Das Buch, das sich selbst "an der Schnittstelle zwischen Innen- und Außenpolitik und [...] in der Diplomatie- und Kulturgeschichte" verortet (14), wählt einen interessanten Zugriff, um die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes im Rahmen der Vereinten Nationen zu erklären. In seiner Kölner Dissertation betrachtet Peter Ridder sowohl die Kodifizierung von Menschenrechten als auch die Entwicklung und Anwendung von internationalen Überwachungsmechanismen unter dem Blickwinkel der Konkurrenz, die im Anschluss an Georg Simmel als "indirekter Kampf zweier Parteien um die Gunst eines Dritten" verstanden wird (20). Während des Kalten Krieges, so seine These, haben beide Seiten, Ost und West, Menschenrechte im Systemwettstreit instrumentalisiert und im Werben um die Unterstützung durch die Staaten der damals sogenannten Dritten Welt zum Gegenstand von Verhandlungen und diplomatischen Konflikten gemacht.
Einleitung und ein eher knappes Fazit umrahmen vier chronologisch angeordnete Kapitel. Zunächst stehen die 1960er Jahre im Fokus; da die gegenseitige Blockade von Ost und West sich erst allmählich aufzulösen begann, bilden sie eher eine Vorgeschichte für den eigentlichen Untersuchungszeitraum. Bereits hier, so Ridder, zeichnete sich jedoch die Instrumentalisierung von Menschenrechten in der weltpolitischen Auseinandersetzung ab. Hierbei wirkte sich natürlich auch aus, dass sich die Zahl der Mitgliedstaaten zwischen 1955 und 1965 von 60 auf 118 erhöht hatte und hiervon 50 erst kurz zuvor ihre staatliche Unabhängigkeit erlangt hatten. Zu Recht weist Ridder darauf hin, dass in den 1960er Jahren auch die Öffentlichkeit anfing, anders auf die Vereinten Nationen und das dortige Auftreten von Staaten zu blicken.
Verhandlungsgeschick und Zähigkeit der beteiligten Akteure führten bereits in dieser Phase auf alle Fälle zu Lerneffekten, mitunter zu Erfolgen und auch zu gescheiterten Initiativen. Ridders Untersuchung zeigt die Spielräume auf, die sich im Geflecht der Vereinten Nationen, im Zusammenspiel von diplomatischem Personal und internationaler Bürokratie gelegentlich trotz außenpolitischer Vorgaben aus den Hauptstädten der beteiligten Staaten boten.
Den Schwerpunkt der Untersuchung bilden aber die 1970er Jahre mit der "Institutionalisierung des UN-Menschenrechtsschutzes". Unter dieser breiten Überschrift fasst Ridder vieles zusammen, was jedenfalls aus der Perspektive des Völkerrechts nicht auf den ersten Blick einer Institutionalisierung zugerechnet werden mag. Breiten Raum nimmt der Weg zur erstmaligen Anwendung des Verfahrens nach Resolution 1235 des ECOSOC (von 1967) gegenüber Chile im Jahr 1975 ein, wobei Ridder darlegt, warum ein bereits existierender, bislang jedoch ungenutzter und bereits durch ein anderes Verfahren (nach ECOSOC-Resolution 1503) ergänzter Mechanismus in einer konkreten politischen Situation plötzlich doch angewendet wurde. Unter dem diplomatiegeschichtlichen Brennglas wird hier ein Aspekt herausgehoben, der in einer monothematischen Studie zu diesem Beschwerdemechanismus weitaus weniger prominent behandelt wird. [1]
Auch die Schilderung der Vorgänge während der 30. Generalversammlung im Jahr 1975 eröffnet zwar den Blick auf eine heftige politische Auseinandersetzung, doch letztere bildete eigentlich nur den Anstoß für neue Menschenrechtsinitiativen westlicher Staaten, von denen die Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof bloße Rhetorik blieb und die Einrichtung des UN-Menschenrechtsausschusses die logische Konsequenz aus dem Inkrafttreten des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte im Jahr 1976 darstellte. Wichtiger erscheint demgegenüber einerseits das Zusammenwirken der westlichen Staaten bei der Wahl von Experten in den Ausschuss und deren gemeinsame Anstrengungen mit Experten aus Staaten des globalen Südens, um wichtige Weichenstellungen für die Arbeitsweise des Gremiums durch die Formulierung der Verfahrensregeln vorzunehmen. Andererseits spielte die Personalauswahl in den einschlägigen Abteilungen des Sekretariats eine wichtige Rolle. Allerdings geht es auch hierbei eher darum, bereits bestehende Strukturen zu nutzen.
