Die Publikation - hervorgegangen aus einer Sektion der International Conference on Urban History 2016 - lenkt den Blick von gängigen Themen wie der Entstehung, Anlage und Erweiterung von Städten hin auf weniger erforschte, unspektakuläre Entwicklungen im innerstädtischen Raum. Mit zehn Beiträgen aus verschiedenen Disziplinen, die sich mit Prozessen kleinräumlicher Veränderung in europäischen Städten zwischen Mittelalter und 18. Jahrhundert befassen, sollen Vorstellungen von der Stabilität städtischer Verhältnisse in der Vormoderne relativiert werden. Es sind Fallstudien, die Wandel innerhalb einzelner Städte, im Vergleich mit einer anderen Stadt oder im Kontext einer Städtelandschaft analysieren und durch zahlreiche Abbildungen, Karten sowie Plänen (zum Teil nicht gut lesbar, vgl. etwa 50, 191) veranschaulichen. Diese sind nur lose über gemeinsame Interessen - so zum Beispiel an ökonomischen und demographischen Umbrüchen oder an den Folgen von Stadtbränden - miteinander verknüpft, lassen sich also lediglich in begrenztem Ausmaß engführen. Gleichwohl bieten die einzelnen Aufsätze anregende, durch unterschiedliche methodische Ansätze stimulierte Einblicke in Situationen innerstädtischer Strukturveränderung: Liisa Seppänen geht der Entwicklung von Turku, der ältesten finnischen und durch eine lange schwedische Herrschaft geprägten Stadt, zwischen 1300 und 1830 nach. Sie setzt sich mit den geo-, aber auch kulturpolitischen Bedingungen für die Stadtentwicklung wie auch mit markanten Momenten auseinander, in denen Turku zerstört, rekonstruiert oder umgestaltet wurde. Die Transformation der Siedlungslandschaft, die Ausbildung von Stadttypen und die städtebauliche Genese im spätmittelalterlichen Schlesien skizziert Rafał Eysymontt. Er stellt einen kontinuierlich verlaufenden Prozess fest, der unter anderem durch die Entstehung vorstädtischer Siedlungen, Neustädte genannt, mit einem neuem Parzellierungssystem, aber auch im vertikalen Erscheinungsbild akzentuiert wird. Ausgehend von der Akteur-Netzwerktheorie fragt Janna Coomans nach den materiellen und personalen Bedingungen der Brandbekämpfung in niederländischen Städten, vor allem in Leiden. Ihre Überlegungen gelten der Interaktion zwischen den Akteuren in- und ausserhalb der Stadt sowie den politischen Maßnahmen, die auf ein feuerfestes Bauen im Stadtraum abzielten. Anna Anisimova betrachtet die der Reformation folgenden Umgestaltungen von Arealen in Klosterstädten Südostenglands im Kontext spätmittelalterlicher Trends - zum Beispiel der Überbauung ursprünglich grosser Marktflächen - und stellt fest, dass diese Eingriffe den urbanen Raum nicht radikal veränderten. An Bologna und Strassburg, Städten mit einer je eigenen Sakraltopographie, entwickelt Colin Arnoud die These, dass unterschiedliche städtebauliche Haltungen im Umgang mit Reformation und Gegenreformation weniger das Ergebnis konfessioneller Konflikte seien, als vielmehr mit der je eigenen, im Verlaufe des Mittelalters entwickelten Mentalität der Bürger erklärt werden können. Maurizio Vesco und Valeria Viola untersuchen die um 1600 abgeschlossene Anlage sich kreuzender Strassenzüge in Palermo, der Strada Toledo und der Strada Maqueda. Sie beschreiben diese als rasch durchgeführte, funktional wie auch ästhetisch zeitgemässe Planung und stellen im Anschluss an Theoreme Henri Lefebvres fest, dass die bedeutende Intervention kaum Auswirkungen auf alltägliche Praktiken der Stadtbewohner, wie das Prozessionswesen, hatte. Jaap Evert Abrahamse setzt sich mit der Entfestigung Amsterdams und der Nutzung frei gewordener Flächen im ausgehenden 16. und 17. Jahrhundert auseinander, einem komplizierten, kostenintensiven und durch die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen bestimmten Unterfangen des Goldenen Zeitalters, das zur Neubewertung ehemals peripherer Gebiete und zur Gentrifizierung betroffener Quartiere führte. Am Beispiel von drei unterschiedlich zentral gelegenen Nachbarschaften im frühneuzeitlichen Brügge ergründet Heidi Deneweth den demographisch und wirtschaftspolitisch bedingten, aber auch durch neue Strategien auf dem Immobilienmarkt beeinflussten, langsamen Wandel von Funktionen, Parzellierung und Besitzrechten in einer Zeit, die mit Stagnation konnotiert wird. Sarah Collins bewertet die von örtlichen Eliten und Grundbesitzern an die Hand genommene, graduelle und an den Standards der Zeit orientierte Umgestaltung von Newcastle upon Tyne im 18. Jahrhundert auf der Grundlage von GIS und Michael Conzens Methoden der Erschliessung von Stadtstruktur.
Der Band bietet also reichlich Material, um über Bedingungen und Formen schleichender Stadtveränderung weiter nachzudenken, wie dies die Herausgeberschaft, Jaap Evert Abrahamse und Heidi Deneweth, anregt. Es wäre indes fruchtbar, sichtbare und unsichtbare Transformationen von Stadtraum gebündelt an spezifischen Fragestellungen weiterzuverfolgen. Dafür würden sich im Band angesprochene Themen eignen, so etwa die jeweils zeitspezifischen Bedingungen des Aushandelns von Bauprojekten zwischen Behörden, Bewohnern, Baufachleuten und Immobilienhändlern, aber auch hier nicht eigens verhandelte, wie die Veränderlichkeit des städtischen Soundscapes.
Jaap Evert Abrahamse / Heidi Deneweth (eds.): Transforming Space. Visible and Invisible Changes in Premodern European Cities (= Studies in European Urban History (1100-1800); Vol. 58), Turnhout: Brepols 2022, 250 S., 68 Farb-, 22 s/w-Abb., 2 Tbl., ISBN 978-2-503-57984-9, EUR 87,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.