. Als Ergebnisse werden der hohe Anteil operatorengestützter Aufgabenstellungen in beiden Stichproben sowie die Zunahme von Aufgaben über die Zeit hinweg festgehalten. Das Vergleichen wird als zentraler Operator ermittelt. Diskutabel ist, inwiefern eine kontextentbundene Analyse, die keine Aussagen über Qualität Kompetenzorientierung, Materialbezug und linguistische Angemessenheit der Aufgaben liefert, abbilden kann, wie das Vergleichen im Geschichtsunterricht eingeübt wird. Dieser Kritik wäre nachzugehen gewesen, zumal die Autorin anführt, eine Vergleichsaufgabe könne "in ihrer Gesamtheit nur im Zusammenhang mit dem sie umgebenden Material eingeschätzt werden" (173). Die festgehaltenen Empfehlungen, den Umfang der Operatoren zu begrenzen und Teilhandlungen genauer abzustimmen, kann jedoch durchaus als stichhaltig betrachtet werden.
Im zweiten Teil der Untersuchung wertet Günther Schüler*innentexte zu einer einem Schulbuch entnommenen Vergleichsaufgabe in einem Mixed-Methods-Design aus. Die quantitative Korpusanalyse umfasst 84, die qualitative Analyse drei aus der Gesamtstichprobe entnommene Texte von Schüler*innen der Sekundarstufe II von drei Berufskollegs in NRW. Als Auswertungsinstrument dient ein eigens entworfenes Kategoriensystem, das orientiert am Zürcher Textanalyseraster [5] und dem Fast Catch Bumerang [6] entwickelt und auf seine Reliabilität überprüft wurde. Die Schreibaufgabe bezieht sich auf einen Darstellungstext (DT). Dieser wird zunächst in den Kontext des Lehrwerks und des Teilkapitels eingeordnet und anschließend aus didaktischer und sprachlicher Perspektive analysiert. Die Erkenntnis, dass der Darstellungstext "den geforderten Vergleich [...] zum Teil vorwegnimmt" (189) wird zwar angeführt, bei der Gestaltung des Erhebungsdesigns allerdings nur unzureichend betrachtet. Wenig überraschend ist also der hohe Zusammenhang zwischen Textgrundlage und Aufgabenlösung, der in der Auswertung belegt wird und die Anpassung des Forschungsdesigns erzwungen hat. Die resultierende Aufteilung der Stichprobe in drei Gruppen (DT; veränderter DT; veränderte(r) DT/Aufgabenstellung) führt dazu, dass die Ergebnisse kaum als generalisierbar betrachtet werden können.
Erkenntnis der quantitativen Erhebung ist, dass es nur wenigen Lernenden gelingt, die als herausfordernd charakterisierten sprachlichen Teilhandlungen des Vergleichens angemessen zu realisieren. Günther folgert, die Lernenden seien ohne Kenntnis des Zwecks der sprachlichen (Teil-)Handlungen nicht in der Lage, entsprechende sprachliche Mittel in ihren Texten zu realisieren. Die qualitative Untersuchung unterstützt diese Befunde. Hier zeigt sich, dass die Aufgabenlösungen nicht dem herausgearbeiteten Idealtyp des historischen Vergleichs entsprechen.
Weiteres Resultat der Untersuchung sind die Ergebnisse einer explorativen Faktorenanalyse. Die vier herausgearbeiteten Komponenten (basale Struktur; Anlage eines problembezogenen und kriterienorientierten Vergleichs; (Sach-)Urteilsbildung als Vergleichsziel; Sprachliche Handlungskompetenz), die die Vergleichskompetenz bestimmen, werden in zwei praxisorientierte Handreichungen übertragen. Für Lehrkräfte legt Günther ein verkürztes Kriterienraster vor, das die Beurteilung historischer Vergleiche im Geschichtsunterricht ermöglicht. Als Gegenstück dient die für die Schüler*innenhand entworfene Strukturierungshilfe.
Die Arbeit von Katrin Günther liefert einen präzisen Überblick über fach- und sprachliche Anforderungen, die historische Vergleichsaufgaben an Lernende stellen. Insbesondere im Hinblick auf den wiederkehrend kritisierten Umgang mit Operatoren präsentiert die Autorin theoretisch und empirisch fundierte, praxisbezogene Handlungsmöglichkeiten. Bedauerlich ist nur, dass die Aussagekraft der Ergebnisse unter den methodischen Ungenauigkeiten leidet.
Anmerkungen:
[1] Markus Bernhardt: Sprache(n) des Geschichtsunterrichts - Sprachliche Vielfalt und Historisches Lernen. Einführung in die Tagung, in: Sprache(n) des Geschichtsunterrichts. Sprachliche Vielfalt und historisches Lernen, hgg. von Thomas Sandkühler / Markus Bernhardt, Göttingen 2020, 29-44.
[2] Konrad Ehlich / Jochen Rehbein: Sprachliche Handlungsmuster, in: Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften, hg. von Hans-Georg Soeffner, Stuttgart 1979, 243-274.
[3] Heike Roll / Markus Bernhardt / Christine Enzenbach et al.: Schreiben im Fachunterricht der Sekundarstufe I unter Einbeziehung des Türkischen. Ausgangsannahmen, Forschungsdesign und fächerübergreifende Befunde, in: Schreiben im Fachunterricht der Sekundarstufe I unter Einbeziehung des Türkischen. Empirische Befunde aus den Fächern Geschichte, Physik, Technik, Politik, Deutsch und Türkisch, hgg. von Heike Roll / Markus Bernhardt / Christine Enzenbach et al., Münster u.a. 2019, 21-47.
[4] Saskia Handro: Sprache und historisches Lernen. Dimensionen eines Schlüsselproblems des Geschichtsunterrichts, in: Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen, hgg. von Michael Becker-Mrotzek / Karen Schramm / Eike Thürmann / Helmut J. Vollmer, Münster 2013, 318-333.
[5] Markus Nussbaumer / Peter Sieber: Texte analysieren mit dem Zürcher Textanalyseraster, in: Sprachfähigkeiten - besser als ihr Ruf und nötiger denn je!, hg. von Peter Sieber, Aarau u.a. 1994, 141-186.
[6] Hans H. Reich / Hans-Joachim Roth / Marion Döll: Fast Catch Bumerang - Auswertungshinweise, Schreibimpuls und Auswertungsbogen, in: Von der Sprachdiagnose zur Sprachförderung. FörMig Edition Bd. 5, hgg. von Drorit Lengyel / Hans H. Reich / Hans-Joachim Roth / Marion Döll, Münster 2009, 209-241.
Katrin Günther: Historisches Vergleichen: Vergleichsaufgaben in Lehrwerken des Gesellschaftslehre- und Geschichtsunterrichts der Sekundarstufe II. Eine Untersuchung von (Schüler*innen-)Lösungen zu einer Vergleichsaufgabe am Beispiel eines Darstellungstextes zur Industriellen Revolution (= Geschichtsdidaktische Studien; Bd. 7), Berlin: Logos Verlag 2020, 417 S., 58 Abb., ISBN 978-3-8325-5140-7, EUR 57,00
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