Mit seiner Studie über den deutsch-jüdischen Journalisten und Publizisten Hermann Budzislawski (1901-1978) rückt Daniel Siemens einen Mann "der zweiten Reihe" in den Vordergrund. Und in der Tat ist Hermann Budzislawski ungeachtet seiner Tätigkeit als langjähriger Herausgeber und Eigentümer der Zeitschrift Die Weltbühne, anders als seine ungleich prominenteren Vorgänger Siegfried Jakobsohn, Kurt Tucholsky oder Carl von Ossietzky, lange Zeit nur Eingeweihten ein Begriff, wenn nicht "so gut wie unbekannt" gewesen. In zehn chronologisch angelegten Kapiteln leuchtet Siemens diese Leerstelle aus, indem er Budzislawskis Lebensweg vom Beiträger zur (alten) Weltbühne Anfang der 1930er Jahre über seine Zeit als Herausgeber und Eigentümer der Neuen Weltbühne in der Zeit des Exils (1934-1939) bis zum Doyen der Journalistik in der Frühzeit der DDR, in der er dann noch einmal als Chefredakteur der 1946 wieder aufgelegten Zeitschrift fungierte (1967-1971), nachzeichnet. Dabei fördert Siemens' Biographie eines der "wichtigsten Linksintellektuellen" der 1930er Jahre (12) Erhellendes zutage. Sie schließt nicht nur eine Lücke hinsichtlich der verschlungenen, lange im Dunklen liegenden Eigentums- und Publikationsgeschichte der Neuen Weltbühne nach 1933, als es Budzislawski gelang, eine der vormals wichtigsten Zeitschriften der Weimarer Republik als Diskussionsorgan des Exils zu erhalten, sondern entwirft auch ein faszinierendes Porträt eines Mannes, der es verstand, den Zumutungen des 20. Jahrhunderts zu trotzen.
Siemens versteht seine Studie, die "transnationale und transkulturelle Lebensverläufe mit lokal- und globalgeschichtlichen Entwicklungen" verbinden will (12), als "Variante der allgemeinen Problemlage von politischer Macht und intellektueller Möglichkeit" im 20. Jahrhundert (16). Dennoch bleibt man nach der Lektüre seines zweifelsohne virtuos aus den Quellen herausgearbeiteten und sehr gut lesbaren Buches ein wenig ratlos zurück. Dies gilt nicht allein hinsichtlich verschiedener eingangs aufgeworfener Querschnittsthemen, denen zufolge sich die Arbeit zugleich als Beschäftigung mit dem Phänomen des "bürgerlichen Sozialismus", als "Verflechtungsgeschichte" oder als "Kulturgeschichte des Erbens" begreift (14), die ein wenig aufgesetzt erscheinen, auch weil sie keine wirkliche systematische Beantwortung erfahren. Vor allem jedoch drängt sich dieser Eindruck bei der Einschätzung auf, wie Budzislawski nun schlussendlich zu charakterisieren sei: als ein seinen Idealen verpflichteter Sozialist, den die Zeitläufte vom linken Rand der SPD über das antifaschistische Exil zu einem willfährigen Parteigänger der SED führten, oder - und in diese Richtung tendiert Siemens - als ein im Wesentlichen von Geltungsdrang getriebener Karrierist, dem primär daran gelegen war, seinen Platz unter den bedeutendsten Vertretern der deutschen Publizistik im 20. Jahrhundert zu sichern. Auch die Frage, an der sich dieses Spannungsverhältnis am deutlichsten ablesen lässt, weshalb nämlich Budzislawski aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückkehrte, obwohl er in den Vereinigten Staaten als zeitweiliger Mitarbeiter der einflussreichen Publizistin Dorothy Thompson beziehungsweise als freier Mitarbeiter des Office of Strategic Services ein einträgliches Auskommen gefunden hatte, bleibt unbeantwortet. Gleiches gild für die Frage, weshalb er später mit der DDR nicht brach, obwohl deren politische Kultur dem kritischen Geist der Weltbühne der Weimarer Jahre Hohn sprach. Damit versagt sich Siemens jedoch auch der Beantwortung größerer forschungsrelevanter Zusammenhänge, wie etwa dem, inwieweit Budzislawskis Biografie als Beispiel für die Stabilität des SED-Regimes herangezogen werden kann. Immerhin drängt sich diese Problematik in zweifacher Weise auf: sowohl hinsichtlich seiner politischen Sozialisation als linker Sozialdemokrat und der Bedeutung, die dieser Vergangenheit innerhalb der SED zukam, als auch in Bezug auf seinen Status als Mann der "zweiten Reihe". Außerdem bleibt unklar, welcher letztlich systemerhaltende Effekt damit verbunden war.