Der sich anschließende, kürzere dritte Abschnitt ist der erneut konfrontativen Phase zu Beginn der 1980er Jahre gewidmet. Ridder analysiert die negativen Auswirkungen des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan für das Standing der UdSSR und ihrer osteuropäischen Verbündeten in der islamischen Welt. Die veränderte politische Großwetterlage schlug auch auf Diskussionen in den Vereinten Nationen durch und mündete in verstärkten Initiativen der Ostblockstaaten, um auf diese Weise in der Konkurrenz mit westlichen Staaten wieder besser dazustehen, zum Beispiel mit dem Thema Frieden.
Demgegenüber traten die USA unter ihrem neuen Präsidenten Ronald Reagan mit vermehrter Kritik an den Vereinten Nationen selbst hervor, nutzten aber in Folge der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen die Menschenrechtskommission gezielt für Kritik an der UdSSR und ihren Verbündeten. Neue Dynamik erhielten die Debatten dadurch, dass die südamerikanischen Militärdiktaturen sich auf dem Rückzug befanden und dass afrikanische Staaten das Thema Menschenrechte verstärkt von sich aus in die Diskussion einbrachten. Gleichzeitig bündelten international agierende NGOs wie Amnesty International das Interesse für Menschenrechtsverletzungen. Zusammen führte das dazu, dass menschenrechtliche Themen konstruktiv beraten und einschlägige Resolutionen mit großen Mehrheiten beschlossen wurden.
In der letzten Phase (1985-1993) endete die Blockkonfrontation und die Vereinten Nationen begannen so zu arbeiten, wie es eigentlich in der Charta vorgesehen ist. Davon profitierte natürlich auch der Menschenrechtsschutz, der durch neue Vertragsinstrumente inhaltlich ausgeweitet und durch zusätzliche Überwachungsmechanismen abgesichert wurde, deren Arbeit mittlerweile routiniert an die in den zurückliegenden Jahrzehnten gemachten Erfahrungen und Fortschritte anknüpfen konnte. Doch Ridder weist darauf hin, dass es in dieser Zeit trotz des Demokratisierungstrends und angesichts neuer Konflikte weiterhin eine Konkurrenz um Menschenrechte gab (290), allerdings entlang neuer Frontlinien, wie er am Beispiel Kuba aufzeigt. Erst zu Beginn der 1990er Jahre gab es die lager- und themenübergreifende internationale Zusammenarbeit, die aber bald durch innenpolitische Kontroversen in den USA und durch den Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien zunehmend in Frage gestellt wurde. Nur kurz widmet sich Ridder der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien 1993 und den Debatten über einen Hochkommissar für Menschenrechte (332-342), obwohl doch gerade hier sich der Nord-Süd-Gegensatz überdeutlich manifestierte und nur mühsam mit Formelkompromissen überdeckt werden konnte.
Dass Ridder ganz am Schluss seiner Überlegungen das Konkurrenzparadigma an die Rahmenbedingungen der Entspannungspolitik knüpft, wirft die Frage auf, wie weit es darüber hinaus als Analyseansatz taugt. Möglicherweise wäre eine konsequentere Erstreckung auf die zivilgesellschaftlichen Akteure hilfreich gewesen. Die detailreiche Untersuchung ermöglicht interessante Einblicke in Entstehungsprozesse und Diskussionsverläufe rund um die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes im Rahmen der Vereinten Nationen. Sie fügt sich ein in den begrüßenswerten Trend, die internationale Geschichte des 20. Jahrhunderts mit verstärkter Aufmerksamkeit zu betrachten.
Anmerkung:
[1] Tobias H. Irmscher: Die Behandlung privater Beschwerden über systematische und grobe Menschenrechtsverletzungen in der UN-Menschenrechtskommission. Das 1503-Verfahren nach seiner Reform, Frankfurt/M. 2002.
Peter Ridder: Konkurrenz um Menschenrechte. Der Kalte Krieg und die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes von 1965-1993, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022, 382 S., ISBN 978-3-525-35223-6 , EUR 70,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.