Als weltumspannende Reformbewegung, deren Wirksamkeit sich nicht ausschließlich auf das europäische Aufklärungszeitalter beschränkte, war die Katholische Aufklärung in den vergangenen Jahren immer wieder Gegenstand interdisziplinärer und internationaler Forschungsaktivitäten. [1] Die Rekonstruktion und Analyse großer Entwicklungslinien und die Erforschung der vielfältigen Erscheinungsformen der katholischen Aufklärung in globaler Perspektive geschah dabei ebenso unter Berücksichtigung der spezifischen Eigenentwicklungen einzelner Länder und kleinerer Herrschaftsräume. Anders als der offen und thematisch breit gefasste Titel des vorliegenden Bandes vermuten lässt, richtet sich auch hier der Blick in einen spezifischen Raum - Tirol, Südtirol und Trentino -, der historisch den habsburgischen Ländern zuzurechnen ist. Zudem beinhaltet der Band als Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts weitere Aufsätze, Miszellen, Projektpräsentationen und Rezensionen, die hier nicht thematisiert werden sollen.
In der kurzen Einleitung des Bandes verdeutlichen Julian Lahner, Marion Romberg und Thomas Wallnig als Herausgeberkreis, dass es bei dem ausgewählten habsburgischen Forschungskontext darauf ankommt, das vorhandene - traditionell kirchengeschichtliche - Quellenmaterial "neu aufzubereiten" und für aktuelle Forschungsparadigmen zu gewinnen. Dabei soll es darum gehen, sich differenziert und kritisch mit der "Kluft zwischen den Debatten um 'Katholische Aufklärung', die sich bis heute schwer von ihrem deutschen Herkunftskontext lösen können, und einem italienischen, vom posttridentinischen Katholizismus her gedachten Zugang" (10) auseinanderzusetzen. Dies erscheint für die Habsburgermonarchie nur dann zu gelingen, wenn "Katholische Aufklärung" sowohl vom nachtridentinischen Reformkatholizismus als auch von den administrativen Reformen des Josephinischen Staatskirchentums abgegrenzt werden kann.
Zum letztgenannten Punkt liefert Martin Scheutz den ersten Beitrag des Thementeils und thematisiert Klosteraufhebungen in den habsburgischen Erblanden. Scheutz zeigt auf, inwiefern nicht nur die Konzepte des spatial und material turn für die "Geschichte der Säkularisationen" (32) neue Forschungsperspektiven eröffnen, sondern dass auch weitere kulturwissenschaftliche Fragestellungen nützlich und notwendig sind, um die staatliche und kirchliche Verwaltungskultur, die Nachnutzung und Wiederverwendung von Klostergut sowie "die Krise der Aufhebung und deren Verarbeitung durch die Akteure" (32) eingehender zu erforschen. An dieser Stelle setzt Reinhard Ferdinand Nießner mit einem Beitrag zu dem Ex-Jesuiten, Seelsorger und Universitätsprofessor Franz von Zallinger (1743-1828) an. Nießner rekonstruiert und analysiert anhand der Biografie und der Schriften Zallingers dessen Tätigkeit und Haltung zu den staatskirchlichen Reformen unter Joseph II. nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773. Dass sich Zallinger gegenüber den neuen Begebenheiten als überaus anpassungswillig erwies, sei jedoch, so Nießner, "keineswegs unkritisch als Unterstützung staatskirchlicher Reformen" aufzufassen. Vielmehr zeige sich bei Zallinger das "spannungsreiche Verhältnis von jesuitischer Tradition und Katholischer Aufklärung" (64). Maria Teresa Fattori geht in ihrem Beitrag der Frage nach, wie sich das Pfarramt nach dem Tridentinum entwickelte und inwiefern die nachtridentinische Kirche dadurch "ein grundlegendes Element moderner Bürokratisierung" (66) lieferte. Die These, dass die Pfarrer für die kirchliche und auch staatliche Verwaltung zu geistlichen Fachbeamten wurden - Fattori spricht von "Verwaltungsbeamten" (82) -, zeigen nicht nur Beispiele aus dem Umfeld der administrativen Reformen der habsburgischen Länder, sondern wurde unter anderem von Werner Freitag für den westfälischen Raum