In diesem Zusammenhang hätte es hilfreich sein können, die jüdische Herkunft Budzislawskis stärker zu thematisieren, die Siemens zwar nennt und gelegentlich heranzieht, die er jedoch nicht erkenntnisleitend behandelt - so als hätte er dessen Selbstzeugnis, sie habe für ihn keine Rolle gespielt, akzeptiert. Dabei ist sie gleich in mehrfacher Hinsicht relevant. Ihr dürfte beispielsweise in biografischer Hinsicht eine nicht unerhebliche Bedeutung zugekommen sein, bedenkt man, dass Budzislawskis Vater Inhaber einer koscheren Schlachterei war, die als Inbegriff der Einhaltung des jüdischen Religionsgesetzes zweifelsohne die Lebenswirklichkeit des Elternhauses bestimmte. Dass die religiösen und lebensweltlichen Grundlagen des Judentums in der Welt der in den 1880er Jahren aus der pommerschen Provinz nach Berlin übergesiedelten Eltern, mithin also der Familie, eine zentrale Rolle spielten, darauf weist auch der Berufswunsch des 1916 gefallenen Bruders Leo hin, der Rabbiner hatte werden wollen. Budzislawski mochte diesem Hintergrund ablehnend gegenübergestanden sein und die Distanzierung durch einen säkularen Lebenswandel auch glaubhaft unter Beweis gestellt haben, als Prägung übte er dennoch Wirkung aus.
Dies gilt auch und gerade für die generationelle Verortung Budzislawskis. Schließlich fällt an Siemens' Studie ins Auge, dass der Großteil der langjährigen Mitstreiter Budzislawskis ebenfalls jüdischer Herkunft war - neben den Herausgebern der Weltbühne betraf das (mit Ausnahme von Ossietzkys) auch zahlreiche Weggefährten des Exils wie Georg Bernhard, Alfred Kantorowicz oder Ernst Toller, aber auch Berufskollegen in der DDR wie Ernst Bloch, Wieland Herzfelde, Hans Mayer oder Jürgen Kuczynski, die dort oftmals zu jener "zweiten Reihe" gehörten, manchmal auch, wie Hermann Axen, Gerhart Eisler, Albert Norden und Anna Seghers, zur ersten. Für diese zu Anfang des 20. Jahrhunderts Geborenen hatte die Hinwendung zum Sozialismus gleich welcher Spielart freilich nicht allein die Hoffnung auf eine bessere Welt bedeutet, wie sie angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs zwingend geboten schien (und schon gar nicht den sozialen Aufstieg); die meist aus (gut-)bürgerlichem Hause Stammenden verbanden mit dem sozialistischen Gleichheitsversprechen vielmehr die Hoffnung, den Stigmatisierungen der jüdischen Abstammung zu entfliehen, die im Gefolge des Weltkriegs ebenfalls sprunghaft zugenommen hatten. Herkunft wurde, wenn man so will, durch Zukunft ersetzt, wobei der Wunsch, alle Brücken zum Judentum abzubrechen, eine besonders enge Bindung an die sozialistische Bewegung nach sich zog. Juden wie Budzislawski wurden vor diesem Hintergrund zu besonders überzeugten Anhängern einer sozialistischen Weltanschauung, woraus sich nicht nur erklärt, weshalb er in das Land der Täter zurückkehrte (in dem er die absolute Minderheit emigrierter deutscher Juden repräsentierte), sondern auch, weshalb er trotz der Zumutungen des Stalinismus der DDR die Treue hielt. Dabei war jenes unbeirrbare Festhalten am Sozialismus sicher kein auf jüdische Parteimitglieder beschränktes Phänomen; an ihnen - und dafür dürfte die Person Budzislawskis recht eigentlich stehen - wird es freilich in besonderer Weise sichtbar.
Ungeachtet dieser Einwände konsultiert man Siemens' detailreich argumentierende Studie mit Gewinn. Ihr gebührt nicht nur das Verdienst, hinsichtlich der Geschichte der Weltbühne den Bogen zwischen Früh- und Spätzeit hergestellt wie auch einen zentralen Vertreter der deutschsprachigen Publizistik des 20. Jahrhunderts dem Vergessen entrissen zu haben. Ihr lässt sich auch die Anregung entnehmen, weitere, nicht nur jüdische Protagonisten der "zweiten Reihe" in den Blick zu nehmen und so womöglich auch zu einem genaueren Bild über die Stabilität der DDR zu gelangen.
Daniel Siemens: Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert, Berlin: Aufbau-Verlag 2022, 413 S., 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-351-03812-0, EUR 28,00
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