aufgezeigt. [2] Dennis Schmidt richtet im Rahmen seines Beitrags einen Blick in die Staatskirchenpolitik zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. unter besonderer Berücksichtigung der Diözese Seckau und ihres Bischofs Joseph Adam von Arco (1733-1802). Schmidt thematisiert in diesem Umfeld die Klosteraufhebungen und die Publizistik in den 1780er Jahren bis einschließlich 1790. Arco habe sich in dieser Zeit, so das differenzierte Urteil Schmidts, als "Gratwanderer" (102) zwischen landesherrlicher Reformpolitik und Reformkatholizismus erwiesen. Markus Debertol beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der aufklärerischen Mönchskritik bzw. der Mönchssatire "Monachologia" (1783), die zunächst in Wien veröffentlicht, dann europaweit rezipiert und übersetzt wurde. Debertol rekonstruiert die unterschiedlichen konfessionskulturellen Rezeptionskontexte in Bern, Paris, Edinburgh und Mailand bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und betont dabei die Kontinuität satirischer Wirkung im Zeichen aufgeklärter Kritik. Mit der Aufhebung der Wiener Frauenklöster setzt sich Christine Schneider in ihrem Beitrag auseinander, wobei sie dies nicht aus der Perspektive der staatlichen und kirchlichen Verwaltung beleuchtet, sondern aus der der Betroffenen. Hierzu zählt Schneider nicht nur die Nonnen, die in anderen Klöstern unterkommen mussten, sondern auch Teile der Bevölkerung, die mit dem Kloster in Verbindung standen. Von den Klosteraufhebungen waren sie nicht nur "ökonomisch betroffen", sondern diese brachten "für weite Kreise der Bevölkerung empfindliche Veränderungen ihrer religiösen Gepflogenheiten mit sich" (142). Der letzte Beitrag dieses Themenkomplexes wendet sich abschließend dem italienischen Kontext zu. Serena Luzzi beschreibt und deutet die Positionen der unterschiedlichen Akteure im Umfeld des Projekts Riforma d'Italia, das von dem Gelehrten Carlantonio Pilati (1733-1802) vorangetrieben wurde. Die von ihm angestrebte politische Reform zielte, so deutet Luzzi, auf eine säkularisierte Kultur ("secularized culture", 160) ab, in der der Einfluss von Kirche und Papst reguliert und die kirchenpolitische Position des Fürsten - eines "sacristan prince" (155) - gestärkt werden sollte.
Die Beiträge geben in ihrer Zusammenschau einen Eindruck von den kirchenpolitischen Spannungen in der Habsburgermonarchie und deuten dabei auf die vielfältigen Herausforderungen hin, denen sich Akteure auf unterschiedlichen Ebenen durch administrative Reformen ausgesetzt sahen. Damit werden zugleich kulturgeschichtliche Fragestellungen adressiert, die bislang wenig Berücksichtigung gefunden haben. Wie Nonnen, Mönche, Pfarrer und das gläubige Laienvolk diese und weitere aufklärerische Reformen erfahren haben und wie sie sich mit den Folgen arrangiert haben - oder eben nicht -, gilt es insgesamt stärker zu beleuchten. Diese Perspektive ist gerade dann besonders lohnend, wenn schon vorhandenes Quellenmaterial neu aufbereitet und danach befragt werden kann. Im vorliegenden Thementeil wird dies beispielhaft vorgeführt.
Anmerkungen:
[1] Jürgen Overhoff / Andreas Oberdorf (Hgg.): Katholische Aufklärung in Europa und Nordamerika, Göttingen 2019; Ulrich L. Lehner: Die Katholische Aufklärung. Weltgeschichte einer Reformbewegung, Paderborn 2017 (hierzu siehe auch https://www.sehepunkte.de/2018/03/31169.html).
[2] Werner Freitag: Volks- und Elitenfrömmigkeit in der frühen Neuzeit. Marienwallfahrten im Fürstbistum Münster, Paderborn 1991, hier v.a. 89-95.
Julian Lahner / Marion Romberg / Thomas Wallnig (Hgg.): Kirche und Klöster zwischen Aufklärung und administrativen Reformen (= Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich; Bd. 36), Wien: Böhlau 2021, 297 S., 15 Farbabb., ISBN 978-3-205-21375-8, EUR 45,00
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